Was haben wir ein Glück!

Am 20. März ist der Internationale Tag des Glücks. Welches Glück den meisten Menschen beschieden ist, sollte uns dieser Tage wieder bewusst werden: Neben allem Leid vergessen wir allzu oft, welch unfassbare Abfolge glücklicher Zufälle uns bis heute am Leben gelassen hat.

Noch ne Katastrophe

Aktuell grassiert die Covid-19-Pandemie. Als das Virus Ende Januar in China schon zum Ausnahmezustand führte, sagte ich zu meiner Frau, dass uns dieses Thema dieses Jahr noch beschäftigen würde. Wie sehr, wusste damals keiner, und ich wünsche mir nichts mehr, als damals falsch gelegen zu haben.

Jeder geht mit der aktuellen Situation anders um, alle Facetten menschlicher Emotionen und Verhaltensweisen sind zu beobachten. Die wenigsten davon sind zu verurteilen, haben wir doch in unseren modernen Zeiten eine solch weltumspannende Seuche noch nicht erlebt. Über die ignoranten Auswüchse einiger Unbelehrbarer, die trotz Vorgaben von oben und drohender Sanktionen einen draufmachen, wurde andernorts genug geschrieben.

Allenthalben höre ich von Freunden und Bekannten, denen das Kontaktverbot zu schaffen macht, mit unterschiedlichen Ausprägungen. Freunde nicht mehr treffen und die Oma nicht mehr im Pflegeheim besuchen zu dürfen, für den Verdruß darüber habe ich größtes Verständnis. Für infantiles Gejammer darüber, mit der eigenen Zeit nichts anfangen zu können, um so weniger. All die Jahre monierten nicht wenige, dass sie neben der Arbeit zu wenig Zeit hätten. Für was? Oft wissen sie das selbst nicht zu beantworten. Wo es jetzt Zeit genug gäbe, sich neuen Herausforderungen zu widmen, die wenigstens im Rahmen der eigenen vier Wände zu bewältigen sind – endlich mal lesen, ein Instrument lernen, was Anständiges kochen, was Unanständiges tun, einfach mal pennen, die Ruhe genießen, Niksen – mangelt es an Motivation und Durchhaltevermögen.

Aufbruchsstimmung

Glücklicher Moment am Meer
Glücklicher Moment am Meer

Um so schöner finde ich die verschiedenen Gedanken und Bestrebungen derer, die bereits die Zeit nach der Pandemie im Blick haben und voller Zuversicht gar eine Zeitenwende prognostizieren. Ein halber Schritt zurück aus der Globalisierung, Wiedererstarken des Lokalen, faire Löhne, weniger Konsum, mehr Rücksichtnahme, Achtsamkeit – hach, wär das schön! Säße mir nicht der zeternde Realist im Nacken, der 47 Jahre Lebenserfahrung gefrühstückt hat, schlösse ich mich den genannten Jüngern selig grinsend an. Allein, die Hoffnung stirbt zuletzt.

Grundrecht auf Glück?

Man soll nicht alles in Relation zu den ganz großen Dingen setzen und besonders großes Leid – Krankheit, Verlust, Armut, Krieg – nicht damit verharmlosen, dass das menschliche Leben vergänglich und im Kontext der Unendlichkeit von Raum und Zeit unbedeutend erscheint. Ich will es im Folgenden dennoch tun.

Trotzdem: Wir sind zum Glück denkende und fühlende Wesen, und jedem einzelnen steht es zu, unter Berücksichtigung der Unversehrtheit seiner Mitmenschen alles für sein persönliches Wohlbefinden zu tun. In der Verfassung des Staates Bhutan ist das Grundrecht auf Glück sogar verankert, wenn auch in das Maß für das so genannte „Bruttonationalglück“ [sic] der materielle Wohlstand einfließt. Die Vereinten Nationen, die den Internationalen Tag des Glücks ins Leben gerufen haben, formulieren die Bedingungen etwas differenzierter.

In Literatur, Philosophie und Psychologie wird viel darüber diskutiert, ob es dieses Grundrecht auch in unsere Gesetze schaffen soll. Manche verneinen dieses Bestreben und sogar den generellen Anspruch aufs Glücklichsein mit dem Hinweis darauf, das absolute Glück sei nicht möglich, ohne sich unglücklich zu machen. Oder ganz krass: Auch wenn wir in der Evolution ganz oben stehen, sei unser wesentlicher Daseinszweck der Erhalt der Art, ein Anspruch auf Happiness nicht inklusive oder maximal als Belohnung für seine Anstrengungen während der Fortpflanzung gedacht. Naja.

Mors vincit omnia[1]

Schauen wir in die Zukunft, dann läuft es darauf hinaus, dass alles vor die Hunde geht: Mittelfristig sehen wir uns mit dem Tod konfrontiert, zumindest ist mir kein Mensch bekannt, der der Sense des grimmen Schnitters entkommen ist.

„Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt nur mich!“

Gevatter Tod aus Terry Pratchetts Scheibenwelt-Romanen

Langfristig wird unsere Erde von der sich aufblähenden Sonne wieder in einen glühenden Felsklumpen verwandelt. Da das noch vier bis fünf Milliarden Jahre hin ist, lässt mich diese Perspektive ruhig schlafen.

Unsere Zeit ist aus erstgenanntem Grund also begrenzt, es sei denn, es gibt so etwas wie ein Leben nach dem Tod. Da das bis jetzt nicht überzeugend bewiesen wurde, konzentriere ich mich auf das Leben im Jetzt und Hier.

Leben, überall

Oli, unser Pianist und Keyboarder bei Eskiniwach, fragte mich vor etlichen Jahren einmal: „Was meinst du: Wie viele deiner Vorfahren haben überlebt?“ Völlig überrumpelt zuckte ich mit den Schultern. Er grinste und sagte: „Alle!“

Leben macht sich überall breit, auch in Mauerfugen.
Leben macht sich überall breit, im schönsten Sinne.

Leben ist hartnäckig und macht sich fast überall breit, wenn es nur die geringste Chance dafür gibt: in absoluter Dunkelheit neben unterseeischen Vulkanschloten, in der Antarktis, unter der Erde, in der Dachrinne deines Hauses, in den Fugen im Pflaster. Und wenn es genügend Zeit hat, entwickelt es sich weiter, passt sich an, verbessert seine eigenen Chancen aufs Überleben.

Woher ganz zu Beginn das Leben gekommen ist, hat die Wissenschaft noch nicht endgültig geklärt. Fakt ist aber, dass wir es geschafft haben, bis ins Heute zu gelangen, wir und alle unsere Vorfahren, sonst könnte ich das nicht schreiben und du nicht lesen. Dabei sind natürlich einige auf der Strecke geblieben und haben so keine Nachfahren. Das ist traurig, kann zumindest aber in Anbetracht des exponentiellen Bevölkerungswachstums als Vorteil gewertet werden.

Was Oli sagen will: Du hast Glück gehabt!

Ein bisschen nerdige Rechnerei

Und nun setze ich unsere Lebensspanne doch einmal in Relation zu der Zeitspanne, in der das Leben seinen Weg gegangen ist, von der Ursuppe oder dem Kometeneinschlag oder was auch immer bis heute. Achtung, Dreisatz: Nehmen wir an, das Leben hat vor 3,5 Milliarden Jahren den Kickstarter gefunden, projizieren diese Jahre auf einen Tag und schauen dann, welchen Anteil auf der Uhr ein durchschnittlich 75 Jahre langes Leben hätte:

75 J / 3.500.000.000 J = x sec / 86.400 sec (ich nehm gleich mal Sekunden)
x = 0,00185142857142857142857142857143 sec

Ich muss zugeben, ich weiß nicht, wie ich eine Tausendstel-Sekunde visualisieren soll. Rechnen wir mal mit einem Jahr als Projektionsfläche:

75 J / 3.500.000.000 J = x sec / (365 * 86.400) sec
x = 0,67577142857142857142857142857143 sec

Bedeutet also: Dein Leben auf dem 3,5-Milliarden-Jahre-Passen-In-Ein-Jahr-Kalender ist kürzer als die Zeit zwischen zwei Herzschlägen.

Du sollst dich deshalb nicht unbedeutend fühlen, im Gegenteil: Sei happy, dass alle deine Altvorderen es geschafft haben. Dass sie nicht vom Mammut plattgemacht wurden, keine Pest sie dahingerafft hat und während der langen Zeit auch nichts so Großes vom Himmel gefallen ist, das das ganze Leben wieder ausgelöscht hat (sorry, Dinos!).

Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

Ob es da draußen weiteres Leben gibt, wissen wir nicht mit Bestimmtheit. Die schiere Größe des Universums mit unzählbaren Sternen legt dafür jedoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit nahe. Um Größenverhältnisse und Distanzen von und zwischen Himmelskörpern zu verdeutlichen, gibt es eine Reihe sehr schöner Videos, daher spare ich mir dafür ein weiteres Rechen-Experiment.

Glück: Auch die Betrachtung eines solchen Sternenhimmels kann glücklich machen.
Under the Milky Way: Auch dieser Anblick kann glücklich machen. (pixabay)

Was ich dabei Glück nenne: In diesem unvorstellbar großen und furchtbar leeren All hocken wir auf einer 12.000 Kilometer großen Kugel (streng genommen ein Geoid oder Referenzellipsoid, anderes Thema), die genau in der Entfernung um den Kernfusionsreaktor Sonne kreist, in der Wasser flüssig ist und die ankommende Energiemenge uns nicht verkokelt und nicht erfrieren lässt. Mit einem Magnetfeld, das den Sonnenwind ablenkt, auf dass wir nicht gegrillt werden. In einer Atmosphäre, die im Verhältnis zur Erde so dick ist wie die Schale auf einer Zwiebel.

Dabei rast die Erde mit 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne, die ihrerseits mit 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum unserer Milchstraße kreist. Und der Galaxienhaufen, in dem sich Letztere befindet, bewegt sich dann auch noch.

Merkst du was davon?

Das Glück der Erde

In wenigen Wochen, am 8. Mai 2020, jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. In Mittel- und Westeuropa hat es seit einem Dreiviertel-Jahrhundert keinen Krieg mehr gegeben. Den meisten von uns geht es hier und jetzt so gut wie keinem unserer Vorfahren.

Trotz der aktuellen Lage, den Tausenden von Toten, welche das Virus fordert, den weiteren Gefahren und Bedrohungen, denen wir uns im Alltag wie auch global ausgesetzt sehen, können und sollten wir uns des unfassbaren Glücks bewusst sein, heute leben zu dürfen und die uns gegebene Welt – ob ich nun an einen Schöpfer glaube, die Wissenschaft, eine Abfolge unfassbarer Zufälle oder den Großen Grünen Arkelanfall – mit all ihren Facetten und Geschenken genießen und bewahren.

Euch allen da draußen – und drinnen – wünsche ich glückliche Tage. Happy Easter!


[1] Der lateinische Spruch fiel mir gestern beim Lesen in die Hände und bedeutet „Der Tod besiegt alles.“