Heino Jaeger

Jetzt ist sie schon vorbei, die Ausstellung »Heino Jaeger Jaeger und Sammler« in der Galerie Bernsteinzimmer. Eine kleine, feine Schau mit vielen kleinen Zeichnungen, Druckgrafik und Briefen. Zeitgleich gab es eine ausführlichere Ausstellung in der kunst galerie fürth. Beide widmen sich vornehmlich dem bildenden Werk Heino Jaegers. Und zu Heino Jaeger gibt es vieles zu erzählen.

Ansicht der Ausstellung »Heino Jaeger Jaeger und Sammler« in der Galerie Bernsteinzimmer.

Das Bernsteinzimmer schrieb in seiner Einladung:

»Das Bernsteinzimmer erfüllt sich den lange gehegten Traum, Heino Jaeger,
den großen Unbekannten der deutschen Nachkriegs Kunst- und Humorgeschichte, in seinen Räumen zu präsentieren. In Zusammenarbeit mit der kunst galerie fürth zeigen wir Zeichnungen und Druckgrafiken des Meisters des absurden und anarchistischen Humors. Jaeger (1938-1997), Vorbild für Künstler wie Helge Schneider, Olli Dittrich oder Heinz Strunk, wurde in den 70er Jahren immerhin einem kleinen Publikum durch zahlreiche parodistische Radio Mono- und Dialoge bekannt.
Weniger beachtet blieb allerdings sein zeichnerisches Werk. Er studierte in den 1950er Jahren zusammen mit Horst Janssen bei Professor Alfred Mahlau an der Hochschule für bildende Kunst in Hamburg.
Dass im späten zwanzigsten Jahrhundert komische Kunst keinen hohen Stellenwert hatte, war tragisch für einen Künstler wie Heino Jaeger. Seine geringen Verkaufserfolge sind indes der Grund, warum wir aus seinem umfangreichen Nachlass diese Ausstellung zusammenstellen, präsentieren können und damit Jaegers Kunst huldigen können.
Wir danken an dieser Stelle herzlich seinem Sammler Christoph Hofmann für die freundlichen Leihgaben.«

Ansicht der Ausstellung »Heino Jaeger Jaeger und Sammler« in der Galerie Bernsteinzimmer.

Die Rede von Matthias Egersdörfer zur Ausstellungseröffnung finde ich sehr gelungen, insbesondere dann, wenn ich sie nachlese. Dem Zuhörer diesen kommalosen, unendlichen Wortfluss zuzumuten war vom Redner mutwillig angewandter Sadismus. Deshalb möchte ich sie niemandem vorenthalten, die Rede:

»Heino Jaeger oder Erinnerungen erinnern an Erinnerungen
Kleinformatige Fallstudien und Momentaufnahmen nennt der Kurator der Ausstellung Anders Möhl die Federzeichnungen von Heino Jaeger und mein erster Blick fällt auf einen feinen Herrn ein in die Jahre gekommener Oberkellner oder Maestro mit wenig aber umso stärker zerzaustem Haar mit einer Fliege unter dem zerfalteten dicken Kinn dessen Augen mehr in sich hineinschauen als in die Welt moorschwarze Augen moorschwarze Nasenlöcher die an die Brotfächer eines Toasters erinnern eine sich Sträubende wird umarmt oder besprochen vielleicht vehement besungen vom zahnlosen Finsterling dem das Auge ausläuft oder sich bereits in einer Verirrung dreht der zusätzliche Strich am Kinn könnte Folge sein von einer nachlässigen Rasur der Dandy dagegen mit der dicke Lippe hält an sich salopp im Sessel sitzend der alte großohrige Mann dem auf dem wulstigen Hinterkopf nur noch spärlich ein Haarkranz bleibt Ambossnase ein kleiner schweigender Mund der Studienrat der akkurat ein Haar über die kahle Stirn gekämmt hat über Haarausfall könnte ich Ihnen auch einmal ein Liedlein singen durch die ovalen Brillengläser im klapprigen Gestell die nur knapp die großen Augen fassen ein grober Nasenstrich über wulstigen Lippen dort harrt ein friedlicher Dämon im maßgeschneiderten Anzug ein grober Arzt im Kittel Schnäuzer unter der Kartoffelnase hört das nackte Männlein ab als würde er gleich danach operieren die Hand der üppigen Frau im bauschigen Kleid mit den weichen Ringen unter den Augen greift in die Luft gezeichnet in schwarzen Strichen die die Gestalten vergröbern ohne ungenau zu sein und zusätzliche Striche als wären es schlaffe Fäden von Marionetten oder überlang gewachsene Haare der Menschen die nicht heiter sind in sich gekehrt resolut im besten Fall schauen sie zögernd den eigenen Betrachter an die Verquollene vor sich ein Blumenstrauß hinter sich ein Fenster das nach unseren heutigen Maßstäben wohl nur schlecht noch der energetischen Sanierung im Altbau entspräche ein leerer Aschenbecher die losen Striche eines Vorhangs die andere Frau in der Kittelschürze könnte auch ein Mann sein der Don Giovanni mit dem imposanten Schnurrbart im gestreiften Hausmantel behaarte Brust zwei Flakons mit Duftwasser der ordenbehängte General erinnert mich an den Sänger von Yello er hat sich erhoben aus dem adlerverzierten Sessel durch das Telefon werden gelegentlich milde Befehle gesprochen einer im gestreiften Hemd hält einen Halm und bläst darauf oder zuzelt fast genüsslich da deutet einer auf ein Schriftstück Hände kann er nicht zeichnen der Jäger aber so meisterlich wie er das nicht kann macht ihm das so schnell keiner nach die andere Hand hält ein qualmendes Zigarettchen lässig zwischen Mittel- und Zeigefinger der Blick auf das Gegenüber ist so sinister das man selbst ungern der Angeschaute sein möchte der gebeugte Kellner mit der Serviette über dem Arm streckt seine geöffnete Hand es sind Zeichnungen aus einer anderen längst vergangenen Zeit als Heino Jaeger das schaute und auf Papier begriff eine Zeit in der noch gespitzte Bleistifte hinter Ohren klemmten bauchige Bärte den Mund überwuchsen und wer bitteschön hält heute noch Telefonhörer Taubengesicht auf dem massigen Generalsleib auf einer Chaiselongue (frz. chaise longue „langer Stuhl“) ist seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung für ein niedriges gepolstertes kombiniertes Sitz- und Liegemöbel für eine Person ein spanischer Seefahrer vermisst einen Ausschnitt der Welt auf der Karte mit einem Zirkel ein bärbeissig wildschweinener Redner spricht unter einem Sonnendach in einen Grammophontrichter ein angebrachter Zettel auf seinem Pult fordert die Zuhörer auf ihn nicht zu stören das merk ich mir Fahnen Wimpel und zierliche Topfpflanzen der dicke kurzgeschorene Bub dem Hosenträger die stramme Büx halten hat ein wenig Müh das schwarze Brot vom Tisch zu greifen ein ungeduldiger Eisverkäufer schau nur wie gaggelig sich die Eistüten neben ihm türmen die Frau mit ihrem kleinen Handtäschchen das sie sich umgehängt hat beugt sich zu dem Kleingedruckten auf einer Litfaßsäule zwinkert mit den Augen die große Brille ist doch zu klein es regnet der Mann mit Hut ein Arm hinterm Rücken gewinkelt schaut auf seine Taschenuhr die mit einer Kette am Anzug befestigt ist es ist eine andere Zeit es ist eine andere Zeit er beugt sich im Schaun über das Zeitmessgerät damit es nicht nass wird es regnet eine Frau hängt eilig die Wäsche von der Leine ab es regnet unterdessen lacht der Herznasige im Wirtshaus oder sind das nur die bloßgelegten großen Zähne seine groben Hände halten fast zärtlich den Henkel eines Bierkrugs der Jäger mit den spitzen Stiefeletten die Wohligkeit von Ohrenschützern und schau wie der Bauer das Korn senst schöner und schwungvoller wurde nur noch selten auf anderen Bildern das Korn gemäht der behaarte Tänzertitan mit seinen fassdicken Oberschenkeln der so schwungvoll und offenbar mit großer Lust gezeichnete Frauenakt zwei Muselmänner spielen ein unbekanntes Brettspiel unter dem Lampenschirm die finstere Gesellschaft im großen Saal die Honoratioren ein General ist auch dabei sitzen am Tisch im Vordergrund Frauen und mundlose Nebendarsteller stehen schweigend und duldsam im Hintergrund die leise Hausangestellte mit der Kasserolle beim Betrachten der Werke von Heino Jaeger fallen mir ständig alte Wörter ein und es ist freilich gar keine Kasserolle was die Schürzenfrau da unter den Wasserhahn hält aber das Wort ist mir eingefallen es ist eine Backform ein Bräter der Warmwasserboiler eine Kaffeemühle die an der Wand befestigt ist gibts heute nur noch im Freilandmuseum eine andere feine Gesellschaft der Gesichtslosen teils auf Rössern sitzend umringt von einer Hundemeute vor dem langgezogenen Anwesen es könnte ein Fürstensitz sein nackte Menschenhundhyänen die blöde gaffen hinterm Zaun vor denen sich eine Echse selbstbewusst abwendet ein sechsbeiniger Nasenlurch der gestutzte Aar mit dem großen Auge zwei Elefantenmäuse ein blöder schwarzer Löwe in Vendig hab ich seinen Bruder gesehen aus Stein in mich rührender Einfältigkeit erinnert der Geier in spitzen Schuhen stolziert im extravaganten Federmantel und hält über sich einen Sonnenschirm wie in den Tierdokumentationen wenn die Löwen gerade eine Antilope schmausen und die Aasfresser im gehörigen Abstand herumlaufen und Absichtslosigkeit vortäuschen und insgeheim nur hoffen dass die Raubtiere etwas übrig lassen vom Mahl zwei Gockel beim gesitteten Abendessen der Ziegenbock bei der Feldarbeit In der Metzgerei des Hahns warten die Räbin, eine Ente und der Hund darauf bis sie dran kommen ein Känguru serviert dem Soldaten einen Kloß Herr Lampe fährt Ski die Hasen backen Brot eine Fledermaus im Anzug der Mauselefant im Hausmantel mit der Saxophonpfeife im Mund am Tisch der Bär der Haseneber mit den Fußhänden der Wolpertinger in der guten Stube mit der Wanduhr an der Wand.
Zwei Sätze habe ich noch aus den Briefen von Heino Jäger abgeschrieben : „Selbst die Mücken werden zur Erinnerung“ ist der eine. Und. Der andere lautet: „Erinnerungen erinnern an Erinnerungen“.«

Olli Dittrich erinnert an Heino Jaeger — gut gelesen.

Neben dem erhellenden Film Look before you kuck — Fragen Sie Dr. Jaeger, gibt es von Rocko Schamoni der Roman Der Jaeger und sein Meister, erschienen bei Hanser, 288 Seiten, ISBN 978-3-446-26603-2, erhältlich in der Buchhandlung ihres Vertrauens. Und überhaupt gibt es Tonträger, wie Alkoholprobleme in Dänemark und Wie sieht’s bei euch aus? Alles großes Vergnügen!

Danke: Anders Möhl für die wieder mal gelungene Rahmung und Hängung, Detlef Paulig für die Galerieaufnahmen und Harald Müller © Museen Stade für das Titelfoto und Elmar Tannert für die Korrektur des Blgbeitrags.

Weitere Links zu Heino Jaeger:

Museen Stade: https://www.museen-stade.de/kunsthaus/heino-jaeger/biografie/

taz, 26.5.2022: https://taz.de/Erinnerungen-an-Kuenstler-Heino-Jaeger/!5853308

der Deutschlandfunk Kultur am 7.7.2017: https://www.deutschlandfunkkultur.de/zum-20-todestag-von-heino-jaeger-surrealist-des-deutschen-100.html

sr.de https://www.sr.de/sr/home/der_sr/so_wurden_wir_was_wir_sind/geschichte/fundstucke/heino_jaeger100.html

look: https://heino-jaeger-film.de/

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