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Die Fabrik von Mannesmann, Pionier einer neuen Betriebsform

Reinhard Mannesmann schuf mit seinem Bruder Arnold die erste fabrikmäßige Anlage in Remscheid.geschäftshausAls Napoleon 1809 dem Herzogtum Berg die Gewerbefreiheit schenkte, war bereits durch die Bergischen Kaufleute tatkräftig eine neue Betriebsform geschaffen und dem in den Zunftschranken erstarrten Handwerk entgegengestellt worden: Die Hausindustrie. Mit dieser Organisation hatten sie sich zu Herren eines Teiles der Produktion gemacht und waren so erfolgreich der Gefahr begegnet, dass sich auch die nicht einer Zunft angehörenden Handwerker zusammenschlössen oder gar dem der freien Gewerbetätigkeit feindlichen Lande den Rücken kehrten. (Zahlreiche Remscheider Unternehmer und Arbeiter wanderten noch in der Zeit der Zunftherrschaft, erst recht aber nach deren Ende in fremde Staaten aus, hoben deren Industrie und machten ihrer alten Heimat Wettbewerb. Im 18. Jahrhundert gründete Peter Hasenclever z. B. bedeutende Eisenwerke in Nordamerika und versuchte, Remscheider Schmiede nach dort zu ziehen.)

Der auch hier (in der Hausindustrie) zum Ausdruck kommende Unternehmungsgeist der Kaufmannschaft hat fraglos einer großen Zahl kleiner Betriebe in die moderne Zeit hineingeholfen. Die Träger der Hausindustrie waren zwei äußerlich getrennte und unabhängige Personengruppen: Kaufleute (Kommissionäre) und Schmiedemeister sowie andere Handwerker. Neben Betrieben dieser Art bestanden anfangs des 19. Jahrhunderts Handwerksbetriebe der sogenannten Kleinschmiede, beide im Wesentlichen unterschieden durch die Gestaltung des Absatzes. Im einen Falle setzten die Meister ihre Waren selbst an die Verbraucher ab. Sobald der Absatz an Großabnehmer (Kaufleute) geht, die ihrerseits die Erzeugnisse weiter vertreiben, haben wir im Allgemeinen einen hausindustriellen Betrieb vor uns. Der wesentliche Vorteil lag für den Kaufmann darin, dass er ein Konjunkturrisiko beliebig auf den Hersteller abwälzen konnte, denn die Betriebsstätten und -einrichtungen gehörten ihm. Später trat eine andere Form der Hausindustrie, die Miete der Arbeitsräume, hinzu. In dieser Beherrschung des Absatzes lag die Überlegenheit des Verlegers — auch „Fabrikkaufmann" genannt" — über den Handwerker, der rasch an Boden verlor. Die Grenzen beider Betriebsarten waren fließend. Ein mächtiger Gegner entstand dem Verlag in der Fabrik, die bis heute die alte Betriebsform fast ganz verdrängte, wenn auch noch immer eine Reihe von kleinen Betrieben für kaufmännische Firmen arbeitet und von ihnen abhängig ist, bzw. noch einige andere Reste hausindustrieller Tätigkeit sich erhalten haben. Die moderne Fabrik kam auf als organisierter Betrieb, der in der Lage war, sich den wachsenden Forderungen des Marktes nach Ware anzupassen und zugleich, weil er die verschiedenen, bisher örtlich getrennten Produktionsstufen eines Erzeugnisses an einem Orte vereinigen konnte, rationeller zu arbeiten.

Vorstufen einer Fabrik begegneten uns in der Sensenfabrikation und der Klingenindustrie. Die Sensen wurden in „Fabriken" (Sensenhämmern) verfertigt, die Handelshäusern gehörten. Die in ihnen Beschäftigten waren von den Besitzern abhängig. Im anderen Fall hatten Robert und Hermann Böker sämtliche Produktionsglieder zu einer einheitlichen, wenn auch örtlich getrennten Erzeugung zusammengefasst. Die erste Fabrik schuf Reinhard Mannesmann (Foto) zusammen mit seinem Bruder Arnold, indem er (etwa 1840) Feilenschmiede, Ausglüher, Härter und Packer in einer Feilenfabrik vereinigte. Schleifer und Hauer leisteten zunächst noch Heimarbeit, wurden aber bald auch in den Betrieb eingegliedert (1850—52). „Die Fabrik von Mannesmann ... ist für Remscheid das, was Henckels für Solingen ist — der Pionier einer neuen Betriebsform," schrieb die Firma damals selbst. Andere Fabriken folgten. Sie waren etwa bis 1860 größtenteils Manufakturen. Dann trat die moderne Form der Fabrik (Maschinenarbeit) in den Vordergrund.

Die Mehrzahl der ersten Fabrikanten waren ehemalige Verleger, d. h. Kaufleute. Hinzu kamen „Hausindustrielle", die sich von der Vermittlung des Kaufmanns und der Abhängigkeit vom Fabrikanten frei machten, und Handwerker (Kleinschmiede), die sich emporarbeiteten. Um 1870 ist die Zahl der Fabriken noch nicht beträchtlich, noch immer herrschen kleine Werkstätten und Hausindustrie vor.

Die eigentliche Überleitung der Produktion in neuzeitliche Organisationsformen erfolgte erst nach 1870. Die gleichzeitig stark anschwellende Zahl der Betriebe sinkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder als Folge stärkerer Konzentration der Industrie.

Die „Gründerjahre" hatten einen wesentlich anders gearteten Einfluss auf die Remscheider Betriebe als auf die im Reich, wo der Milliardensegen der französischen Kriegsentschädigung Gelder für Anlage in der Industrie freimachte und allenthalben zu Neugründungen führte. Es war in der trüben Zeit der nachfolgenden Krisis um das Jahr 1876 „erfreulich, dass die Solidität unserer Kaufleute und Fabrikanten nicht gelitten hat und wir von den bösen Folgen verwerflicher Spekulationen in unseren Kreisen verschont geblieben sind", — kann stolz der Verwaltungsbericht der Stadt Remscheid für 1875 und 1876 sagen.

Das Geschäft entwickelte sich allgemein in einer ruhigen, aber aufwärts gerichteten Bahn. Größere Verluste blieben erspart, weil der solide Bergische Unternehmer Wert auf dauernde Beziehungen zu seiner Kundschaft legte. Infolge der Zunahme der Erzeugungsmenge aller Betriebe war auch für die Stahlwerke in wachsendem Maße ein steigender Absatz gesichert, so dass auch in Remscheid selbst in dieser Zeit der erste Großbetrieb entstand (die „Bergische Stahlindustrie", 1874).

Es wäre einseitig, wollte man als Grundzug der folgenden Periode Remscheider Industriegeschichte nur die Neigung zum Großbetrieb ansehen. Ein derartiger Entwicklungsgang ließe sich auch bei anderen Industrien feststellen. Der besondere Charakter der Remscheider Betriebe liegt vielmehr in der notwendigen Anpassung an die außerordentlich vielseitigen Bedürfnisse der Abnehmer und die Verwendungszwecke des Werkzeuges. Die Mannigfaltigkeit in Form und Material schließt, da an die Handarbeit größere Anforderungen gestellt werden, bis etwa zum Beginn des 20. Jahrhunderts die serien- und massenmäßige Herstellung der einzelnen Erzeugnisse auf maschinellem Wege aus. Dieses wiederum kommt der sich aus der natürlichen Beschaffenheit des Geländes entwickelnden Eigenart der Bewohner, die auf Berghöhen, in Schrunden und Tälern ihr Heim errichtet hatten, entgegen, so dass man fast umgekehrt sagen könnte, dass gerade eine so außerordentlich wechselvolle Bodengestaltung manche Vorbedingungen für die Entwicklung eines kleineren Betriebstyps in sich trug. In anderem Zusammenhang wurde schon auf die sich aus der Geländegestaltung ergebenden Transportschwierigkeiten hingewiesen. Den Kleinbetrieb begünstigte auch die zerstreute Lage der Betriebe und erhält ihn in einer Wirtschaft, die im Allgemeinen den Drang zum „Großbetrieb" aufweist.

Dieser Werdegang wurde und wird dadurch gefördert, dass der Bergische eigenwillig ist; die Häuser sind oft ganz regellos hingestellt, weil man sich nicht um die Nachbarn kümmerte. Der Bergische bleibt lieber sein eigener Herr in einem winzigen Betrieb, als dass er sich mit anderen zusammenschließt oder sich ihnen gar unterordnet. Er verwächst mit seinem Betrieb und trennt sich nur ungern von der vollen, alleinigen und persönlichen Verantwortung; daraus erklärt sich auch die auffallend starke Beteiligung von Familienmitgliedern und Verwandten an Gesellschaftsbildungen und der geringe Prozentsatz von Sachgesellschaften. Der Bergische ist ferner bescheiden und genügsam. (...)

Die Einführung der mechanischen Hämmer, der Dampf- und Werkzeugmaschinen verlieh durch die Billigkeit der Herstellung, die rationelle Ausnutzung des Rohmaterials und die erhöhte Produktionsfähigkeit der Fabrik ein wirtschaftliches Übergewicht gegenüber Handwerk und Hausindustrie. Die Zahl der Kleinschmiede nahm rasch ab. Wohlhabende Verlagsarbeiter schafften sich Maschinen an. Jede gute Konjunktur schob diese kleinen Unternehmer, welche zu Trägern der Entwicklung wurden, sichtbar auf dem Weg zur Selbständigkeit vorwärts. Begünstigt wurden gerade diese kleineren Betriebe durch die geringen Gestehungskosten und technische Anwendungsmöglichkeit von Gas- und Elektromotor.

Weil eine arbeitsintensive Industrie in Remscheid vorherrschte, war die Bildung neuer Einzelbetriebe erleichtert und hierfür nur geringer Kapitalaufwand erforderlich. Heute ist die Maschine dazu bestimmt, diesen Prozess umzuformen. Ihre stärkere Verwendung ist möglich, weil sich die Maschinentechnik auch den feinsten Bedürfnissen und Forderungen mehr und mehr anpasst und dem Menschen zu Hilfe kommt.

Gegen den Kleinbetrieb richtete sich die staatliche Politik der Unterstützung von Großbetrieben. Bei direkten Aufträgen größerer staatlicher Verbände, Massenbestellungen durch Behörden usw. wurden fast ausschließlich Großbetriebe, Großkaufleute und Kommissionäre in Anspruch genommen. Aus Bestellungen bei Kommissionären zogen „Hausindustrielle" nur geringen Nutzen, weil sich erstere den tiefen Preisen des Großbetriebes anpassen mussten.

Den Notstand des Kleingewerbes) erhöhte der immer fühlbarer hervortretende Mangel an Hilfskräften und Nachwuchs. Die Fabrik zahlte höhere Löhne und holte den Meistern ihre Lehrlinge fort.

Ein weiterer Grund für den Rückgang der Hausindustrie war die Gleichgültigkeit der Kleinmeister. Ihnen fehlten Interessengemeinschaft und Organisation. Abhängig vom Verleger, wurden sie ausgenutzt und konnten oft bei der betriebenen Preisdrückerei nicht mehr bestehen. Eine Zeitlang suchten sie sich durch Herstellung schlechter Waren zu helfen. Dann mussten manche als Arbeiter in die Fabrik gehen. Andere Kleinmeister suchten und suchen noch in unseren Tagen unter schärfster Anspannung ihrer Arbeitskraft, wenn auch oft unter Bedingungen, die ihnen kaum genug zum Leben lassen, ihre Selbständigkeit zu erhalten. Dadurch machen sie in Zeiten rückgehender Konjunktur kleineren Fabriken scharfen Wettbewerb, weil keine Gewerbegesetze sie an übermäßig langem Arbeiten hindern.

Länger als die Kleinschmiede konnten sich hausindustrielle Feilenhauer und Schleifer behaupten. Das Feilenhaugewerbe war bis Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend Verlagsindustrie. Als die Feilenhaumaschine in dauernden Gebrauch kam, nahm die Zahl der Hauer rasch ab. Trotzdem gab es vor dem Weltkrieg noch einige Hundert, die zu rascher Ausnützung günstiger Konjunktur den Feilenfabrikanten ihre Hinzuziehung ohne Rücksicht auf feste Kapitalanlage gestatteten. Die Häuser der Feilenhauer bieten einen charakteristischen Anblick mit ihren zahlreichen kleinen Fenstern, die möglichst viel Licht für die Genauigkeit heischende Arbeit geben.

Die Schleiferei erhielt sich in der Form der Kraftstellenmiete. Den Schleifraum mit Kraftanschluss stellt der Fabrikherr, während der Schleifer selbst Schleifsteine und Zubehör beschafft. Oder die Schleifer arbeiteten im „halben Lohn", d. h. sie bezogen einen Teil, meist die Hälfte des Lohnes eines selbständigen Meisters, wenn ihnen die Schleiferei nebst den zugehörigen Betriebsmitteln gestellt wurde. Sie kamen den Stücklohnarbeitern bereits sehr nahe und wurden rasch zu Fabrikarbeitern.

Die Schleiferei macht jetzt eine Wandlung durch. Die Besitzer der Schleifkotten, die ausschließlich für andere im Lohn schleifen, haben sich zwar neuerlich in einer freien Innung zusammengeschlossen. Doch half dieser Versuch, das Gewerbe der Schleifer zu erhalten, nichts mehr angesichts der zunehmenden Verwendung der Schleifmaschine, die das Schleifen einer ganzen Reihe von Erzeugnissen übernahm, mit Ausnahme nur solcher Werkzeuge, an denen Ecken, Kanten oder Rundungen, vor allem schwer zugängliche Stellen zu schleifen sind. Deshalb ist die Nassknieschleiferei am roten Sandstein zwar noch vorhanden, trägt aber alle Keime des Absterbens in sich. (nach: „Aus der Geschichte der Remscheider und Bergischen Werkzeug- und Eisenindustrie“ von Wilhelm Engels und Paul Legers, erschienen 1928 zum 25jährigen Bestehen des Arbeitgeber-Verbandes der Eisen- und Metallindustrie von Remscheid und Umgebung e. V., 1979 im Verlag Ute Kierdorf als Faksimile­druck neu aufgelegt. Hier Teil II, Paul Legers: Die Remscheider Werkzeug- und Eisenindustrie von der Einführung der Gewerbefreiheit bis zum Ausbruch des Weltkriegs)

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Dr. Wilhelm R. Schmidt am :

Bei der frühen Mannesmann-Halle von 1858 in Bliedinghausen ist nach neueren Erkenntnissen auch deren Architektur spektakulär. Sie verweist auf den Lenneper Bauunternehmer Christian Schmidt (1805-1865), der regelmäßig mit seinem Jugendfreund, dem späteren Barmer Architekten Christian Heyden (1803–1869) zusammen gearbeitet hat. Sie haben zusammen viele Bauten in Lennep sowie im Tal der Wupper bei Radevormwald errichtet. Ihre Zusammenarbeit ist für die Textilfabriken in Dahlhausen, Dahlerau, Vogelsmühle, Krebsöge und Friedrichsthal überliefert. Sofern der Lenneper Christian Schmidt, der Vater des berühmteren Lenneper Architekten Albert Schmidt, die Mannesmann-Halle erbaute, darf mit großer Wahrscheinlichkeit als Architekt Christian Heyden angenommen werden. Zum Thema „Frühes Bauen in Lennep und an der Wupper“ wird ab dem 4. Oktober im Wülfing-Museum in Dahlerau eine umfangreiche Ausstellung gezeigt (www.wuelfing-museum.de).

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