Skip to content

1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ festgenommen

von Armin Breidenbach

Wie das 2018 wiederaufgetauchte „Aufnahmebuch des Polizeigefängnisses Remscheid von 1944/45“ dokumentiert, wurden am 23. Oktober 1944 drei Remscheider in das hiesige Polizeigefängnis in der Uhlandstraße eingeliefert, darunter der Autoschlosser Hans Dürhager und der Packer Albert Schumacher. Beide waren wegen Zersetzung der deutschen Wehrkraft festgenommen worden; zwei Tage später wurden sie in das Amtsgerichtsgefängnis Remscheid überstellt. Nachdem am 28. Oktober 1944 gegen beide ein Haftbefehl erlassen worden war, wurden sie zunächst wieder in das Polizeigefängnis Remscheid zurückgebracht. Zwei Tage später erfolgte ihre Überstellung in das Gerichtsgefängnis Wuppertal.

In der über Hans Dürhager nach dem Zweiten Weltkrieg angelegten Wiedergutmachungsakte befindet sich ein längerer Bericht von Albert Schumacher, in dem es unter anderem heißt: „Hans Dürhager und ich wurden gemeinsam am 23.10.1944 von der Gestapo Remscheid verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat unter Anklage gestellt. Nachdem wir zunächst in das Gefängnis Wuppertal-Bendahl überführt wurden, kamen wir anschließend in das Gefängnis Berlin-Plötzensee […].“

Als bei einem schweren US-Luftangriff auf Berlin am 3. Februar 1945 unter anderem auch das Gebäude des berüchtigten Volksgerichtshofs zerstört und dabei dessen Präsident Roland Freisler getötet worden war, ordnete Hitler zwei Tage später an, den Volksgerichtshof nach Potsdam auszulagern und die für Hoch- und Landesverrat zuständigen Senate nach Bayreuth zu verlegen. Einen weiteren Tag später, am 6. Februar 1945, „wurden aus den Berliner Haftanstalten ca. 300 Untersuchungs- und Strafgefangene zusammengezogen, um sie ins Zuchthaus St. Georgen nach Bayreuth zu bringen. […] Die Gefangenen wurden am Berliner Westhafen in geschlossene Frachträume von Lastkähnen gepfercht und sechs Tage spreeabwärts transportiert. Am 11. Februar 1945 wurde die Fahrt von Coswig in überfüllten Güterwaggons nach Bayern fortgesetzt. In Erinnerungsberichten schildern Überlebende die katastrophalen Bedingungen dieser Fahrt: die völlig unzulängliche Versorgung mit Lebensmitteln, die Enge, die unmenschliche Behandlung durch die begleitenden Wachmannschaften und schließlich die Fliegerangriffe. Als der Transport am 17. Februar in Bayreuth ankam, wurden die erschöpften Häftlinge nach einem Fußmarsch in das überfüllte Zuchthaus eingeliefert.“Wie das im Nationalarchiv Prag verwahrte „Gefangenenbuch des früheren Zucht- und Arbeitshauses St. Georgen-Bayreuth“ dokumentiert, befanden sich unter diesen Gefangenen auch Hans Dürhager und Albert Schumacher; sie wurden unter den Nummern U 1298/44 und U 1329/1944 in dieses Gefangenenbuch eingetragen. Die Gefangenenanstalt St. Georgen-Bayreuth hatte 1935 eine Belegungsfähigkeit für insgesamt 750 Männer gehabt. Später war sie für 1.200 Häftlinge vorgesehen; gegen Kriegsende, als sie „zu einer Schwerpunktanstalt für Gefangene aus dem heutigen Tschechien“ geworden war, war sie mit etwa 5.000 Häftlingen völlig überbelegt.

In den letzten Kriegsjahren war die Verpflegungssituation in den deutschen Strafanstalten äußerst schlecht: Die Häftlinge hungerten, auch im überfüllten Zuchthaus St. Georgen-Bayreuth, wie die über Hans Dürhager geführte Wiedergutmachungsakte belegt. In dieser Akte befindet sich unter anderem das Original-„Krankenblatt“ für Hans Dürhager, ausgestellt am 17. Februar 1945, also am Tage seiner Einlieferung in jenes Zuchthaus. Diesem Krankenblatt zufolge wog Dürhager bei einer Größe von 171 cm nur 52 Kilogramm. Als er am 1. April 1945 erneut gewogen wurde, wog er sogar nur noch 46 Kilogramm.

„Der Plan, den Volksgerichtshof nach Bayreuth zu verlegen und dort eine neue Hinrichtungsstätte zu installieren, wurde nicht mehr umgesetzt. Auch weitere, bereits vorbereitete Prozesse fanden ebenso wie die geplanten Erschießungen von politischen Gefangenen nicht mehr statt: Am 14. April 1945 marschierte die US-Armee in Bayreuth ein und brachte die Befreiung.“ Über die Haft im überfüllten Zuchthaus St. Georgen-Bayreuth heißt es in dem Bericht von Albert Schumacher:

„Zu einer Verurteilung ist es nicht gekommen, da die Stadt Bayreuth am 14. April von amerikanischen Truppen eingenommen wurde. Das Zuchthaus wurde besetzt, da sich in diesem außer den politischen Häftlingen auch kriminelle Häftlinge, welche zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt waren, befanden. Einen Teil dieser Häftlinge hatte man einige Wochen vorher nach der Festung Landsberg am Lech transportiert. Im Zuchthaus Bayreuth waren Franzosen, Österreicher, Polen, Tschechen und Deutsche. Die Deutschen waren in der Minderheit und wurden von den ausländischen Häftlingen sehr bedroht und bedrängt, insbesondere von den Tschechen. Dieses ging in den ersten drei Wochen soweit, dass die Tschechen die Deutschen wieder in die Zellen einschlossen, bis die Amerikaner die Öffnung der Zellen verfügten. Sämtliche Insassen wurden überprüft und die kriminellen Häftlinge wieder festgesetzt.

Die Deutschen hatten unter Strafandrohung sämtliche Arbeiten in der Strafanstalt zu übernehmen und hatten keinerlei Freiheit außer der Vergünstigung, mehr Essen zu bekommen. Auch bei den Sonderzuteilungen brachten (es; A. B.) die Tschechen fertig, die Deutschen hiervon auszuschließen. Wir lebten ständig in Gefahr, von den Tschechen tätlich angegriffen zu werden. Als die Deutschen als letzte überprüft und bei denen ihre politische Inhaftierung einwandfrei festgestellt wurde, kamen auch wir in den Genuss, das Gefängnis zu einer bestimmten Zeit zu verlassen. Diese Gelegenheit nahm ich sowie Dürhager wahr, den Heimweg anzutreten. An dem Tage der Entlassung, welche bei mir am 24. und bei Dürhager am 25. Mai 1945 erfolgte, haben wir den Heimweg angetreten und waren am 30. Mai 1945 in Remscheid.“

Quellen:
-       Berliner Arbeiterwiderstand 1942 – 1945. „Weg mit Hitler – Schluss mit dem Krieg!“. Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation. Katalog zur Ausstellung, Berlin 2009
-       Das Gefängniswesen in Deutschland, hrsg. vom Reichsjustizministerium, Berlin 1935
-       Historisches Zentrum Remscheid: verschiedene Bestände
-       Staatsarchiv Bamberg: Schriftliche Mitteilungen vom 22.8.2019 und 27.8.2019
-       https://www.kurier.de/inhalt.bayreuth-65-jahre-zuchthaus-in-sankt-georgen.edc0875b-9615-4c5b-a8f2-5d47743f87de.html (gesehen am 20.8.2019)
-       https://taz.de/Die-furchtbare-Reise-zu-den-Richtern/!1509800/

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Formular-Optionen

Die einzelnen Beiträge im "Waterbölles" geben allein die Meinung des Autors / der Autorin wieder. Enthalten eingeschickte Texte verleumderische, diskriminierende oder rassistische Äußerungen oder Werbung oder verstoßen sie gegen das Urheberrecht oder gegen andere rechtliche Bestimmungen oder sind sie nicht namentlich gekennzeichnet nebst E-Mail-Adresse, werden sie nicht veröffentlicht. Das gilt auch für substanzlose Bemerkungen ("Find ich gut/schlecht/blöd...etc."). Aus den oben genannten juristischen Gründen sowie bei längeren Texten sind auch Kürzungen nicht ausgeschlossen.

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!