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  22. <title>Landtagswahl &#8217;24 in Thüringen</title>
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  26. <pubDate>Fri, 09 Feb 2024 21:44:20 +0000</pubDate>
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  57. <description><![CDATA[Staatsgewalt drückt „Ordnungsbund“ an die Macht, Tolerierung durch antisemitische „Vereinigte Völkische Liste“ Am 10. Februar 1924 wird die Liste &#8220;Ordnungsbund&#8221;, eine gegen die &#8216;Arbeiterregierung&#8217; aus SPD, USPD und KPD gerichtete Wahlallianz des gesamten bürgerlich-nationalistischen Spektrums (DVP, DNVP, DDP, Mittelstandspartei, Landbund, Zentrum, Vaterländische Verbände), die stärkste Kraft bei der Landtagswahl in Thüringen. Obwohl die Reichswehr, die [&#8230;]]]></description>
  58. <content:encoded><![CDATA[
  59. <h3 class="wp-block-heading">Staatsgewalt drückt „Ordnungsbund“ an die Macht, Tolerierung durch antisemitische „Vereinigte Völkische Liste“</h3>
  60.  
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  62.  
  63. <p>Am 10. Februar 1924 wird die Liste <em>&#8220;Ordnungsbund&#8221;</em>, eine gegen die <em>&#8216;Arbeiterregierung&#8217;</em> aus SPD, USPD und KPD gerichtete <strong>Wahlallianz des gesamten bürgerlich-nationalistischen Spektrums</strong> (DVP, DNVP, DDP, Mittelstandspartei, Landbund, Zentrum, Vaterländische Verbände), die stärkste Kraft bei der Landtagswahl in Thüringen.</p>
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  65.  
  66.  
  67. <p>Obwohl die Reichswehr, die das Land seit ihrem <a href="https://www.classless.org/2023/11/02/2-november-1923-reichswehr-in-zwickau-und-chemnitz/">Einmarsch Anfang November</a> <strong>unter Besatzung und im militärischen Ausnahmezustand</strong> hält, alle Register zieht um den Machtwechsel in der letzten Hochburg der Revolution zu forcieren, und obwohl sich die Widersprüche zwischen den roten Parteien im Zuge der militärischen Repression verschärft haben, erreichen diese immer noch fast 42 Prozent der Stimmen, so dass es für den Ordnungsbund nicht zur Regierungsmehrheit reicht. Die neue Landesregierung des Juristen <strong>Richard Leutheußer</strong> (DVP) lässt sich von der <em>&#8220;Vereinigten Völkische Liste&#8221;</em> bzw. dem <em>&#8220;Völkisch-Sozialen Block“</em> unter dem bekannten Antisemiten <strong>Artur Dinter</strong> tolerieren, diese Wahlverbindung fungiert auch als Front für die verbotene NSDAP.</p>
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  69.  
  70.  
  71. <p>Der Ordnungsbund ist zum Jahreswechsel gegründet worden, um <em>&#8220;die sozialistisch-kommunistische Mehrheit im Landtag gründlich zu brechen&#8221;</em>, das fragmentierte bürgerlich-agrarische Lager im Stile der <a href="https://www.classless.org/2024/01/25/was-heist-hier-demokratie/">Wahlbündnisse gegen die Sozialdemokratie im Kaiserreich</a> zu vereinen und die Wählerschaft durch nationalistische Propaganda zu mobilisieren. Wahlkampfkosten trägt der Verband der Mitteldeutschen Industrie.</p>
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  75. <p>Die <strong>Reichswehr</strong> unter General <strong>Paul Hasse</strong> und die ihm unterstellte <strong>Thüringer Landespolizei</strong> unter Polizeioberst <strong>Hermann Müller-Brandenburg</strong> (ab 1926 Landesführer im <em>&#8220;Werwolf&#8221;</em>, später in der Führung des NS-Reichsarbeitsdienstes) erklären ausdrücklich ihre Unterstützung, helfen handgreiflich durch die Fortsetzung der flächendeckenden Repression gegen sozialistisch und republikanisch gesinnte Personen, gegen Strukturen und Basis der <em>&#8216;Arbeiterregierung&#8217;</em>, und organisieren indirekte Wahlkampfspektakel, deren Höhepunkt die <strong>Truppenparade zum Jahrestag der Reichsgründung</strong> <strong>1871 in Versailles am 18. Januar</strong> bildet. Stundenlang marschieren Reichswehr und Kriegervereine durch <strong>Weimar</strong>, General Hasse gibt in seiner Rede den Takt vor und erklärt, dass für jeden wahren Deutschen der 18. Januar der höchste nationale Feiertag sein müsste. Während <em>&#8220;die Väter&#8221;</em> in Versailles das Deutsche Reich geschmiedet hätten, unterschrieben <em>&#8220;Männer unserer Zeit&#8221;</em> dort den <em>&#8220;Schandfrieden&#8221;</em> von 1919. Mit entschlossenem Blick in die Zukunft ruft Hasse aus: <em>&#8220;Wenn das Schicksal das deutsche Volk noch einmal nach Versailles führen sollte, dann darf es dort nicht so stehen, wie das letztemal, sondern nur so, wie unsere Väter und Vorväter dort standen.&#8221;</em></p>
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  78.  
  79. <p>Es wird überdeutlich, dass sich hier Kaiserreich und Republik gegenüberstehen. Das Bürgertum, das fünf Jahre lang versucht hat, die Revolution rückgängig zu machen, muss angesichts der letzten Welle der Revolution 1923 seine Putschpläne aufgeben und zähneknirschend die Republik akzeptieren um an der Macht zu bleiben. Die Errungenschaften der Revolution werden nun nach und nach kassiert, <a href="https://www.classless.org/2023/12/01/dezember-1923-revolution-zu-ende/">der Achtstundentag ist schon gefallen</a>. Auch in Thüringen wird dieser Rollback begleitet von einem <strong>Kulturkampf</strong> zwischen Deutschlandlied und Internationale, Reichsfarben und roter Fahne, Prügelstrafe und säkularer Volksbildung (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Greil">Max Greil</a>). Entsprechend wird der Tag von Versailles begangen und <strong>die gesetzlichen Feiertage zum 1. Mai und zum 9. November werden abgeschafft</strong>.</p>
  80.  
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  82.  
  83. <p>Überhaupt sollen in Thüringen <em>&#8220;keine halben Sachen wie in Sachsen&#8221;</em> gemacht werden, wo die SPD zumindest in einer Koalition mit bürgerlichen Parteien weiter regieren kann. <strong>Thüringen</strong>, wo entscheidende sozialistische Parteigründungen stattfanden (in Eisenach die SDAP 1869, in Gotha die SAPD 1875 und die USPD 1917) und wo die Revolution fünf Jahre lang eine ihrer Hochburgen hatte, <strong>soll umgedreht werden wie Bayern</strong> nach der Niederschlagung der Räterepublik ab April/Mai 1919, Thüringen soll die neue <em>&#8220;Ordnungszelle&#8221;</em> werden.</p>
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  86.  
  87. <p>Das Bodensperrgesetz wird aufgehoben, der <em>&#8220;freie Grundstücksverkehr&#8221;</em> wiederhergestellt. Örtliche Selbstverwaltung wird zugunsten von Bürokratie und Exekutive umgebaut, Amtsträger erhalten ihre alten Titel zurück. Verdächtige Beamte werden entlassen. Das Züchtigungsverbot in den Schulen wird teilweise wieder aufgehoben, die von Volksbildungsminister Greil gegen Widerstände aus der Universitätsleitung in <strong>Jena</strong> gestützte Erziehungswissenschaftliche Abteilung der Philosophischen Fakultät wird 1. März aufgelöst. <strong>Bauhaus</strong>, eins der Lieblingsziele der konterrevolutionären Propaganda, wird am 1. April aus Weimar nach Dessau vertrieben. </p>
  88.  
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  90.  
  91. <p>Für die SPD-Landtagsfraktion wird 1926 das Wirken der Regierung bis dahin <em>&#8220;in einer<br />rücksichtslosen Durchsetzung der Interessen der besitzenden Klassen auf dem Gebiet der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik gegen die Bedürfnisse der arbeitenden, schwer notleidenden, besitzlosen Volkskreise&#8221;</em> bestanden haben: <em>&#8220;Die wirtschaftliche Ausbeutung, die der Ordnungsbund mit Hilfe der Gesetzgebung betrieb, wurde durch eine an Skandalen reiche Kulturreaktion im Bildungs- und Rechtsleben ergänzt, der ganze Staatsapparat unter Vernichtung aller demokratischen Entwicklungen zu einem Machtinstrument der Bürokratie und Polizei gegen das Volk und vor allem zur Unterdrückung der Arbeiter umgestaltet.&#8221;</em></p>
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  95. <p>Aber nicht nur das: Artur Dinter kann sich mit der Forderung durchsetzen, dass in der Regierung nur <em>&#8220;deutschblütige, nichtmarxistische Männer&#8221;</em> sitzen dürfen. Als in der Folge jüdische Regierungs- und Verwaltungsbeamte entlassen werden, tritt die DDP aus dem Ordnungsbund aus, dem sie mit zur Macht verholfen hat. Gleich im März 1924 erwirkt Dinter auch die <strong>Aufhebung des Verbots der NSDAP</strong> und anderer Gruppen in Thüringen, wodurch sich die neue <em>&#8220;Ordnungszelle&#8221;</em> <strong>nach Bayern zum zweiten großen Aufmarschgebiet der Nazis</strong> entwickeln kann. Hitler ernennt Dinter zum Dank noch aus der Festungshaft in Landsberg zum NSDAP-Gauleiter Thüringen. Nach den Landtagswahlen im Dezember 1929 wird die NSDAP in Thüringen erstmals Teil einer Landesregierung zusammen mit DVP, DNVP, der Mittelstandspartei und dem Landbund.</p>
  96.  
  97.  
  98.  
  99. <p>Die Revolution ist vorbei und der totale Sieg der Konterrevolution wird vorbereitet.</p>
  100.  
  101.  
  102. <div class="wp-block-image is-style-default">
  103. <figure class="aligncenter size-large"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/02/Screenshot-2024-02-09-194734.png"><img fetchpriority="high" decoding="async" width="1024" height="576" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/02/Screenshot-2024-02-09-194734-1024x576.png" alt="" class="wp-image-18310" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/02/Screenshot-2024-02-09-194734-1024x576.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/02/Screenshot-2024-02-09-194734-300x169.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/02/Screenshot-2024-02-09-194734-768x432.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/02/Screenshot-2024-02-09-194734.png 1366w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a><figcaption class="wp-element-caption"><em>Ministerpräsident Leutheußer, Anführer der Vereinigten Völkischen Liste Artur Dinter </em><br /><em>und die Beflaggung der Reichswehr seit 1921</em></figcaption></figure></div>
  104.  
  105.  
  106. <p class="has-text-align-center">***</p>
  107.  
  108.  
  109.  
  110. <p>Am <strong>8. August</strong> <a href="https://www.classless.org/2024/01/25/auftritte-2024/">spreche ich</a> in <strong>Eisenach</strong> über diese Landtagswahl.</p>
  111.  
  112.  
  113.  
  114. <p>Bei der <strong>Landtagswahl 2024</strong> bezieht sich die Vorsitzende der <em>&#8220;Bürger für Thüringen&#8221;</em> explizit auf die Wahl von 1924: <em>&#8220;Die Geschichte hat gelehrt, dass ein solches Bündnis erfolgreich sein kann, wie vor 100 Jahren der Thüringer Ordnungsbund…&#8221;</em></p>
  115.  
  116.  
  117.  
  118. <p>Mehr zur Thüringer Arbeiterregierung und ihrem Ende bei <strong>Mario Hesselbarth</strong>, dessen <a href="https://th.rosalux.de/publikation/id/51123/die-arbeiterregierung-in-thueringen-1923">Veröffentlichung aus dem September 2023</a> ich viel Material für dieses Posting entnehmen konnte.</p>
  119.  
  120.  
  121.  
  122. <p>Alle Postings zur Revolution<em>: <a href="https://www.classless.org/contact/%e2%96%ba1918-23-revolution-in-deutschland/">Revolution in Deutschland 1918-23</a></em></p>
  123. ]]></content:encoded>
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  126. </item>
  127. <item>
  128. <title>Auftritte 2024</title>
  129. <link>https://www.classless.org/2024/01/25/auftritte-2024/</link>
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  131. <dc:creator><![CDATA[classless]]></dc:creator>
  132. <pubDate>Thu, 25 Jan 2024 21:04:24 +0000</pubDate>
  133. <category><![CDATA[Categorized]]></category>
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  135.  
  136. <description><![CDATA[• Do, 14.03.2024, Berlin-Lichtenberg, Egon-Erwin-Kisch-Bibliothek, 19 Uhr: Vortrag &#8220;Revolution in Deutschland 1918-23&#8221; (FB-Event, Ankündigung)• Sa/So, 18./19.05.2024, Doksy (Č), Pfingstcamp: Vortrag zur Thüringer Landtagswahl 1924 und Vortrag &#8220;Unite the Science! Wissenschaft(sgeschichte) von unten&#8220;• Do, 23.05.2024, Zwickau, Vendetta Rosso: Vortrag &#8220;Der Reichswehr-Einmarsch in Zwickau und das Ende der Revolution in Deutschland&#8221; (Ankündigung)• Do, 06.06.2024, Peine: Vortrag &#8220;Revolution [&#8230;]]]></description>
  137. <content:encoded><![CDATA[
  138. <p id="block-2d6433e3-a2e4-4205-b904-dc5c15777506">• Do, <strong>14.03.2024, Berlin-Lichtenberg</strong>, <em>Egon-Erwin-Kisch-Bibliothek</em>, 19 Uhr: Vortrag <em>&#8220;Revolution in Deutschland 1918-23&#8221;</em> (<a href="https://facebook.com/events/s/vortrag-revolution-in-deutschl/402514609029877/">FB-Event</a>, <a href="https://lichtenberg.vvn-bda.de/2024/02/16/14-maerz-2024-vortrag-revolution-in-deutschland-1918-23/">Ankündigung</a>)<br />• Sa/So, <strong>18./19.05.2024, Doksy</strong> <strong>(<em>Č</em>)</strong>, <em><a href="https://pfingst.camp/">Pfingstcamp</a></em>: Vortrag zur Thüringer Landtagswahl 1924 und Vortrag <em>&#8220;<a href="https://www.classless.org/2024/01/16/wissenschaftsgeschichte-von-unten/">Unite the Science! Wissenschaft(sgeschichte) von unten</a>&#8220;</em><br />• Do, <strong>23.05.2024, Zwickau</strong>, <em>Vendetta Rosso</em>: Vortrag <em>&#8220;Der Reichswehr-Einmarsch in Zwickau und das Ende der Revolution in Deutschland&#8221;</em> (<a href="https://sachsen.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/EH1UG/der-reichswehr-einmarsch-in-zwickau-und-das-ende-der-revolution-in-deutschland">Ankündigung</a>)<br />• Do, <strong>06.06.2024, Peine</strong>: Vortrag <em>&#8220;Revolution in Deutschland 1918-23&#8221;</em> (in Planung)<br />• Mi, <strong>12.06.2024, Leipzig</strong>, <em>Demmering 74</em>: Vortrag <em><a href="https://www.classless.org/contact/%e2%96%badie-huftbewegung-was-uns-zu-menschen-machte/">&#8220;Die Hüftbewegung &#8211; Was uns zu Menschen machte&#8221;</a></em> (in Planung)<br />• Do, <strong>08.08.2024, Eisenach</strong>, <em>RosaLuxx</em>: Vortrag zur Thüringer Landtagswahl 1924</p>
  139.  
  140.  
  141.  
  142. <p id="block-2d6433e3-a2e4-4205-b904-dc5c15777506">Schon beschlossen, aber noch ohne konkreten Termin sind weitere Veranstaltungen zur <strong>Revolution</strong> <a href="https://www.classless.org/contact/%e2%96%ba1918-23-revolution-in-deutschland/">vor hundert Jahren</a> (u.a. in <strong>Brandenburg, Potsdam</strong> und <strong>Saarbrücken</strong>), Pläne gibt&#8217;s für <strong>Nordhausen</strong> (<em>&#8220;Entschwörungstheorie&#8221;</em>), <strong>Rothenburg</strong> (<em>&#8220;Sin Patrón&#8221;</em>) und <strong>Speyer</strong> (<em><a href="https://www.classless.org/2016/11/03/vortrag-zu-identitat-mit-videos/">&#8220;Identität&#8221;</a></em>). In Vorbereitung sind außerdem die Themen <em>&#8220;Victoria 3 (Paradox) &#8211; 100 Jahre globale Klassenkampfgeschichte als Computerspiel&#8221;</em> und <em>&#8220;Was Linke richtig machen&#8221;</em>.</p>
  143.  
  144.  
  145.  
  146. <p id="block-2d6433e3-a2e4-4205-b904-dc5c15777506">Wer noch mehr aushecken will oder sich daheim die Slides und Materialien anschauen, findet&nbsp;<a href="https://www.classless.org/contact/">hier mein aktuelles Programm</a>, das laufend weiter aktualisiert wird.</p>
  147. ]]></content:encoded>
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  150. </item>
  151. <item>
  152. <title>Was heißt hier Demokratie?</title>
  153. <link>https://www.classless.org/2024/01/25/was-heist-hier-demokratie/</link>
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  155. <dc:creator><![CDATA[classless]]></dc:creator>
  156. <pubDate>Thu, 25 Jan 2024 18:47:20 +0000</pubDate>
  157. <category><![CDATA[Antifa]]></category>
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  159. <category><![CDATA[Gegen Geschichte]]></category>
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  171.  
  172. <description><![CDATA[Zur Vorgeschichte von Revolution und Konterrevolution, Antisozialismus und Antisemitismus in Sachsen und Deutschland von der Reichseinigung bis zum Ersten Weltkrieg Arbeitskräfte (und generell Bevölkerungsmehrheiten) können ihre Interessen am besten durchsetzen, wenn möglichst viele von ihnen wählen und politisch mitbestimmen, und letztlich ist es nur von ihrem Interessenbewusstsein (Klassenbewusstsein) abhängig, ob sie sich dafür auch einsetzen. [&#8230;]]]></description>
  173. <content:encoded><![CDATA[
  174. <h3 class="wp-block-heading">Zur Vorgeschichte von Revolution und Konterrevolution, Antisozialismus und Antisemitismus in Sachsen und Deutschland von der Reichseinigung bis zum Ersten Weltkrieg</h3>
  175.  
  176.  
  177.  
  178. <p>Arbeitskräfte (und generell Bevölkerungsmehrheiten) können ihre Interessen am besten durchsetzen, wenn möglichst viele von ihnen wählen und politisch mitbestimmen, und letztlich ist es nur von ihrem Interessenbewusstsein (Klassenbewusstsein) abhängig, ob sie sich dafür auch einsetzen. Das Ausmaß der Zustimmung des Bürgertums (und generell der herrschenden und besitzenden Klassen) zu Demokratie und allgemeinem Wahlrecht war hingegen stets davon abhängig, inwieweit sie als Minderheiten, die von der Ausbeutung der Mehrheit leben, Wahlverfahren und Ergebnisse (durch Geld und Gewalt) so beeinflussen konnten, dass ihre Verfügung über Eigentum und Gewaltmittel so wenig wie möglich angetastet werden.</p>
  179.  
  180.  
  181.  
  182. <p>Dieser Konflikt begleitet den Aufstieg der Arbeitskräfte-Massenbewegungen ab dem 19. Jahrhundert, besonders eng im Falle der deutschen Sozialdemokratie, wie der kanadische Historiker <strong>James Retallack</strong> in seiner umfangreichen und detaillierten Untersuchung über Wahlrecht und Wahlkampf im Kaiserreich nachzeichnet. <em>&#8220;Das rote Sachsen&#8221;</em> ist kein direkter Beitrag zur Sozialgeschichte der Anfänge der sozialistischen Arbeitskräfte-Selbstorganisation, aber aus den ausgebreiteten Zahlen, Ereignissen und Debatten wird deutlich, wie sich zentrale Konflikte aufgrund der frühen und flächendeckenden Industrialisierung zuerst in Sachsen entfalteten und zuspitzten. Es ist mitzuverfolgen, wie sich viele der ersten Mitgliedschafts- und Wahl-Hochburgen der (revolutionären) Sozialdemokratie in den am stärksten industrialisierten Regionen bildeten, besonders in Westsachsen, der Gegend um Zwickau, vielleicht nirgendwo so rapide wie in Crimmitschau; wie sehr also diese spätere reichsweite Massenbewegung (die in Sachsen nach der Revolution so viele Mitglieder haben wird wie in Frankreich und Italien zusammen) ihren Grundstock in den überarbeiteten Lohnabhängigen hatte, die um sich herum einen bis dahin ungekannten Wohlstand blühen sahen, der auf ihrer Ausbeutung beruhte und an dem sie ohne Gegenwehr nicht teilhaben sollten; schließlich auch, wie sehr diese Bewegung sowohl sozialistisch als auch demokratisch war.</p>
  183.  
  184.  
  185.  
  186. <p><em>&#8220;Doch das deutsche Bürgertum wertete Leistung, Bildung und Kultur so sehr, dass es den Idealen der sozialen Gleichheit und der politischen Inklusion wenig Beachtung schenkte&#8221;</em>, schreibt Retallack. Er zeigt ausführlich, wie die heftigen Konflikte innerhalb der besitzenden Klassen, zwischen Bürgertum und Grundbesitzern, Groß- und Kleinbürgertum, Konservativen, Links- und Nationalliberalen durch die Formierung einer antisozialistischen Front (vor allem zur Aufstellung von gemeinsamen Gegenkandidaten) überwunden oder zumindest vorübergehend ruhiggestellt werden konnten. Die ideologische Klammer für diese taktischen Allianzen, die (wie jede wirksame Form von Ideologie) die Feindbilder der verschiedenen Interessengruppen (vor allem Liberalismus, Demokratie, Sozialismus) zusammenfasste, bildeten ein immer stärker völkisch aufgeladener Nationalismus und schließlich die erste Synthese des modernen <strong>Antisemitismus</strong>, der hinter allen Bedrohungen nun <em>&#8220;den Juden&#8221;</em> walten sah. So gewann nach dem sozialdemokratischen Wahlsieg in Pirna 1903 der gemeinsame bürgerliche Kandidat, der Kaufmann Otto Hanisch, den Wahlkreis für eine antisemitische Wahlvereinigung zurück, bis er 1912 vom Sozialdemokraten Otto Rühle abgelöst werden konnte.</p>
  187.  
  188.  
  189.  
  190. <p>Diese erste Synthese bereitete die zweite im 1919/20 von Hitler <a href="https://www.classless.org/2019/11/12/hitler-teil-v-lesestoff-und-geforderter-aktivismus/">während seiner Tätigkeit als Reichswehrbibliothekar</a> entwickelten Nationalsozialismus vor, als sich die <em>&#8220;Retter der alten Ordnung&#8221;</em> nicht mehr nur dem Klassenkampf, sondern der ausgewachsenen Revolution gegenübersahen und nun versuchten, sich ihres reaktionären Erscheinungsbildes zu entledigen, ihre antidemokratische Grundhaltung als die eigentliche deutsche Demokratie hinstellten und (unter Rückgriff auf den nationalistisch und konterrevolutionär gewendeten <em>&#8220;Sozialismus&#8221;</em> in der SPD-Führung) ihren völkischen Nationalismus, ihren Antisemitismus und Antisozialismus als die eigentliche sozialistische Revolution. Diese Umdeklaration ist uns bis heute erhalten geblieben, und ihre Rolle dabei, den Charakter des deutschen Faschismus zu verwischen und seine Verbrechen nach vermeintlich links auszulagern, ist längst in weiten Teilen des konservativ-bürgerlichen Lagers verinnerlicht, wie zuletzt an massenweise Fans von Elon Musk und Ben Shapiro zu sehen war, die anlässlich von deren Besuch in Auschwitz nicht müde wurden zu betonen, dass der Holocaust von <em>&#8220;Sozialisten&#8221;</em> begangen wurde.</p>
  191.  
  192.  
  193.  
  194. <p>Vieles, was Retallack an Material über die hoheitliche Einwirkung auf Wahlen in der Zeit des Kaiserreichs aufführt (Behinderung des Wahlkampfs, erklärte Parteilichkeit von Verwaltung und Staatsgewalt), weist denn auch auf die konterrevolutionäre Praxis ab 1918: von der Manipulation der Zusammensetzung der Räteversammlung am 10. November 1918 über die <em>&#8220;Ordnungszelle&#8221;</em> Bayern bis zur <a href="https://www.classless.org/2023/10/10/10-oktober-1923-spd-kpd-regierung-in-sachsen/">gewaltsamen Absetzung sozialistischer und antifaschistischer Landesregierungen in Sachsen</a> und <a href="https://www.classless.org/2023/11/02/2-november-1923-reichswehr-in-zwickau-und-chemnitz/">Thüringen</a> im Herbst 1923 durch die Reichswehr, schließlich der weiteren Besetzung Thüringens und <strong>Unterdrückung der sozialistischen Parteien bis zur Landtagswahl am 10. Februar 1924</strong>, die mit einem Wahlsieg des <em>Ordnungsbunds</em> aus Bürgertum und Grundbesitzenden endete und zur Tolerierung durch die <em>Vereinigte Völkische Liste</em> bzw. des <em>Völkisch-Sozialen Block</em>s des radikalen Antisemiten Artur Dinter führte, welchen die verbotene NSDAP für ihre Rehabilitierung nutzte &#8211; dazu mehr in einem Posting zum 100. Jahrestag der Wahl.</p>
  195.  
  196.  
  197.  
  198. <p><em>&#8220;Das rote Sachsen&#8221;</em> ist kostenfrei (ggf. zzgl. Bereitstellungspauschale) bei der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung <a href="https://shop.slpb.de/pub_online/146-das-rote-sachsen-wahlen-wahlrecht-und-politische-kultur-im-kaiserreich.html">bestellbar</a>.</p>
  199.  
  200.  
  201. <div class="wp-block-image is-style-default">
  202. <figure class="aligncenter size-large"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-25-194447.png"><img decoding="async" width="1024" height="583" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-25-194447-1024x583.png" alt="" class="wp-image-18281" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-25-194447-1024x583.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-25-194447-300x171.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-25-194447-768x437.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-25-194447.png 1344w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a></figure></div>]]></content:encoded>
  203. <wfw:commentRss>https://www.classless.org/2024/01/25/was-heist-hier-demokratie/feed/</wfw:commentRss>
  204. <slash:comments>0</slash:comments>
  205. </item>
  206. <item>
  207. <title>Wissenschaft(sgeschichte) von unten</title>
  208. <link>https://www.classless.org/2024/01/16/wissenschaftsgeschichte-von-unten/</link>
  209. <comments>https://www.classless.org/2024/01/16/wissenschaftsgeschichte-von-unten/#respond</comments>
  210. <dc:creator><![CDATA[classless]]></dc:creator>
  211. <pubDate>Tue, 16 Jan 2024 09:02:31 +0000</pubDate>
  212. <category><![CDATA[Arbeitskräfte]]></category>
  213. <category><![CDATA[Gegen Geschichte]]></category>
  214. <category><![CDATA[Lektüre]]></category>
  215. <category><![CDATA[Lustzweifel & Zweifellust]]></category>
  216. <category><![CDATA[Rausch & Mittel]]></category>
  217. <category><![CDATA[Vermittlung?]]></category>
  218. <category><![CDATA[Clifford D. Conner]]></category>
  219. <category><![CDATA[Conner]]></category>
  220. <category><![CDATA[People's History of Science]]></category>
  221. <category><![CDATA[Wissenschaft]]></category>
  222. <category><![CDATA[Wissenschaftsgeschichte]]></category>
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  224.  
  225. <description><![CDATA[&#8220;Unite behind the science&#8221;, der Zusammenschluss hinter der Wissenschaft, war und ist strömungsübergreifend eine der wichtigsten Forderungen der Klimabewegung – das Beharren auf der prinzipiellen wissenschaftlichen Erklärbarkeit der Welt und auf der überwältigenden Evidenz für den menschengemachten Anteil an der rapiden globalen Klimaveränderung, das Zurückweisen aller Versuche derjenigen, die ihre Interessen in den relevanten Kapitalsektoren [&#8230;]]]></description>
  226. <content:encoded><![CDATA[
  227. <p><em>&#8220;Unite behind the science&#8221;</em>, der Zusammenschluss hinter der Wissenschaft, war und ist strömungsübergreifend eine der wichtigsten Forderungen der Klimabewegung <strong>–</strong> das Beharren auf der prinzipiellen wissenschaftlichen Erklärbarkeit der Welt und auf der überwältigenden Evidenz für den menschengemachten Anteil an der rapiden globalen Klimaveränderung, das Zurückweisen aller Versuche derjenigen, die ihre Interessen in den relevanten Kapitalsektoren verfolgen, die wissenschaftlichen Erklärungen zu untergraben und ihre praktische Umsetzung zu hintertreiben.</p>
  228.  
  229.  
  230.  
  231. <p>Ganz ähnlich wie für den Klimaschutz gilt das auch für den Pandemieschutz, wenn auch weniger in Form einer großen Massenbewegung. In beiden Fällen ist jedoch die Tendenz zu beobachten, einerseits die Interessen hinter und innerhalb der Wissenschaft selbst auszublenden und andererseits einem Konzept von Wissenschaft zu folgen, in dem ihre Voraussetzungen, Widersprüche und Konflikte mindestens in den Hintergrund treten wenn nicht komplett verschwinden.</p>
  232.  
  233.  
  234.  
  235. <p>Das schlägt sich sowohl auf die Wahl der Mittel und Zielrichtung der politischen Kampagnen durch als auch auf die begleitende populäre Wissenschaftsvermittlung. Da Staat und Kapital zumindest teilweise auf der eigenen Seite zu stehen scheinen, werden grundsätzliche, klassenbasierte Strategien gegen sie vernachlässigt und es wird vieles von ihrer jeweiligen PR geteilt und weitergegeben, darunter die Neigung, <strong>ideologisch motivierte Auffassungen als Dummheit</strong> zu behandeln und die meisten Menschen zu unterschätzen, wissenschaftliche Inhalte entsprechend stark zu vereinfachen und zuzuspitzen, Erkenntnisprozesse auf ihre (vorläufigen) Resultate und wenige prominente Beteiligte runterzubrechen, oft in einer Weise, die von der jeweils bekämpften Propaganda kaum zu unterscheiden ist.</p>
  236.  
  237.  
  238.  
  239. <p>Der Wissenschaftshistoriker Clifford D. Conner hat hier mit seinem 2005 erschienenen Buch <em>&#8220;A People&#8217;s History of Science: Miners, Midwives, and Low Mechanicks&#8221;</em> eine riesige Bresche geschlagen, die bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Er trägt darin für verschiedene Zeiträume, Schauplätze und Wissensgebiete Material zusammen, das zeigt, <strong>wie viele Menschen</strong> im Laufe der Geschichte wissenschaftliche Entdeckungen und Erklärungsansätze aus praktischen Fragestellungen der Arbeits- und Alltagswelt beim Jagen und Sammeln, beim Ackerbau, in Seefahrt, Bergbau, Handwerk und Heilkunde, aus der direkten und ständigen Auseinandersetzung mit Natur, Körper, den Elementen und den gesellschaftlichen Widersprüchen entwickelten. Gleichzeitig verfolgt Conner, wie die Institutionalisierung von Wissenschaft nicht nur als Kollateraleffekt, sondern ganz absichtlich zur Herrschaftssicherung diese Art von <em>&#8220;people&#8217;s science&#8221;</em> abgewertet und zurückgedrängt und damit viele Erkenntnisse teilweise lange verschleppt hat.</p>
  240.  
  241.  
  242.  
  243. <p>Zum Beispiel wurden zentrale technische Grundlagen der <strong>Industrialisierung</strong> nicht nur abseits der Universitäten, sondern im Widerspruch zu den dort vorherrschenden Erklärungsmodellen geschaffen, die erst in der Folge nach und nach angepasst wurden. Auch entstand in den Jahrzehnten vor Darwins berühmten Veröffentlichungen bereits ein Konzept von natürlicher <strong>Evolution</strong>, von dem in der heutigen Vermittlung praktisch nur der leise Spott über Lamarck und seine Widerlegung durch Darwin übriggeblieben sind. Anfänge von <strong>Umweltwissenschaften</strong> finden sich im engen Zusammenspiel mit der Französischen Revolution und prallen wie andere im Kontext egalitärer Bewegungen entstehende Konzepte einer verbundenen, kooperativen Natur (im deutschsprachigen Raum ist etwa der Mitbegründer des Bundes der Kommunisten Wilhelm Weitling ein Beispiel hierfür) am Dogma der Akademien ab, die den analytischen <em>&#8216;esprit systématique&#8217;</em> gegen den sozialrevolutionären <em>&#8216;esprit de système&#8217;</em> ausspielen. Immer wieder wird in der Folge die Durchsetzung der Kapitalherrschaft von der Setzung einer hierarchischen Objektivität begleitet, so wird Darwin zur Begründung für allmähliche soziale Revolution, schließlich zur Rechtfertigung für Konterrevolution gegen sprunghafte <em>&#8220;Entartung&#8221;</em>.</p>
  244.  
  245.  
  246.  
  247. <p>Ich bin vorsichtig mit diesem Buch, weil es mir viel zu sehr in den Kram passt, viele meiner eigenen Überlegungen unterfüttert und mir die Grundrichtung nicht nur einleuchtet, sondern politisch sehr nahe ist. Wegen der geringen Aufmerksamkeit für dieses Buch (und ähnliche Ansätze) habe ich bisher wenig Hilfe dabei gefunden, die Materialien und Beispiele abzuklopfen und nicht in die potentielle Falle zu tappen, nun theoretische Wissenschaft und Spezialisierung quasi im Gegenzug abzuwerten. Denn ohne Zweifel ist es sinnvoll, wenn sich Einzelne zur Reflexion zurückziehen können und es spezialisierte Forschungsbereiche gibt <strong>–</strong> diese Reflexion und diese Forschungsbedingungen sollten nur allen offenstehen, die Zugänge sollten proaktiv nivelliert werden, und es sollte immer klar sein, dass all diese Reflexion und Spezialisierung auf der Arbeit von so vielen anderen aufsetzt.</p>
  248.  
  249.  
  250.  
  251. <p>Spätestens wenn es im Buch um die Entstehung von <strong>Geologie und Paläontologie</strong> aus dem Bergbau geht und auch nicht einfach aus der gelehrten Betrachtung von Gruben und Schächten, sondern aus der Vorarbeit der Bergleute selbst, mit Schwerpunkten in Sachsen und im Harz, habe ich als begeisterter Waldgänger mit großer Faszination für Hinweise auf Arbeit und Leben im Wald ernsthafte Probleme mit meiner Parteilichkeit.</p>
  252.  
  253.  
  254.  
  255. <p>Aber auch im weiteren Sinn hatte und habe ich ein gebrochenes Verhältnis zur Wissenschaft: ich hatte zwar immer zahlreiche Berührung mit dem akademischen Betrieb, gehörte aber nie wirklich dazu; mein familiärer und sozialer Hintergrund liegt ähnlich widersprüchlich zwischen Walzwerk, POS und Uni; ich komme aus einem sozialistischen Land, in dem einerseits die historischen Kämpfe um die Wissenschaft Thema waren und auf wissenschaftliche Allgemeinbildung großer Wert gelegt wurde, in dem es andererseits aber immer diesen halben Klassenkompromiss der strukturell bürgerlichen Parteiherrschaft mit dem Wissenschaftsbürgertum gab; mein öffentliches Wirken zielt stark auf die Vermittlung zwischen Uni und Nicht-Uni, auf die Ermunterung zum Wissensaustausch zwischen den Sphären, auf das Brechtsche <em>&#8220;Lob des Lernens&#8221;</em>, auf die Auflösung der bürgerlichen Distinktionen bei den Arbeitskräften im akademischen Betrieb; für diese Priorisierungen habe ich immer wieder einen hohen persönlichen Preis bezahlen müssen.</p>
  256.  
  257.  
  258.  
  259. <p>Im Laufe der Zeit bestand ein immer größerer Teil dieses Wirkens daraus, wissenschaftliche Erklärungen zu erweitern und zu ergänzen, zu vertiefen und zu systematisieren, die Blindstellen in der Wissenschaft zu erhellen, ideologisch motivierte Begrenzungen und Verdrehungen sowie ganz allgemein die Unterordnung unter die Interessen von Staat und Kapital anzugreifen, das Interesse der Arbeitskräfte und einer von ihnen getragenen gesellschaftlichen Umwälzung an Wissenschaft herauszustreichen, Ansätze und Modelle zusammenzufassen und zusammenzuführen (wie Conner so eindrücklich in Erinnerung ruft, stehe ich damit ganz in der Tradition egalitärer Wissenschaft).</p>
  260.  
  261.  
  262.  
  263. <p>Das habe ich am längsten mit Ideologie (<em>&#8220;Entschwörungstheorie&#8221;</em>) und den überall verstreut vorliegenden Konzepten und Forschungsergebnissen zum Rausch getan (<em>&#8220;Leben im Rausch&#8221;</em>), ähnlich habe ich es für die Lust zumindest begonnen (<em>&#8220;Lust, Rausch und Zweifel&#8221;</em>) und für die evolutionäre und historische Anthropologie versucht (<em>&#8220;Die Hüftbewegung&#8221;</em>). Im geschichtswissenschaftlichen Bereich habe ich mich auf verschiedene m.E. besonders relevante Abschnitte konzentriert, darunter vor allem die revolutionären Auf- und Umbrüche hierzulande um 1500 und um 1900 (auch um den um 1990), dabei versucht, durch große Quellenvielfalt so viel wie möglich der ideologischen Erzählungen herauszurechnen und die dahinter/darunter verborgene soziale Wirklichkeit so gut wie möglich freizulegen <strong>–</strong> wie in der Einleitung zur <em>&#8220;Entschwörungstheorie&#8221;</em> die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, <strong>was die meisten Menschen die meiste Zeit über tun</strong>.</p>
  264.  
  265.  
  266.  
  267. <p>Fortlaufend unternehme ich eine verdichtete Zusammenschau dessen, was ich weiß, und dessen, was ich mir vorstellen kann, um über weitere Untersuchung und Tätigkeit zu entscheiden. Und in der gleichen Weise möchte ich dazu anstiften, sich über das eigene Wissen und dessen Herkunft Rechenschaft abzulegen und sich die Welt so vollständig wie möglich zu erklären, zur Spekulation anzuregen um Richtungen möglicher Forschung und Überprüfung zu gewinnen und damit mögliche Veränderungen von Arbeit, Leben, des ganzen Horizonts.</p>
  268.  
  269.  
  270.  
  271. <p>Aus Sicht der stark akademisierten Linken, die sich an eine Parteilichkeit für den Wissenschaftsbetrieb und den Staat (und weniger eingestanden für als kleinere Übel schöngequatschte Kapitalfraktionen) gegen den <em>&#8220;Mob&#8221;</em> gewöhnt hat, stellt sich das Problem nun so dar, dass Wissenschaft nur schwer zu kritisieren ist, ohne den überall blühenden reaktionären, wissenschaftsfeindlichen Diskursen Tür und Tor zu öffnen. Dagegen halte ich, dass eine konsequente Klassenposition dieses Problem vom Kopf auf die Füße stellen kann, die herrschaftlichen Interessen hinter Ideologie aufdecken, das Interesse der überwältigenden Mehrzahl der Menschen an wissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer Umsetzung begründen, den Klassenkonflikt innerhalb der Wissenschaft sichtbar machen, sich der innerakademischen Konkurrenz und der Polarisierung entlang rivalisierender Kapitalinteressen entziehen, allgemein dem Geniekult, dem Expertentum und der Konkurrenz die egalitäre Kooperation und Solidarität der Klasse entgegensetzen, klarmachen, wie Teile der vorherrschenden Wissenschaftsvermittlung selbst Tür und Tor für die Reaktion öffnet.</p>
  272.  
  273.  
  274.  
  275. <p>Conners historische Zusammenschau kann vielleicht dabei helfen, die Scheu vor dieser Auseinandersetzung zu verlieren und dazu ermutigen, bestehende Ansätze zur <strong>Arbeitskräfte-Organisierung an den Unis</strong> (unterbau, TVStud) und zur Einführung dort vernachlässigter Themen und Ansätze (Kritische Einführungswochen, Offene Uni) zu vertiefen und zu schärfen. Sie könnte es erleichtern, sich von liberalen Hegemoniekämpfen und Bekenntnispolitik zu lösen und stattdessen eigene Standpunkte aus der Formulierung von zulässigen Vereinfachungen und aus der Bildung von dynamischen Gegenidentitäten zu beziehen. Sie könnte die unter Linken verbreitete Distanz zu den Naturwissenschaften verringern helfen und allgemein zum Kampf gegen die herrschaftliche Unterwerfung der Wissenschaft und zur (Wieder-)Aneignung ihrer Ergebnisse anregen, die etwa in Fragen der Geschlechterpolitik, der menschlichen Evolution oder der Entstehungsgeschichte von Herrschaft von größtem Nutzen sein dürften.</p>
  276.  
  277.  
  278.  
  279. <p>Auch könnte die Lektüre dieses Buches den Blick dafür schärfen, dass reaktionäre Wendungen innerhalb der Linken bzw. Übertritte ins andere Lager nicht nur historisch auf spezifischen Aneignungen von Wissenschaft fußen (Darwinismus/Rassismus, wissenschaftliches Management wie im Taylorismus der Bolschewiki, dann Stalins <em>&#8220;Taylorismus von unten&#8221;</em>, generell die Fetischisierung von Theorie<img src="https://s.w.org/images/core/emoji/15.0.3/72x72/2122.png" alt="™" class="wp-smiley" style="height: 1em; max-height: 1em;" />, orthodoxer Zettelkasten-Marxismus wie bei Ebert, Verengung auf Psychoanalyse bis zur völligen Blindheit für die Bewusstseinsforschung). <strong>Auch wer heute nach rechts abbiegt, macht das oft auf der Grundlage einer <em>&#8220;Wissenschaftskritik&#8221;</em></strong> <strong>–</strong> an Gender, Klima, Covid oder an der <em>&#8220;etablierten Archäologie&#8221;</em> <strong>–</strong> verbiegt sich erkenntnismethodische Ansätze wie Dialektik oder Kritische Theorie zu einseitiger Rechtfertigungsgymnastik, argumentiert für vermeintlich volkstümliche, handgreifliche <em>&#8220;Wahrheit&#8221;</em>, als hätten Arbeitskräfte keine Instrumente, keine Computer und könnten keine Wahrscheinlichkeiten ermitteln.</p>
  280.  
  281.  
  282.  
  283. <p>Schließlich könnten einige von Conners Beispielen eine wirksamere, radikalere Wissenschaftsvermittlung im Sinne von Polytechnik, Inklusion und Klassenkampf nahelegen <strong>–</strong> mehr <strong>Mut zur zulässigen Vereinfachung</strong> und zur Einladung in die Wissenschaft!</p>
  284.  
  285.  
  286.  
  287. <p>Kurz, nicht nur <em>&#8220;Unite behind the science&#8221;</em>, sondern auch und vor allem <em>&#8220;Unite the science&#8221;</em>: den Teil der Wissenschaft, den Staat und Kapital für ihre Zwecke vereinnahmt und monopolisiert haben, aus seinem goldenen Käfig befreien, und mit dem Teil vereinen, der systematisch marginalisiert und ausgehungert wird. Daran wirke ich auch weiterhin gerne nach Kräften mit.</p>
  288.  
  289.  
  290. <div class="wp-block-image is-style-default">
  291. <figure class="aligncenter size-large"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-16-094749.png"><img decoding="async" width="1024" height="576" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-16-094749-1024x576.png" alt="" class="wp-image-18275" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-16-094749-1024x576.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-16-094749-300x169.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-16-094749-768x432.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2024/01/Screenshot-2024-01-16-094749.png 1366w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a></figure></div>]]></content:encoded>
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  294. </item>
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  296. <title>1923 &#8211; Rückblick auf das letzte Jahr der Revolution</title>
  297. <link>https://www.classless.org/2023/12/28/1923-ruckblick-auf-das-letzte-jahr-der-revolution/</link>
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  299. <dc:creator><![CDATA[classless]]></dc:creator>
  300. <pubDate>Thu, 28 Dec 2023 18:12:56 +0000</pubDate>
  301. <category><![CDATA[Antifa]]></category>
  302. <category><![CDATA[Arbeitskräfte]]></category>
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  307. <category><![CDATA[antifa]]></category>
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  309. <category><![CDATA[Bürgertum]]></category>
  310. <category><![CDATA[Deutschland]]></category>
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  313. <category><![CDATA[Reichswehr]]></category>
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  317. <category><![CDATA[Weihnachten]]></category>
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  319.  
  320. <description><![CDATA[Nach dem letzten offenen Aufstand im Mitteldeutschen Industriegebiet, in Hamburg, im Ruhrgebiet und im Südwesten im März 1921 befinden sich Hunderte auf der Flucht im Untergrund, von denen einige sich bis zu Karl Plättners Verhaftung Anfang 1922 (wenige noch weiter bis 1924) mit Raubüberfällen durchzuschlagen versuchen. Weitaus mehr Beteiligte der revolutionären Kämpfe, soweit sie nicht [&#8230;]]]></description>
  321. <content:encoded><![CDATA[
  322. <p><em>Nach dem letzten offenen Aufstand im Mitteldeutschen Industriegebiet, in Hamburg, im Ruhrgebiet und im Südwesten im März 1921 befinden sich Hunderte auf der Flucht im <strong>Untergrund</strong>, von denen einige sich bis zu Karl Plättners Verhaftung Anfang 1922 (wenige noch weiter bis 1924) mit Raubüberfällen durchzuschlagen versuchen. Weitaus mehr Beteiligte der revolutionären Kämpfe, soweit sie nicht wie Tausende unmittelbar erschossen wurden, sind nach harten Urteilen dem bereits stark faschistisch geprägten <strong>Strafvollzug</strong> ausgeliefert, in dem sie Folter und Misshandlungen erleiden müssen, was viele nicht überleben. Die erst 1921 gegründete <strong>Rote Hilfe</strong> liefert Rechtsbeistand und Unterstützung für Gefangene, Opfer und Angehörige aller Parteien.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/01/07/1923-beginnt-was-bisher-geschah/"><strong>1923 beginnt: Was bisher geschah</strong></a></p>
  323.  
  324.  
  325.  
  326. <p><em>Nun ruft ab dem 13. Januar 1923 die bürgerliche Regierung Cuno zum “passiven Widerstand” auf, sie <strong>stellt die nationale Interessenlage offen dem Klassenkampf gegenüber</strong> und kann ihn teilweise erfolgreich für sich einspannen. … Aus dem Interessenkonflikt zwischen deutscher, französischer und belgischer Regierung ist eine ständige Konfrontation von Soldaten und Zivilbevölkerung geworden.<br /></em><a href="https://www.classless.org/2023/01/11/1923-beginnt-11-januar-einmarsch-ins-ruhrgebiet/"><strong>1923 beginnt: 11. Januar – Französisch-belgischer Einmarsch ins Ruhrgebiet</strong></a></p>
  327.  
  328.  
  329.  
  330. <p><em>Ähnliches wie in Sachsen wird in den nächsten Monaten auch in Thüringen passieren: <strong>“Arbeiterregierung” und Bewaffnung der Arbeitskräfte</strong>. Das Interesse an revolutionärer Bewaffnung und das Interesse an antifaschistischer Bewaffnung fallen mehr und mehr zusammen. In Italien ist der Faschismus bereits an der Macht, in der “Ordnungszelle” Bayern formiert er sich rapide vor allem aus denen, die in den letzten Jahren die Revolution zusammengeschossen haben – und denen, die sie dabei anfeuerten und begünstigten.<br /></em><strong><a href="https://www.classless.org/2023/03/15/1923-beginnt-15-marz-linksrutsch-in-sachsen-arbeiterregierung-gegen-den-faschismus/">1923 beginnt: 15. März – Linksrutsch in Sachsen, &#8216;Arbeiterregierung&#8217; gegen den Faschismus</a></strong></p>
  331.  
  332.  
  333.  
  334. <p><em>Ursprünglich von der gigantischen Kriegsverschuldung aus dem Weltkrieg angestoßen, hatte die <strong>Inflation</strong> seither stetig zugenommen und dem Großkapital erlaubt, im großen Stil Betriebe und Immobilien zusammenzukaufen, im Falle von Hugo Stinnes auch z.B. Schiffe, Landgüter, Hotels und Zeitungen. Während die Rekordinflation ab 1923 nun auch inländische Staatsschulden abgeträgt und den Großgrundbesitz entschuldet, die Regierung sich ihren “passiven Widerstand” gegen die Reparationen einiges kosten lässt (vor allem Zahlungen für von Maßnahmen der Besatzungsmächte Betroffene sowie für Kohle), sind Rentner, Kleinsparer, Erwerbslose und viele andere Unterstützungempfänger existentiell getroffen und auch immer größere Teile des Klein- und Bildungsbürgertums.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/04/17/1923-beginnt-18-april-erwerbslose-belagern-rathaus-von-mulheim-ruhr/"><strong>1923 beginnt: 8. April – Erwerbslose belagern Rathaus von Mülheim/Ruhr</strong></a></p>
  335.  
  336.  
  337.  
  338. <p><em>Reichswehr und Nazis bekommen wegen des Besatzungsgeschehens im Ruhrgebiet unterdessen Oberwasser. Die sich im Frühjahr häufenden Fälle von Gewalt und Vergewaltigung (etwa 50 Fälle sind dokumentiert) durch die Besatzungstruppen werden von der nationalistischen deutschen Propaganda vor allem marokkanischen und anderen Kolonialtruppen zugeschrieben. Frauen, die im Verdacht standen, sich freiwillig mit den Besatzern einzulassen, wurden schon seit dem Vorjahr von ‘Scherenklubs’ öffentlich gedemütigt und misshandelt.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/05/23/1923-beginnt-24-mai-erwerbslose-kontrollieren-preise-mehrtagige-hungerproteste-in-dresden/"><strong>1923 beginnt: 24. Mai – Erwerbslose kontrollieren Preise, mehrtägige Hungerproteste in Dresden</strong></a></p>
  339.  
  340.  
  341.  
  342. <p><em><strong>Zetkin</strong>, deren Rede als eine der frühesten theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Faschismus überhaupt und insbesondere als “erste Analyse des italienischen Faschismus” (Schütrumpf) gilt, bezeichnet ihn als Strafe dafür, die Revolution nicht weitergeführt zu haben, nennt ihn einen “bunt zusammengewürfelten Gewalthaufen”, der als außerlegale, außerstaatliche Machtorganisation für den bürgerlichen Staat fungiert, aber anders als andere Formationen der Konterrevolution weit in alle Teile der Gesellschaft und auch bis ins Proletariat hineinreicht. … <strong>Selbstschutz gegen den Faschismus</strong>, wie er sich in den Betriebshundertschaften bildet, sieht sie als ständig gebotene Notwehr und ebenso als Weg in die Einheitsfront.<br />In Westsachsen, im Zwickauer Revier und im Erzgebirge, zeigen sich die veränderten sächsischen Verhältnisse, in denen die Proletarischen Hundertschaften als Ordnungskräfte teilweise die reguläre Polizei verdrängen können, durch <strong>immer selbstbewussteres Auftreten der Arbeitskräfte</strong>, die entgegen der Haltung der Großgewerkschaften, angesichts der durch Inflation geleerten Streikkassen auf Stillhalten und “Partnerschaft” mit dem Kapital zu setzen, zu Tausenden in Streik treten.</em><br /><a href="http://classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><strong>1923 Juni: Komintern debattiert Faschismus, Streiks in Sachsen, Prozess gegen Plättner in Halle</strong></a></p>
  343.  
  344.  
  345.  
  346. <p><em>Am 29. Juli 1923 findet in Deutschland der erste <strong>‘Antifaschistentag’</strong> statt, in Sachsen und Thüringen sind 150.000 überwiegend sozialdemokratische und kommunistische Arbeitskräfte auf der Straße, trotz Verboten in Berlin etwa 200.000, im Bezirk Halle-Merseburg 30.000, in Nordbayern 18.000, anderswo wird auf geschlossene Räume oder Ausflugslokale ausgewichen. Hauptforderungen sind die Entwaffnung faschistischer Gruppen und der Rücktritt der bürgerlichen Reichsregierung.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/07/28/juli-1923-antifaschistentag-streiks-und-militante-lohneintreibungen/"><strong>1923 Juli: ‘Antifaschistentag’, Streiks, militante Lohneintreibungen</strong></a></p>
  347.  
  348.  
  349.  
  350. <p><em>Am 10. August 1923 beginnt eine Streikwelle, die nach zwei Tagen mit 3,5 Millionen Streikenden an der Schwelle zum Generalstreik steht und zum Rücktritt der ohnehin angeschlagenen bürgerlichen Reichsregierung führt. Inmitten von ohrenbetäubendem Nationalismus, allgegenwärtigem konterrevolutionärem Militär, aufsteigendem Faschismus, galoppierender Inflation und immer noch fortwährend sich umwälzender Gesellschaft und Kultur kommen noch mal Millionen von Arbeitskräften zu sich, <strong>streiken zum dritten Mal in fünf Jahren die Regierung aus dem Amt</strong>, wollen die Revolution vollenden, die Republik verteidigen und mit ihren Räten die Sozialisierung von unten durchsetzen.<br /></em><a href="https://www.classless.org/2023/08/10/august-1923-millionenstreik-erzwingt-rucktritt-der-regierung/"><strong>1923 August: Millionenstreik erzwingt Rücktritt der Regierung</strong></a></p>
  351.  
  352.  
  353.  
  354. <p><em>Am 26. September 1923 ernennt der bayerische Ministerpräsident Eugen von Knilling seinen Amtsvorgänger Gustav Ritter von Kahr zum Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten. Dieser war im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 durch einen eigenen ‘kalten Putsch’ ins Amt gelangt, hatte Bayern zum Rückzugsraum für konterrevolutionäre Verbände gemacht (von den Massenmördern der Marinebrigade Ehrhardt über die terroristische Organisation Consul bis zur NSDAP), antisemitische Hetze betrieben und den Freistaat in einen <strong>autoritären Modellstaat</strong> geformt, den er die ‘Ordnungszelle’ nannte.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/09/26/26-september-1923-zweiter-kalter-putsch-in-bayern/"><strong>26. September 1923: Zweiter ‘kalter Putsch’ in Bayern &#8211; völkisch-antisemitische Diktatur</strong></a></p>
  355.  
  356.  
  357.  
  358. <p><em>Da sich Ministerpräsident Zeigner weigert, seine Regierung aufzulösen, und erklärt, nur der sächsische Landtag könne das (die Hundertschaften seien außerdem zur Abwehr der “schwarzen Reichswehr” erforderlich, weil die Reichswehr nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch nicht demokratisiert wurde), erlässt Reichspräsident <strong>Ebert </strong>am 29.10. eine Notverordnung, die im Rahmen der “Reichsexekution” die notfalls gewaltsame Absetzung der Landesregierung (seiner eigenen Partei!) erlaubt. (Im Grundgesetz der BRD ist das übrigens Artikel 37, der “Bundeszwang”.) Die <strong>Reichswehr</strong>, seit Tagen schon mit mittlerweile 60.000 Mann in Stellung gegangen, vertreibt Minister aus dem Staatsministerium, besetzt den Landtag und räumt ihn schließlich, setzt Zeigner fest, der am nächsten Tag seinen Rücktritt erklärt. Die neue Regierung wird schon wenige Tage später gegen die “Reichsexekution” klagen, aber die Tatsachen sind geschaffen.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/10/10/10-oktober-1923-spd-kpd-regierung-in-sachsen/"><strong>10. Oktober 1923: SPD-KPD-Regierung in Sachsen</strong></a></p>
  359.  
  360.  
  361.  
  362. <p><em>Am 2. November 1923 marschiert die Reichswehr in Zwickau und Chemnitz ein, nachdem sie in den Tagen zuvor das “rote Herz” Westsachsen von Dresden, Leipzig und Plauen her eingekreist hatte. Hier war in Städten wie <strong>Crimmitschau</strong> in den 1860er Jahren die revolutionäre Sozialdemokratie mit ihren sozialistischen Bildungsvereinen und Zeitungen entstanden, wurde die erste Industriegewerkschaft gegründet, die sogleich auch Frauen offenstand. Später klärte der erbitterte Crimmitschauer Textilstreik von 1903/04 die Fronten im Klassenkampf – hier die landesweite und teilweise internationale Solidarität mit dem Kampf um den Zehnstundentag, dort die Einheitsfront aus Staat, Kirche und Bürgertum, schon bald ergänzt um den vom Kanzler des Jahres 1923 <strong>Stresemann</strong> gegründeten Verband Sächsischer Industrieller.<br />Ab 5. November beginnen Einheiten der Reichswehr mit dem Einmarsch in den benachbarten Osten von <strong>Thüringen</strong>, zunächst unter dem schon während des Vormarschs durch Sachsen üblichen Vorwands gegen Streiks oder Plünderungen (bzw. Beschlagnahmungsaktionen von Lebensmitteln zur Verteilung an Hungernde) einschreiten zu müssen. </em>&#8230; <em>Der Thüringer VSPD-Abgeordnete Hermann Brill nennt es kurz darauf einen “indirekten Staatsstreich”, die “faktische Entmachtung der Landesregierung” unter “Ausnutzung des Ausnahmezustands”, spricht von gut abgestimmtem Vorgehen der Reichswehr mit der <strong>Allianz aus Bürgerparteien und Landbund</strong>, die sich im Februar 1924 <strong>mit Stimmen der NSDAP</strong> (Vereinigte Völkische Liste) <strong>zur nächsten Thüringer Regierung</strong> wählen lassen wird.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/11/02/2-november-1923-reichswehr-in-zwickau-und-chemnitz/"><strong>2. November 1923: Reichswehr in Zwickau und Chemnitz</strong></a></p>
  363.  
  364.  
  365.  
  366. <p><em>Die Revolution war jedoch nicht erfolg- und folgenlos, ihr Beispiel könnte immer noch Ansporn sein: <strong>am stärksten war die Revolution in den Momenten der Massenstreiks und der kollektiven Selbstermächtigung</strong>, dann konnte sie den Weltkrieg beenden, die Monarchie stürzen, ein bis dahin ungekanntes Niveau an Arbeitsrechten und politischer Beteiligung durchsetzen, Mittel und Zugänge nach unten umverteilen, 1920 einen frühen faschistischen Putsch vereiteln und schließlich 1923 sogar Teile des Großbürgertums zum vorübergehenden Bekenntnis zur Republik nötigen. Unverändert bleiben <strong>auch heute die stärksten Waffen der Arbeitskräfte ihr massenhafter egalitärer Zusammenschluss</strong>,<strong> ihre organisierte Verweigerung und Selbstaufklärung</strong>. Vor 100 Jahren war die Revolution zu Ende, und dieses Ende hat bis heute nicht aufgehört.</em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/12/01/dezember-1923-revolution-zu-ende/"><strong>Dezember 1923: Revolution zu Ende – Bürgertum und Militär gewinnen</strong></a></p>
  367.  
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  369.  
  370. <p><a href="https://www.facebook.com/revolution.in.deutschland.1918.bis.1923/posts/pfbid0LAGpWuiC7Rewjv9YLrg5MbQgD4FsMUwWNQjqWHLggW6UKZRaJkqKXdB9v6Gbhbbyl"><strong>Weihnachtsbotschaft der Leipziger Volkszeitung zum Hunger-Weihnachten 1923</strong></a>: <em>&#8220;Die Welt birgt ungeheure Massen von Weizen, Baumwolle, von Fleisch und Fett. Es kommt zuletzt nur darauf an, eine andere Verteilung herbeizuführen. Die kann aber nur im schärfsten Kampfe gegen die Besitzenden herbeigeführt werden… Wir befinden uns inmitten einer Krise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Sie wird zugrunde gehen… Dann wird Weihnachten sein für alle Menschen.&#8221;</em> </p>
  371.  
  372.  
  373.  
  374. <figure class="wp-block-image size-large is-style-default"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-12-28-184159.png"><img loading="lazy" decoding="async" width="1024" height="680" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-12-28-184159-1024x680.png" alt="" class="wp-image-18269" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-12-28-184159-1024x680.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-12-28-184159-300x199.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-12-28-184159-768x510.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-12-28-184159.png 1151w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a></figure>
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  380. <title>Dezember 1923: Revolution zu Ende</title>
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  383. <dc:creator><![CDATA[classless]]></dc:creator>
  384. <pubDate>Fri, 01 Dec 2023 08:51:00 +0000</pubDate>
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  409.  
  410. <description><![CDATA[Vor 100 Jahren, im Dezember 1923, ist die Revolution nach fünf Jahren zu Ende – alle Versuche, die Produktionsmittel zu vergesellschaften und das Militär zu demokratisieren, die Kriegsverantwortlichen aus Großbürgertum und Offizierskorps zu entmachten, sind niedergeschlagen oder vereitelt. Tausende Aufständische, Streikende und Köpfe der Selbstorganisation sind ermordet, viele Tausend mehr in Gefängnissen, Zuchthäusern und Internierungslagern [&#8230;]]]></description>
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  412. <p>Vor 100 Jahren, im Dezember 1923, ist die Revolution nach fünf Jahren zu Ende – alle Versuche, die Produktionsmittel zu vergesellschaften und das Militär zu demokratisieren, die Kriegsverantwortlichen aus Großbürgertum und Offizierskorps zu entmachten, sind niedergeschlagen oder vereitelt. Tausende Aufständische, Streikende und Köpfe der Selbstorganisation sind ermordet, viele Tausend mehr in Gefängnissen, Zuchthäusern und Internierungslagern Misshandlungen ausgesetzt, der militärische Ausnahmezustand dauert noch bis Ende Februar an, der zivile bis Oktober.</p>
  413.  
  414.  
  415.  
  416. <p>Justiz und Staatsgewalt haben schon ihre legendäre <strong>selektive Härte</strong> gegen links und unten bei Milde gegen rechts und oben entwickelt, nicht zuletzt der Kontrast zwischen dem Vorgehen gegen die <em>&#8220;roten&#8221;</em> Freistaaten Sachsen und Thüringen und gegen die <em>&#8220;Ordnungszelle&#8221;</em> Bayern macht das deutlich, zwischen einerseits der Verhaftung von sozialistisch und republikanisch gesinnten Ministern und Bürgermeistern und andererseits dem Gewährenlassen der bayerischen völkisch-antisemitischen Diktatur, aber auch zwischen den langjährigen Zuchthausstrafen gegen Karl Plättners Leute für bloße Gewaltandrohungen und der nicht mal einjährigen Luxushaft für Hitler bei Freispruch für Ludendorff nach einem bewaffneten Putschversuch mit dem Programm des späteren NS-Staats. Während die Rote Hilfe, sofern legalistische Erwägungen aus der KPD sie nicht daran hindern, tut, was sie kann, ist die Option eines revolutionären Untergrunds mit der Verurteilung und Haft von Plättners Bandenstruktur erledigt. Unterdessen zieht die Reichswehr immer noch straflos im Regierungsauftrag ihre Blutspur durch Sachsen und Thüringen. Die neue konterrevolutionäre Landesregierung des Bürgertums und Grundbesitzes, die durch den militärischen Terror in Thüringen an die Macht geschoben wird, gewinnt die Wahlen im Februar auch mit Stimmen der NSDAP (Vereinte Völkische Liste). Sie hetzt u.a. gegen Bauhaus, worin sie allen <em>&#8220;undeutschen Sittenverfall&#8221;</em> konzentriert sieht, und wird es Ende 1924 aus Weimar vertreiben.</p>
  417.  
  418.  
  419.  
  420. <p>Die sächsische SPD, die sich Anfang Dezember auf ihrem Parteitag noch für eine erneute Beteiligung der KPD und <em>&#8220;mit aller Entschiedenheit gegen die barbarischen Willkürakte … des militärischen Terrors&#8221;</em> ausspricht, kann sich in der Folge nur in einer Koalition mit DDP und DVP an der Regierung halten, auf Reichsebene wird weiter bürgerlich durchregiert, nun ganz ohne SPD. Neuer Kanzler nach Stresemann ist seit Monatswechsel der Richter Wilhelm Marx von der katholischen Zentrumspartei, der mit drastischen Maßnahmen die am 15. November eingeführte Rentenmark zu stabilisieren sucht: Kürzungen öffentlicher Ausgaben, Kürzung der Gehälter der öffentlich Beschäftigten unter Vorkriegsniveau, Entlassung eines Viertels von ihnen (400.000 Beamte, Angestellte, Arbeiter), Soforteintreibung ausstehender Steuern in neuer Währung auf Grundlage von Daten aus dem Vorjahr (was Inflationsgewinne ausnimmt), Erhöhung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst und als direkter Angriff auf die Errungenschaften der Revolution die <strong>Abschaffung des Achtstundentags</strong>. Dagegen streiken bis Januar Hunderttausende, können aber nichts mehr durchsetzen und werden massenhaft ausgesperrt. Zum Jahreswechsel beziehen 5,7 Millionen Arbeitslosenunterstützung, davon 3,5 Millionen Vollerwerbslose. Das Bürgertum war mit seiner Inflationspolitik bis an die Grenzen gegangen und lässt nun alle anderen die Rechnung bezahlen. Stinnes fädelt einen letzten großen Deal mit Frankreich ein, der zwar Reparationszahlungen enthält, welche die Zechenbesitzer jedoch größtenteils abwälzen können.</p>
  421.  
  422.  
  423.  
  424. <p>Nicht nur belässt die neue Regierung die Zustände in Bayern, der neue Reichsjustizminister Erich Emminger ist aus Kahrs und Knillings Bayerischer Volkspartei und setzt im Januar 1924 auf der Grundlage des geltenden Ermächtigungsgesetzes Verordnungen zur kostensparenden Verfahrensbeschleunigung durch, darunter die <strong>Abschaffung des Geschworenengerichts</strong>, die grundsätzlich bis heute noch gilt. </p>
  425.  
  426.  
  427.  
  428. <p>Und schließlich sagt immer noch der Reichspräsident, wann Demokratie ist, welche Wahlen und Regierungsbildungen anerkannt werden, wann die Armee einmarschiert und wann nicht, und auch wann das Parlament widersprechen kann – als am 13. März die Anträge von SPD, KPD und den Deutschnationalen gegen die Kürzungspolitik beraten werden sollen, löst Ebert den Reichstag auf, was Neuwahlen bedeutet, gerade wenige Wochen vor Ende der Legislaturperiode.</p>
  429.  
  430.  
  431.  
  432. <p><strong>In der Sowjetunion sind die Ereignisse in Deutschland ein wesentlicher Teil des Machtkampfs um Lenins Nachfolge.</strong> Die Kominternführung legt wenige Tage vor Lenins Tod am 21. Januar eine verbindliche Lesart fest, welche die Geschichte der Revolution umschreibt und die Verantwortung für das Scheitern ihrer Intervention (<em>&#8216;Deutscher Oktober&#8217;</em>), deren Planung wie auch Beendigung eng mit Komintern und KPdSU abgestimmt, weitgehend von ihr bestimmt worden waren, den Konstrukten eines zögerlichen Reformismus (Brandler) und eines revolutionären Abenteurertums (Radek) zuschiebt, zwischen denen sich Stalins Troika schließlich als die vernünftige Mittelposition inszenieren kann, die sich gegen den <em>&#8220;Block der Rechten und Trotzkisten&#8221;</em> durchsetzt und nun <em>&#8220;Stabilisierung&#8221;</em> treiben und diplomatische Beziehungen zum Westen aufbauen kann. In der KPD werden erst jetzt die an der Sowjetunion orientierten Kräfte tonangebend, die sich vom Programm der Revolution (Demokratie, Entmilitarisierung, Sozialisierung von unten) entfernen und die Partei als Vorhutorganisation nach bolschewistischem Vorbild zentralisieren und militarisieren werden (da ist nun der Bolschewismus, vor dem uns Ebert schon vorher gerettet haben will und dessen Aufstieg er mit seiner Terrorpolitik begünstigt hat) – diese neue Parteiführung wird bis auf Thälmann in den folgenden Jahren von der Stalinisierung verdrängt werden, die sie so selbst mit auf den Weg bringt.</p>
  433.  
  434.  
  435.  
  436. <p>Ohne das Korrektiv generalstreikender und aufständischer Massen kippt die deutsche Gesellschaft in der Folge weiter in den völkischen Nationalismus der alten herrschenden Klassen, verbleiben öffentlicher Raum und Wohnviertel immer vollständiger unter polizeilicher und kommerzieller Kontrolle, re-militarisiert sich der politische Diskurs. 1924 organisieren erst SPD, Zentrum und DDP ihre Weltkriegsveteranen im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dann die KPD die ihren im Roten Frontkämpferbund. 1925 wird Hindenburg zum Reichspräsidenten gewählt.</p>
  437.  
  438.  
  439.  
  440. <p>Die eintretende ökonomische Stabilisierung beruht maßgeblich auf US-amerikanischen Interventionen in die Reparationsverhandlungen, der folgende Aufschwung basiert, wie in Frankreich und Großbritannien, auf US-Krediten, und endet wie dort mit dem Ausbruch der großen Krise 1929. Kurz davor ist die SPD noch mal an der Regierung, bis sie über eine geringfügige Erhöhung des Arbeitslosengeldes stürzt und das Bürgertum endlich beginnen kann, die parlamentarische Demokratie wieder auseinanderzunehmen. <strong>Mit der Machtübernahme der Nazis kommt 1933 schließlich die militärische Konterrevolution selbst an die Macht</strong>, wiederholt, was sie zuvor im Regierungsauftrag getan hatte, und weitet es in die ganze Gesellschaft und schließlich in weite Teile der Welt aus. Den Jahrestag der Revolution überschreiben sie mit dem Jahrestag ihres konterrevolutionären Putschversuchs, auf brutalste Weise am 9. November 1938. Ihr Weltkrieg gegen die <em>&#8220;jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung&#8221;</em> soll bis zuletzt die Revolution rückgängig machen, Hitler will <em>&#8220;den deutschen Arbeiter für die Nation&#8221;</em> zurückgewinnen, sieht hinter sich <em>&#8220;ein Volk&#8221;</em> marschieren, <em>&#8220;und zwar ein anderes als das vom Jahre 1918&#8221;</em>.</p>
  441.  
  442.  
  443.  
  444. <p>Mark Jones sieht wie viele andere in der endgültigen Niederschlagung der Revolution und der Ebnung des Weges zur Macht für die militärische Konterrevolution den <em>&#8220;Sieg der Demokraten&#8221;</em>, weil so das Bild von der <em>&#8220;gegen links wie rechts wehrhaften Weimarer Demokratie&#8221;</em> gerettet werden kann. Bis heute dominiert die politische Auswahl zwischen Ebert oder Lenin, während die Stinnes, Kahr und Hitler stets parat stehen.</p>
  445.  
  446.  
  447.  
  448. <p>Die Revolution war jedoch nicht erfolg- und folgenlos, ihr Beispiel könnte immer noch Ansporn sein: am stärksten war die Revolution in den Momenten der Massenstreiks und der kollektiven Selbstermächtigung, dann konnte sie den Weltkrieg beenden, die Monarchie stürzen, ein bis dahin ungekanntes Niveau an Arbeitsrechten und politischer Beteiligung durchsetzen, Mittel und Zugänge nach unten umverteilen, 1920 einen frühen faschistischen Putsch vereiteln und schließlich 1923 sogar Teile des Großbürgertums zum vorübergehenden Bekenntnis zur Republik nötigen. <strong>Unverändert bleiben auch heute die stärksten Waffen der Arbeitskräfte ihr massenhafter egalitärer Zusammenschluss, ihre organisierte Verweigerung und Selbstaufklärung.</strong></p>
  449.  
  450.  
  451.  
  452. <p>Vor 100 Jahren war die Revolution zu Ende, und dieses Ende hat bis heute nicht aufgehört.</p>
  453.  
  454.  
  455. <div class="wp-block-image is-style-default">
  456. <figure class="aligncenter size-large"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-11-22-201240.png"><img loading="lazy" decoding="async" width="1024" height="576" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-11-22-201240-1024x576.png" alt="" class="wp-image-18263" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-11-22-201240-1024x576.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-11-22-201240-300x169.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-11-22-201240-768x432.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/12/Screenshot-2023-11-22-201240.png 1366w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a><figcaption class="wp-element-caption"><em>Die Bildcollage aus zwei Zeichnungen von George Grosz in &#8220;<a href="https://monoskop.org/images/9/91/Grosz_George_Das_Gesicht_der_herrschenden_Klasse_1921.pdf">Das Gesicht der herrschenden Klasse</a>&#8221; (1921) zeigt die Sieger &#8211; Tucholsky: &#8220;das meisterlichste Bildwerk der Nachkriegszeit&#8221; &#8211; Grosz und Heartfield werden im Februar 1924 für &#8220;Ecce Homo&#8221; auf Grundlage des Unzuchtsparagrafen (§ 184 StGB &#8220;Angriff auf die öffentliche Moral&#8221;) zu Geldstrafen verurteilt, Grafiken werden konfisziert, Vorlagen zerstört</em></figcaption></figure></div>
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  459. <p class="has-text-align-center">***</p>
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  461.  
  462.  
  463. <p>• 1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/07/1923-beginnt-was-bisher-geschah/">Was bisher geschah</a><br /></em>• 1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/11/1923-beginnt-11-januar-einmarsch-ins-ruhrgebiet/">11. Januar &#8211; Einmarsch ins Ruhrgebiet</a></em><br />• 1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/03/15/1923-beginnt-15-marz-linksrutsch-in-sachsen-arbeiterregierung-gegen-den-faschismus/"><em>15. März – Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus</em></a><br />• 1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/04/17/1923-beginnt-18-april-erwerbslose-belagern-rathaus-von-mulheim-ruhr/"><em>18. April – Erwerbslose belagern Rathaus von Mülheim/Ruhr</em></a><br />• 1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/05/23/1923-beginnt-24-mai-erwerbslose-kontrollieren-preise-mehrtagige-hungerproteste-in-dresden/"><em>24. Mai – Erwerbslose kontrollieren Preise, mehrtägige Hungerproteste in Dresden</em></a><br />• 1923 <a href="https://www.classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>Juni</em></a><a href="http://classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>: Komintern debattiert Faschismus, Streiks in Sachsen, Prozess gegen Plättner in Halle</em></a><br />• 1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/07/28/juli-1923-antifaschistentag-streiks-und-militante-lohneintreibungen/">Juli: &#8216;Antifaschistentag&#8217;, Streiks, militante Lohneintreibungen</a></em><br />• 1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/08/10/august-1923-millionenstreik-erzwingt-rucktritt-der-regierung/">August: Millionenstreik erzwingt Rücktritt der Regierung</a></em><br />• 26. September 1923: <a href="https://www.classless.org/2023/09/26/26-september-1923-zweiter-kalter-putsch-in-bayern/"><em>Zweiter ‘kalter Putsch’ in Bayern</em></a><br />• 10. Oktober 1923: <a href="https://www.classless.org/2023/10/10/10-oktober-1923-spd-kpd-regierung-in-sachsen/"><em>SPD-KPD-Regierung in Sachsen</em></a><br />• 2. November 1923: <a href="https://www.classless.org/2023/11/02/2-november-1923-reichswehr-in-zwickau-und-chemnitz/"><em>Reichswehr in Zwickau und Chemnitz</em></a><br /><br />Alle Postings zur Revolution<em>: <a href="https://www.classless.org/contact/%e2%96%ba1918-23-revolution-in-deutschland/">Revolution in Deutschland 1918-23</a></em></p>
  464. ]]></content:encoded>
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  467. </item>
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  469. <title>2. November 1923: Reichswehr in Zwickau und Chemnitz</title>
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  473. <pubDate>Thu, 02 Nov 2023 08:26:07 +0000</pubDate>
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  501.  
  502. <description><![CDATA[Am 2. November 1923 marschiert die Reichswehr in Zwickau und Chemnitz ein, nachdem sie in den Tagen zuvor das &#8220;rote Herz&#8221; Westsachsen von Dresden, Leipzig und Plauen her eingekreist hatte. Hier war in Städten wie Crimmitschau in den 1860er Jahren die revolutionäre Sozialdemokratie mit ihren sozialistischen Bildungsvereinen und Zeitungen entstanden, wurde die erste Industriegewerkschaft gegründet, [&#8230;]]]></description>
  503. <content:encoded><![CDATA[
  504. <p>Am 2. November 1923 marschiert die Reichswehr in Zwickau und Chemnitz ein, nachdem sie in den Tagen zuvor das <em>&#8220;rote Herz&#8221;</em> Westsachsen von Dresden, Leipzig und Plauen her eingekreist hatte. Hier war in Städten wie <strong>Crimmitschau</strong> in den 1860er Jahren die revolutionäre Sozialdemokratie mit ihren sozialistischen Bildungsvereinen und Zeitungen entstanden, wurde die erste Industriegewerkschaft gegründet, die sogleich auch Frauen offenstand. Später klärte der erbitterte <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Crimmitschauer_Streik">Crimmitschauer Textilstreik</a> von 1903/04 die Fronten im Klassenkampf &#8211; hier die landesweite und teilweise internationale Solidarität mit dem Kampf um den Zehnstundentag, dort die Einheitsfront aus Staat, Kirche und Bürgertum, schon bald ergänzt um den vom Kanzler des Jahres 1923 Stresemann gegründeten Verband Sächsischer Industrieller.</p>
  505.  
  506.  
  507.  
  508. <p>Wieder rückt die Reichswehr aus mehreren Richtungen gleichzeitig in die Städte vor, in <strong>Chemnitz</strong> gegen 10 Uhr von 5 Seiten je ein Bataillon konzentrisch zum Heumarkt, Polizeitruppen haben nachts bereits wichtige Gebäude besetzt, dann folgt das Programm der letzten beiden Wochen: Abschreckung und Überrumpelung, Verhaftungen und Willkür. In Zwickau wird das <em>Sächsische Volksblatt</em> besetzt und verboten, die Besatzung der Stadt dauert bis in den Dezember.</p>
  509.  
  510.  
  511.  
  512. <p>Während in Berlin <strong>alle Minister der SPD aus Stresemanns Regierung austreten</strong>, weil dieser den Abzug der Reichswehr aus Sachsen und jedes Vorgehen gegen Bayern verweigert, entwickelt die militärische Konterrevolution ein weiteres Mal ihre Eigendynamik. Ab 5. November beginnen Einheiten der Reichswehr mit dem Einmarsch in den benachbarten Osten von <strong>Thüringen</strong>, zunächst unter dem schon während des Vormarschs durch Sachsen üblichen Vorwands gegen Streiks oder Plünderungen (bzw. Beschlagnahmungsaktionen von Lebensmitteln zur Verteilung an Hungernde) einschreiten zu müssen. Notfalls werden Vorwände erzeugt: Waffenfunde, die zur Thüringer Polizei gehören, werden den Hundertschaften zugeordnet und als nachträgliche Bestätigung des Einmarsches herangezogen.</p>
  513.  
  514.  
  515.  
  516. <p>In <strong>Eisenberg</strong> wird der SPD-Bürgermeister verhaftet, in <strong>Wasungen</strong> läuft der Besitzer der Brauerei mit den Truppen durch den Ort und sagt ihnen, wen sie verhaften sollen, oft unterstrichen von Schlägen gegen die Betroffenen. Hier wird noch deutlicher sichtbar als zuvor, dass ein erheblicher Teil der Reichswehr eine eigene Agenda verfolgt und im wesentlichen das Modell Bayern durchzusetzen versucht: es werden so viele Abgeordnete und Amtsträger verhaftet, dass die linken Lokalverwaltungen handlungsunfähig werden, die rote politische Mehrheit untergraben wird. Dabei sind Revolution und Republik praktisch synonyme Vorwürfe. Der Thüringer VSPD-Abgeordnete Hermann Brill nennt es kurz darauf einen <em>&#8220;indirekten Staatsstreich&#8221;</em>, die <em>&#8220;faktische Entmachtung der Landesregierung&#8221;</em> unter <em>&#8220;Ausnutzung des Ausnahmezustands&#8221;</em>, spricht von gut abgestimmtem Vorgehen der Reichswehr mit der Allianz aus Bürgerparteien und Landbund, die sich im Februar 1924 mit Stimmen der NSDAP (Vereinigte Völkische Liste) zur nächsten Thüringer Regierung <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kabinett_Leutheu%C3%9Fer_I">wählen lassen wird</a>.</p>
  517.  
  518.  
  519.  
  520. <p>Die Reichswehr bewegt sich auf breiter Front immer tiefer nach Thüringen hinein, unterstellt sich am 6. November die Landespolizei und rückt aus westlicher Richtung in <strong>Gotha</strong> ein. Nachdem am 8. November <strong>Weimar</strong> besetzt ist (Hausdurchsuchung auch bei Bauhaus-Direktor Walter Gropius) und in <strong>Jena</strong> die Zuflucht der im August in Preußen und Ende September reichsweit verbotenen Betriebsrätebewegung erreicht wird, versucht die Arbeiterregierung der vollen <em>&#8220;Reichsexekution&#8221;</em> wie in Sachsen durch den Austritt der KPD-Minister am 12. November zuvorzukommen. Am 14. November wird der Landtag suspendiert, am 23. die KPD reichsweit verboten, Anfang Dezember tritt Ministerpräsident Frölich offiziell zurück. In heutigen Darstellungen dieses ganzen Vorgangs heißt es, die Thüringer Landesregierung habe sich <em>&#8220;freiwillig aufgelöst&#8221;</em>.</p>
  521.  
  522.  
  523. <div class="wp-block-image is-style-default">
  524. <figure class="aligncenter size-full"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-091019.png"><img loading="lazy" decoding="async" width="772" height="203" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-091019.png" alt="" class="wp-image-18244" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-091019.png 772w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-091019-300x79.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-091019-768x202.png 768w" sizes="(max-width: 772px) 100vw, 772px" /></a><figcaption class="wp-element-caption"><em>Wikipedia, das Deutsche Historische Museum und leider auch die RLS</em></figcaption></figure></div>
  525.  
  526.  
  527. <p>Ab dem 2. November kommt es in <strong>Berlin</strong> zu einer Häufung von Plünderungen, besonders betroffen sind Bäckereien im osteuropäisch-jüdisch geprägten <strong>Scheunenviertel</strong>, das schon zuvor wiederholt sowohl von Pogromen wie von Polizeirazzien heimgesucht wurde. Als am 5. November die Auszahlung der Arbeitslosenunterstützung in der Gormannstraße wegen Geldmangels eingestellt wird, streuen Unbekannte antisemitische Gerüchte über Geldhortung und mobilisieren von dort eine Menge von Hunderten, die bald auf mehrere Tausend anwächst, ins benachbarte Scheunenviertel, wo es zu Angriffen auf Geschäfte und Personen kommt, die als jüdisch identifiziert werden. In der angrenzenden <strong>Friedrichstadt</strong> sind es NSDAPler aus der Universität, die ihnen jüdisch erscheinende Menschen auf der Straße verprügeln und bedrohen.</p>
  528.  
  529.  
  530.  
  531. <p>Jüdische Kriegsveteranen, bislang auf ihre Distinktion gegenüber den armen jüdischen Neuzugewanderten bedacht, kommen umgehend zu Hilfe, können Schlimmeres verhindern, indem sie vor der Volksbühne die Angriffe auf sich ziehen &#8211; die <strong>Polizei</strong>, die auffällig spät auftaucht, nimmt sie genauso mit wie etwa 200 andere jüdische Angegriffene. Einige von ihnen werden in der Haft so schwer misshandelt, dass die Beamten verurteilt und entlassen werden &#8211; auch damals ein seltener Vorgang.<br />Die SPD veranstaltet in den folgenden Tagen 12 Demonstrationen gegen die Gefahr des Antisemitismus &#8211; die Reichsregierung, aus der sie gerade ausgetreten ist, lässt die antisemitische Diktatur in Bayern unterdessen gewähren.</p>
  532.  
  533.  
  534.  
  535. <p>Als <strong>Hitler und Ludendorff</strong> am Vorabend des Revolutionsjubiläums ihre nationale Gegenrevolution ausrufen, um am 9. November von München ihren <em>&#8220;Marsch auf Berlin&#8221;</em> anzutreten und endlich den <em>&#8220;Novemberverrat&#8221;</em> zu tilgen, mit den <em>&#8220;Novemberverbrechern abzurechnen&#8221;</em>, sieht Diktator Gustav von Kahr mit der Zerschlagung der roten Regierungen in Sachsen und Thüringen, mit der <em>&#8220;Ausräucherung&#8221;</em> ihrer Basis und mit der weiteren Aussicht auf eine rechtsbürgerliche Reichsregierung, die gegen die <em>&#8220;Ordnungszelle Bayern&#8221;</em> nicht viel unternimmt, das für den Moment Mögliche soweit getan und möchte sich daher in kein aussichtsloses Abenteuer hineinziehen lassen. Schon gar nicht von denen, die seine Fußtruppen hatten sein sollen! Der heute immer noch oft drei Nummern zu groß <em>&#8220;Novemberputsch&#8221;</em> genannte Aufmarsch wird von den Gewehren der Polizei gestoppt. In einem kurzen Schusswechsel auf dem Odeonsplatz sterben 4 Polizisten und 13 der Hitlerleute.</p>
  536.  
  537.  
  538.  
  539. <p>Mit der gegen Hitler danach vor Gericht geübten relativen Milde können <strong>Karl Plättner</strong> und ein Dutzend derer, mit denen er nach der Niederschlagung des Mitteldeutschen Aufstands 1921 <em>&#8220;revolutionären Bandenkampf&#8221;</em> versuchte, nicht rechnen. Obwohl der <strong>Staatsgerichtshof in Leipzig</strong>, vor den die Angeklagten ihren vormals als Strafsache in Halle angesetzten Prozess nun als politischen haben bringen können, anerkennt, dass die Gewalt nur aus ihrer Drohung bestand und die Motivation nicht in Zweifel steht, werden bei der Verurteilung am 30. November gegen fast alle mehrjährige Gefängnisstrafen ausgesprochen, die Hälfte von ihnen kommt ins Zuchthaus. Obwohl sie in der langen Untersuchungshaft bereits erfahren mussten, wieviel Rachebedürfnis gegen ihresgleichen im Strafvollzug herrscht, belasten sie sich nicht gegenseitig und stehen zu ihren Taten. Plättner wird Anfang 1924 versuchen, seine sterbende Mutter in Thale zu besuchen, schließlich wenigstens an ihrer Beerdigung teilzunehmen, beides wird ihm kommentarlos verwehrt &#8211; die preußische KPD-Landtagsfraktion schreibt ihm, er solle sich keine Hoffnungen machen: <em>&#8220;Ja, wenn du Hitler wärst oder zu dieser Gilde gehörtest, dann wäre das etwas anderes.&#8221;</em></p>
  540.  
  541.  
  542.  
  543. <p>Während Hitler im Februar und März 1924 das Volksgericht in München als Bühne benutzen kann und nicht vor den Staatsgerichtshof in Leipzig muss, lässt dieser anders als zuvor das Schwurgericht in Halle keine längere Verteidigungsrede Plättners zu. Er kommentiert die Verlesung der Strafanträge mit <em>&#8220;Da pfeifen wir drauf!&#8221;</em> und ruft nach der Urteilsverkündung laut in den Saal: <em>&#8220;Lebt wohl, Genossen! Die Internationale wird die Menschheit sein!&#8221;</em> Aus dem Zuschauerraum kommen Hochrufe zurück.</p>
  544.  
  545.  
  546. <div class="wp-block-image is-style-default">
  547. <figure class="aligncenter size-large"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-022623.png"><img loading="lazy" decoding="async" width="1024" height="576" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-022623-1024x576.png" alt="" class="wp-image-18245" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-022623-1024x576.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-022623-300x169.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-022623-768x432.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/11/Screenshot-2023-11-02-022623.png 1366w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a><figcaption class="wp-element-caption"><em>Reichswehr besetzt die &#8220;Neue Zeitung&#8221; der KPD in Jena, 11. November 1923</em></figcaption></figure></div>
  548.  
  549.  
  550. <p class="has-text-align-center">***</p>
  551.  
  552.  
  553.  
  554. <p>1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/07/1923-beginnt-was-bisher-geschah/">Was bisher geschah</a><br /></em>1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/11/1923-beginnt-11-januar-einmarsch-ins-ruhrgebiet/">11. Januar &#8211; Einmarsch ins Ruhrgebiet</a></em><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/03/15/1923-beginnt-15-marz-linksrutsch-in-sachsen-arbeiterregierung-gegen-den-faschismus/"><em>15. März – Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus</em></a><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/04/17/1923-beginnt-18-april-erwerbslose-belagern-rathaus-von-mulheim-ruhr/"><em>18. April – Erwerbslose belagern Rathaus von Mülheim/Ruhr</em></a><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/05/23/1923-beginnt-24-mai-erwerbslose-kontrollieren-preise-mehrtagige-hungerproteste-in-dresden/"><em>24. Mai – Erwerbslose kontrollieren Preise, mehrtägige Hungerproteste in Dresden</em></a><br />1923 <a href="https://www.classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>Juni</em></a><a href="http://classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>: Komintern debattiert Faschismus, Streiks in Sachsen, Prozess gegen Plättner in Halle</em></a><br />1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/07/28/juli-1923-antifaschistentag-streiks-und-militante-lohneintreibungen/">Juli: &#8216;Antifaschistentag&#8217;, Streiks, militante Lohneintreibungen</a></em><br />1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/08/10/august-1923-millionenstreik-erzwingt-rucktritt-der-regierung/">August: Millionenstreik erzwingt Rücktritt der Regierung</a></em><br />26. September 1923: <a href="https://www.classless.org/2023/09/26/26-september-1923-zweiter-kalter-putsch-in-bayern/"><em>Zweiter ‘kalter Putsch’ in Bayern</em></a><br />10. Oktober 1923: <a href="https://www.classless.org/2023/10/10/10-oktober-1923-spd-kpd-regierung-in-sachsen/"><em>SPD-KPD-Regierung in Sachsen</em></a><br />Alle Postings zur Revolution<em>: <a href="https://www.classless.org/contact/%e2%96%ba1918-23-revolution-in-deutschland/">Revolution in Deutschland 1918-23</a></em></p>
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  560. <title>10. Oktober 1923: SPD-KPD-Regierung in Sachsen</title>
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  564. <pubDate>Mon, 09 Oct 2023 22:03:08 +0000</pubDate>
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  587.  
  588. <description><![CDATA[Am 10. Oktober 1923 tritt die KPD in die sächsische SPD-Landesregierung unter Erich Zeigner ein, mit der sie bereits seit März auf Grundlage eines Tolerierungsabkommens kooperiert. Mit diesem Schritt folgt die KPD-Führung gegen besseres Wissen dem Revolutionsplan der Komintern (&#8220;Deutscher Oktober&#8221;), obwohl die darin vorgesehenen Wirkungen &#8211; deutlich bessere Bewaffnung der gemeinsamen proletarischen Hundertschaften und [&#8230;]]]></description>
  589. <content:encoded><![CDATA[
  590. <p>Am 10. Oktober 1923 tritt die KPD in die sächsische SPD-Landesregierung unter Erich Zeigner ein, mit der sie bereits seit März auf Grundlage eines Tolerierungsabkommens kooperiert. Mit diesem Schritt folgt die KPD-Führung <strong>gegen besseres Wissen</strong> dem Revolutionsplan der Komintern (<em>&#8220;Deutscher Oktober&#8221;</em>), obwohl die darin vorgesehenen Wirkungen &#8211; deutlich bessere Bewaffnung der gemeinsamen proletarischen Hundertschaften und Zugriff auf die reguläre Staatsgewalt &#8211; weder zu erwarten sind noch eintreten. Paul Böttcher wird Finanzminister, Fritz Heckert Wirtschaftsminister, KPD-Vorsitzender Heinrich Brandler der Leiter der Staatskanzlei.</p>
  591.  
  592.  
  593.  
  594. <p>Auch wenn bürgerliche Presse und zuständige Ministerien schon vorm Regierungseintritt auf militärisches Eingreifen in Sachsen drängen, machen es die offene Koalitionsbildung und ein am gleichen Tag im KPD-Zentralorgan <em>&#8220;Die Rote Fahne&#8221;</em> veröffentlichter Brief Stalins (<em>&#8220;Die kommende Revolution in Deutschland ist das wichtigste Weltereignis unserer Tage. Der Sieg der Revolution in Deutschland wird für das Proletariat in Europa und Amerika eine größere Bedeutung haben als der Sieg der russischen Revolution vor sechs Jahren.&#8221;</em>) dem großbürgerlichen Kanzler Stresemann noch leichter, Bayern sozusagen rechts liegen zu lassen und gegen <em>&#8220;Sowjetsachsen&#8221;</em> vorzugehen.</p>
  595.  
  596.  
  597.  
  598. <p>Dabei hilft auch das am 13.10. beschlossene Reichs-<strong>Ermächtigungsgesetz</strong>, das der Regierung erlaubt Maßnahmen zu ergreifen, bei denen <em>&#8220;von den Grundrechten der Reichsverfassung abgewichen&#8221;</em> wird, allerdings sind Arbeitszeiten und Sozialleistungen davon ausgenommen &#8211; über diese Einschränkung war Stresemanns erstes Kabinett noch am 3.10. zerbrochen, weil der ADGB interveniert hatte, ein letzter Sieg der Arbeitskräfte. Nun soll das Gesetz neben notfalls erzwungener bürgerlicher Regierung auch staatlichen Zugriff auf Nahrungsmittel ermöglichen, während Sachsen und Thüringen faktisch weiter ausgehungert werden.</p>
  599.  
  600.  
  601.  
  602. <p><strong>Auch in Thüringen bilden SPD und KPD am 16.10. eine Koalitionsregierung</strong> unter August Frölich, in der Karl Korsch Justizminister und Albin Tenner Wirtschaftsminister werden. Die Hundertschaften werden als <em>&#8220;republikanische Notwehren&#8221;</em> zum Schutz der Verfassung deklariert. Die Landesregierung sieht ihre <em>&#8220;besondere Aufgabe … dadurch bestimmt, daß Thüringen das Grenzland ist desjenigen deutschen Gliedstaates, in dem die Gegner der Republik faktisch die Staatsgewalt bestimmen“</em>. Hier wird die Reichswehr erst Anfang November einmarschieren, wenn sie mit Westsachsen fertig ist.</p>
  603.  
  604.  
  605.  
  606. <p>An der Basis dominiert die <strong>verzweifelte Realität einer völlig grotesken Geldentwertung</strong> (der Brotpreis verzehnfacht sich gerade innerhalb einer Woche auf 500 Millionen), der Massenarbeitslosigkeit (in vielen Gegenden die Mehrheit der Erwerbsfähigen, besonders verheerend in Sachsen), von Hunger und monatelanger Unterernährung. Die mangelhafte Bewaffnung der Hundertschaften ist offenkundig, sie verstehen sich selbst als lokale Gegen-Ordnungsmacht von unten, und die direkte Auseinandersetzung mit faschistischen Verbänden aus Bayern wird nur im Zusammenwirken mit Teilen der Reichswehr für realistisch gehalten.</p>
  607.  
  608.  
  609.  
  610. <p>Ein beträchtlicher Teil der KPD-Führung verbringt jedoch die Wochen der <em>&#8220;Revolutionsvorbereitung&#8221;</em> fernab dieser Realitäten bei der Komintern in Moskau, wo die Revolutionspläne auch zum Gegenstand interner Machtkämpfe sowohl der KPdSU wie der KPD werden. Nicht nur wird von dort aus die Lage in Deutschland verkannt (immer noch Millionen sozialistisch gesinnter Arbeitskräfte, aber so gut wie keine Waffen und paralysierende Lage, kein Mandat für Herrschaft einer Avantgardepartei), auch werden die Möglichkeiten der Sowjetunion völlig überschätzt, in Mitteleuropa militärisch einzugreifen &#8211; oder nennenswert ökonomisch durch die anlaufenden <strong>Getreidelieferungen</strong>, die dennoch einigen Hunger stillen.</p>
  611.  
  612.  
  613.  
  614. <p>Ab 21. Oktober marschieren Reichswehr und illegale <em>&#8220;Schwarze Reichswehr&#8221;</em> in Divisionsstärke, ausgestattet mit Minenwerfern, Kavallerie, Maschinengewehren und Panzerwagen, in Nord- und Ostsachsen ein. Truppentransporte gelangen reibungslos nach Sachsen, weil Bahnarbeitskräfte glauben (sollen), die Reichswehr werde gegen Bayern eingesetzt. Der Auftrag lautet jedoch <strong>Zerschlagung der seit Ende September verbotenen Hundertschaften</strong>. In die wichtigsten Städte wird still eingerückt, oft in der Nacht, und dann werden sie blitzartig besetzt (<em>&#8220;Straße frei, es wird geschossen!&#8221;</em>): Verhaftungen mit vorbereiteten Listen (vier Jahre konterrevolutionäre Erfahrung zahlt sich aus), Misshandlungen, Durchsuchungen, Internierungen Tausender, Zerstörung, Willkür.</p>
  615.  
  616.  
  617.  
  618. <p>Es kommt vereinzelt zu Widerstandshandlungen, die jedoch erbarmungslos unterbunden werden. In <strong>Meißen</strong> wird eine Protestkundgebung mit Säbeln und Gewehrkolben auseinandergejagt. In <strong>Borna</strong> werden  in den Morgenstunden 60 Verhaftungen vorgenommen, dann wird die Gemeinderatssitzung gestürmt und verprügelt. In <strong>Pirna</strong> schießt am 23.10. das II. Bataillon des 10. Reichswehr-Infanterieregiments aus Bautzen auf eine Menge, die am Marktplatz für ihre Erwerbslosenunterstützung Schlange steht und den heranfahrenden Panzerwagen begrüßt: <em>&#8220;Da ist der neue Brotwagen, schmeißt ihn um!&#8221;</em> Als sich die Menge nicht schnell genug zerstreut, lässt Hauptmann von Friesen feuern, der 18jährige Arthur Müller stirbt, weitere sechs Erwerbslose werden von hinten schwer angeschossen. <strong>Das schlimmste Massaker passiert am 27.10. in Freiberg</strong>, als die Reichswehr auf eine Protestkundgebung schießt: 23 Tote.</p>
  619.  
  620.  
  621.  
  622. <p>Am Tag des Einmarschs entscheidet die in <strong>Chemnitz</strong> einberufene Betriebsrätekonferenz, angesichts der Übermacht keinen Generalstreik auszurufen &#8211; die KPD zieht in Abstimmung mit der Komintern ihren Generalstreikaufruf zurück und gibt den Aufstandsplan auf. Unklar ist, ob den Anwesenden bewusst ist, wie endgültig diese Entscheidung sein wird. Ein gemeinsamer Generalstreikaufruf, der am 30.10. in der sozialdemokratischen Presse erscheinen soll, kann kaum verbreitet und so gut wie nicht befolgt werden.</p>
  623.  
  624.  
  625.  
  626. <p>In <strong>Hamburg</strong> geht die dortige KPD unter Ernst Thälmann zum Aufstand über, am Morgen des 23.10. bewaffnen sich mehrere Hundert Aufständische aus 24 Polizeiwachen und können sich in einigen Arbeitervierteln bis zum nächsten Tag gegen Reichswehr und Polizei halten. Obwohl die Barrikaden schließlich aufgegeben werden und sich geordnet (durch die Kanalisation) zurückgezogen werden kann, fordert der Aufstand über 100 Tote, darunter viele Unbeteiligte.</p>
  627.  
  628.  
  629.  
  630. <p>Die Diktatur in <strong>Bayern weist ab 17.10. Dutzende jüdische Familien aus</strong>, die Ausweisungsbefehle unterschreibt Gustav von Kahr selbst, darunter sind Rückführungen nach Polen. Bis Ende des Monats trainieren bayerische Truppen im Rahmen der <em>&#8220;Herbstübung 1923&#8221;</em> Aufstandsbekämpfung. Hitler will hingegen nicht abwarten, <em>&#8220;wie es in Sachsen geht&#8221;</em> und gleich auf Berlin marschieren &#8211; Mussolinis Marsch auf Rom jährt sich vom 27.-31. Oktober zum ersten Mal.</p>
  631.  
  632.  
  633.  
  634. <p>Da sich Ministerpräsident Zeigner weigert, seine Regierung aufzulösen, und erklärt, nur der sächsische Landtag könne das (die Hundertschaften seien außerdem zur Abwehr der <em>&#8220;schwarzen Reichswehr&#8221;</em> erforderlich, weil die Reichswehr nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch nicht demokratisiert wurde), erlässt Reichspräsident Ebert am 29.10. eine Notverordnung, die im Rahmen der <em>&#8220;Reichsexekution&#8221;</em> die notfalls <strong>gewaltsame Absetzung der Landesregierung</strong> (seiner eigenen Partei!) erlaubt. (Im Grundgesetz der BRD ist das übrigens Artikel 37, der &#8220;Bundeszwang&#8221;.) Die Reichswehr, seit Tagen schon mit mittlerweile 60.000 Mann in Stellung gegangen, vertreibt Minister aus dem Staatsministerium, besetzt den Landtag und räumt ihn schließlich, setzt Zeigner fest, der am nächsten Tag seinen Rücktritt erklärt. Die neue Regierung wird schon wenige Tage später gegen die <em>&#8220;Reichsexekution&#8221;</em> klagen, aber die Tatsachen sind geschaffen.</p>
  635.  
  636.  
  637.  
  638. <p>Am 31. Oktober ist ein Brot mehrere Milliarden wert, die Arbeitslosenquote liegt bei 19,4%, Menschen ziehen aus den Städten aufs Land und plündern Lebensmittel, und die Revolution hat verloren.</p>
  639.  
  640.  
  641. <div class="wp-block-image is-style-default">
  642. <figure class="aligncenter size-large"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/10/Screenshot-2023-10-09-231828.png"><img loading="lazy" decoding="async" width="1024" height="576" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/10/Screenshot-2023-10-09-231828-1024x576.png" alt="" class="wp-image-18228" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/10/Screenshot-2023-10-09-231828-1024x576.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/10/Screenshot-2023-10-09-231828-300x169.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/10/Screenshot-2023-10-09-231828-768x432.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/10/Screenshot-2023-10-09-231828.png 1366w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a><figcaption class="wp-element-caption"><em>Die Reichswehr besetzt Freiberg.</em></figcaption></figure></div>
  643.  
  644.  
  645. <p class="has-text-align-center">***</p>
  646.  
  647.  
  648.  
  649. <p>1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/07/1923-beginnt-was-bisher-geschah/">Was bisher geschah</a><br /></em>1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/11/1923-beginnt-11-januar-einmarsch-ins-ruhrgebiet/">11. Januar &#8211; Einmarsch ins Ruhrgebiet</a></em><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/03/15/1923-beginnt-15-marz-linksrutsch-in-sachsen-arbeiterregierung-gegen-den-faschismus/"><em>15. März&nbsp;– Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus</em></a><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/04/17/1923-beginnt-18-april-erwerbslose-belagern-rathaus-von-mulheim-ruhr/"><em>18. April – Erwerbslose belagern Rathaus von Mülheim/Ruhr</em></a><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/05/23/1923-beginnt-24-mai-erwerbslose-kontrollieren-preise-mehrtagige-hungerproteste-in-dresden/"><em>24. Mai – Erwerbslose kontrollieren Preise, mehrtägige Hungerproteste in Dresden</em></a><br />1923 <a href="https://www.classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>Juni</em></a><a href="http://classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>: Komintern debattiert Faschismus, Streiks in Sachsen, Prozess gegen Plättner in Halle</em></a><br />1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/07/28/juli-1923-antifaschistentag-streiks-und-militante-lohneintreibungen/">Juli: &#8216;Antifaschistentag&#8217;, Streiks, militante Lohneintreibungen</a></em><br />1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/08/10/august-1923-millionenstreik-erzwingt-rucktritt-der-regierung/">August: Millionenstreik erzwingt Rücktritt der Regierung</a></em><br /><a href="https://www.classless.org/2023/09/26/26-september-1923-zweiter-kalter-putsch-in-bayern/"><em>26. September 1923: Zweiter ‘kalter Putsch’ in Bayern</em></a><br />Alle Postings zur Revolution<em>: <a href="https://www.classless.org/contact/%e2%96%ba1918-23-revolution-in-deutschland/">Revolution in Deutschland 1918-23</a></em></p>
  650. ]]></content:encoded>
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  653. </item>
  654. <item>
  655. <title>Vorbeugende Richtigstellungen</title>
  656. <link>https://www.classless.org/2023/10/02/vorbeugende-richtigstellungen/</link>
  657. <comments>https://www.classless.org/2023/10/02/vorbeugende-richtigstellungen/#respond</comments>
  658. <dc:creator><![CDATA[classless]]></dc:creator>
  659. <pubDate>Mon, 02 Oct 2023 09:16:42 +0000</pubDate>
  660. <category><![CDATA[Categorized]]></category>
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  662.  
  663. <description><![CDATA[Bisher hab ich dieses Jahr über die Ereignisse vor 100 Jahren weitgehend exklusiv berichten können/müssen, wenige Jahrestage wurden anderswo aufgerufen, nur da und dort wurden die Scheinwerfer auf lokale Geschichte oder die Talking Points der großen Gesamterzählungen gerichtet (Inflation, Ruhrbesetzung, der große Staatsmann Stresemann, Eberts Bauchschmerzen beim Geflüchtete abweisen, äh, beim Streikende erschießen lassen usw.) [&#8230;]]]></description>
  664. <content:encoded><![CDATA[
  665. <p>Bisher hab ich dieses Jahr über die Ereignisse vor 100 Jahren weitgehend exklusiv berichten können/müssen, wenige Jahrestage wurden anderswo aufgerufen, nur da und dort wurden die Scheinwerfer auf lokale Geschichte oder die Talking Points der großen Gesamterzählungen gerichtet (Inflation, Ruhrbesetzung, der große Staatsmann Stresemann, Eberts Bauchschmerzen beim Geflüchtete abweisen, äh, beim Streikende erschießen lassen usw.)</p>
  666.  
  667.  
  668.  
  669. <p>Deshalb sind gerade <a></a>die Ereignisse im Frühjahr und Sommer 1923 so besonders unsichtbar &#8211; weil sie in die großen Erzählungen nicht hineinpassen: linke, sozialistische parlamentarische Mehrheiten und sogar Regierungen, eine immer noch stark sozialistisch orientierte SPD-Parteibasis, eine noch längst nicht im sowjetischen Modell aufgegangene KPD, die gemeinsamen proletarischen Hundertschaften, das schon recht klare Verständnis von der faschistischen Reaktion und die offene Mobilisierung dagegen, der letztmalig erfolgreiche Massenstreik und Fast-Generalstreik im August, der die Regierung zum Rücktritt zwingt und Teile des Großbürgertums zum Bekenntnis zur Republik nötigt.</p>
  670.  
  671.  
  672.  
  673. <p>Nun kommen einerseits <strong>die hegemonialen Narrative</strong> zum Oktober und November um die Ecke, in denen meist eine gewisse Unausweichlichkeit konstruiert wird, mit der die Sozialdemokratie ein weiteres Mal mit der <em>&#8220;bürgerlichen Mitte&#8221;</em> gegen den drohenden Bolschewismus zusammenstehen muss und auch in Bayern Schlimmeres verhindert werden kann. Dass in Bayern ab Ende September bereits eine antisemitische Diktatur herrschte, deren Ausgreifen auf den Rest des Reiches nur durch den eigenen Einmarsch der Regierungstruppen in Sachsen und Thüringen aufgeschoben und schließlich durch den grotesken Putschversuch Hitler-Ludendorff vereitelt wurde &#8211; das passt alles nicht ins Bild.</p>
  674.  
  675.  
  676.  
  677. <p>Andererseits gibt es <strong>die linken Parteierzählungen</strong>, in denen je nach Richtung die KPD schon vollständig bolschewisiert und auch schon fast seit Beginn der Revolution federführend war, die Geschichte des Antifaschismus erst 1932 losgeht, die &#8216;Arbeiterregierungen&#8217; erst im Oktober starten (statt mit dem sächsischen Tolerierungsabkommen im März) und versuchsweise mit heutigen grundverschiedenen Koalitionen gleichgesetzt werden, der <em>&#8220;Deutsche Oktober&#8221;</em> als eine reale Revolution behandelt oder eben auf die Planung des <em>&#8220;Verschwörerstücks&#8221;</em> (Arthur Rosenberg) durch die Komintern reduziert wird, die KPD wegen der kurzen Phase des <em>&#8216;Schlageter-Kurses&#8217;</em> als antisemitische Organisation behandelt wird, sich Formulierungen finden, wie dass der Funke des Hamburger Aufstands nicht mehr übergesprungen ist &#8211; während gerade Zehntausende Soldaten in lauter Gebiete einmarschierten, die den ganzen Sommer über im Aufstand waren und die auch sonst kaum jemals irgendwo auftauchen.</p>
  678.  
  679.  
  680.  
  681. <p>Ich befürchte, dass ich nur wenig dazu kommen werde, all diesen Erzählungen, die die Revolutionsgeschichte nur als Steinbruch für den heutigen Lieblingsfilm verwenden, konkret zu widersprechen &#8211; ich werde mich weiter darauf konzentrieren, soweit mir das möglich ist die Ereignisse zu rekonstruieren und euch damit Material in die Hand zu geben um die Erzählungen zu durchschauen und auch zu verstehen, warum sie so aussehen.</p>
  682. ]]></content:encoded>
  683. <wfw:commentRss>https://www.classless.org/2023/10/02/vorbeugende-richtigstellungen/feed/</wfw:commentRss>
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  685. </item>
  686. <item>
  687. <title>26. September 1923: Zweiter &#8216;kalter Putsch&#8217; in Bayern</title>
  688. <link>https://www.classless.org/2023/09/26/26-september-1923-zweiter-kalter-putsch-in-bayern/</link>
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  690. <dc:creator><![CDATA[classless]]></dc:creator>
  691. <pubDate>Mon, 25 Sep 2023 22:01:00 +0000</pubDate>
  692. <category><![CDATA[Antifa]]></category>
  693. <category><![CDATA[Arbeitskräfte]]></category>
  694. <category><![CDATA[Gegen Geschichte]]></category>
  695. <category><![CDATA[1923]]></category>
  696. <category><![CDATA[Antisemitismus]]></category>
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  698. <category><![CDATA[Konterrevolution]]></category>
  699. <category><![CDATA[Putsch]]></category>
  700. <category><![CDATA[Sachsen]]></category>
  701. <category><![CDATA[September]]></category>
  702. <category><![CDATA[Thüringen]]></category>
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  704.  
  705. <description><![CDATA[Am 26. September 1923 ernennt der bayerische Ministerpräsident Eugen von Knilling seinen Amtsvorgänger Gustav Ritter von Kahr zum Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten. Dieser war im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 durch einen eigenen &#8216;kalten Putsch&#8217; ins Amt gelangt, hatte Bayern zum Rückzugsraum für konterrevolutionäre Verbände gemacht (von den Massenmördern der Marinebrigade Ehrhardt über die [&#8230;]]]></description>
  706. <content:encoded><![CDATA[
  707. <p>Am 26. September 1923 ernennt der bayerische Ministerpräsident Eugen von Knilling seinen Amtsvorgänger <strong>Gustav Ritter von Kahr</strong> zum <strong>Generalstaatskommissar</strong> mit diktatorischen Vollmachten. Dieser war im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 durch einen eigenen <em>&#8216;kalten Putsch&#8217;</em> ins Amt gelangt, hatte Bayern zum Rückzugsraum für konterrevolutionäre Verbände gemacht (von den Massenmördern der Marinebrigade Ehrhardt über die terroristische Organisation Consul bis zur NSDAP), antisemitische Hetze betrieben und den Freistaat in einen autoritären Modellstaat geformt, den er die <em>&#8216;Ordnungszelle&#8217;</em> nannte.</p>
  708.  
  709.  
  710.  
  711. <p>Nachdem die Reichsregierung unter Gustav Stresemann am 23. September den <em>&#8216;passiven Widerstand&#8217;</em> gegen die französisch-belgische Besatzung offiziell beendet hatte, rief von Knilling umgehend den Ausnahmezustand für Bayern aus. Die Diktatur verschärft nun die ohnehin stark militarisierte und repressive Situation. Von Kahr verbietet die KPD und den Selbstschutz der SPD, veranlasst Razzien im Gewerkschaftshaus und bei der sozialdemokratischen <em>Münchener Post</em>, bereitet judenfeindliche Maßnahmen vor und plant einen <em>&#8216;Marsch auf Berlin&#8217;</em> (nach dem Vorbild von Mussolinis <em>&#8216;Marsch auf Rom&#8217;</em> im Jahr zuvor) um die <em>&#8216;Ordnungszelle&#8217;</em> auf das ganze Reich auszuweiten. </p>
  712.  
  713.  
  714.  
  715. <p>Dabei sollen neben der Armee auch die kleinbürgerlich-faschistischen Fußtruppen, die sich Anfang September beim Deutschen Tag in Nürnberg um <strong>Hitler und Ludendorff</strong> zum <em>&#8216;Deutschen Kampfbund&#8217;</em> zusammengeschlossen haben, zum Einsatz kommen. Hitler schwört sie bereits darauf ein, im Kampf zu fallen, und orakelt ganz im Sinne der oberen Etagen: <em>&#8220;Was sich heute anbahnt, wird größer sein als der Weltkrieg! Es wird ausgefochten werden auf deutschem Boden für die ganze Welt!&#8221;</em> (Jones 2022:269)</p>
  716.  
  717.  
  718.  
  719. <p>Großindustrielle wie Hugo Stinnes und führende Militärs wie der Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt formulieren Ende September ihre Regierungsentwürfe, die sich um Abschaffung des Parlaments, Wiederausweitung des Arbeitstages, Aufgabe aller Sozialisierungsvorhaben, Auflösung oder korporatistische Vereinnahmung der Gewerkschaften und Zerschlagung sämtlicher sozialistischer Organisationen drehen – <strong>es geht darum, die Revolution rückgängig zu machen</strong> und den Kaiser durch einen Diktator oder ein Direktorium zu ersetzen. </p>
  720.  
  721.  
  722.  
  723. <p>Die offene Zuspitzung in Bayern beschleunigt zusammen mit der umgehenden Verhängung des reichsweiten Ausnahmezustands durch Friedrich Ebert noch mal den Zulauf zur KPD, die Ende September 295.000 Mtglieder zählt, und zu den <em>&#8216;gemeinsamen proletarischen Hundertschaften&#8217;</em> aus etwa 50.000 sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitskräften, die sich als <strong>Verteidigung der Republik gegen Konterrevolution und Faschismus</strong> begreifen und gegen die bayerische Diktatur eine norddeutsche Gegenmacht mit Kern in Sachsen und Thüringen bilden wollen.</p>
  724.  
  725.  
  726.  
  727. <p>Während schnell klar wird, dass die Reichswehr nicht gegen die verfassungswidrigen Zustände in Bayern eingesetzt wird, werden die Rufe aus Bürgertum und Militär nach einem Einmarsch in <strong>Sachsen und Thüringen</strong> zu direkten Forderungen. Dort haben SPD und KPD zusammen legale Mehrheiten und führen Verhandlungen über Koalitionsregierungen. Unternehmer, die den tendenziellen Verlust ihrer Privilegien und die Eindämmung ihrer Willkür als Unrecht ansehen und eine Rückkehr zum <em>&#8220;lutherischen Hausvaterverständnis&#8221;</em>, die Überwindung des Klassenkampfs durch eine korporatistische <em>&#8220;Werksgemeinschaft&#8221;</em> (Pohl 2022:152) anstreben, sammeln sich um Stresemanns <strong>Verband Sächsischer Industrieller</strong>, dessen permanente Gräuelpropaganda über <em>&#8216;Sowjetsachsen&#8217;</em> seit Anfang September auch von Adolf Hitler aufgegriffen wird. Im Unterschied zu Kahr sieht er die &#8216;Bolschewisierung&#8217; Norddeutschlands nicht erst noch bevorstehen, sondern hält sie für längst passiert.</p>
  728.  
  729.  
  730.  
  731. <p>Soweit sich Teile der KPD-Führung an die <strong>Linie der Komintern</strong> gebunden sehen, versuchen sie deren parallele Strategie umzusetzen, offen für die <em>&#8216;Arbeiterregierungen&#8217;</em> einzutreten und gleichzeitig versteckt einen revolutionären Putsch nach bolschewistischem Vorbild vorzubereiten, am besten zum Jahrestag der Oktoberrevolution. Das kostet nicht nur wertvolle Zeit, missachtet die für ein derartiges Abenteuer völlig unzureichende Bewaffnung der Hundertschaften und stößt entsprechend auf wenig Zuspruch, es übergeht auch <strong>das recht eindeutige Mandat der kommunistischen wie linkssozialdemokratischen Basis für Massenproteste </strong>(&#8216;Antifaschistentag&#8217; Ende Juli)<strong> und Generalstreik </strong>(Cuno-Streiks im August) zur Verteidigung der Republik gegen die immer offener faschistische Konterrevolution und zur Vollendung der Revolution, zur Demokratisierung der Wirtschaft und der bewaffneten Organe – wofür mit dem Ende des <em>&#8216;passiven Widerstands&#8217;</em> nun mit dem jedem Tag mehr die ökonomischen und politischen Grundlagen schwinden.</p>
  732.  
  733.  
  734.  
  735. <p>Unterdessen herrscht weiter Hunger in weiten Teilen des Reiches, während sich einige ordentlich die Taschen vollmachen. Friedrich Flick verlegt im September 1923 seinen Firmensitz nach Berlin und nutzt weiter Inflation und Krise um sich in Oberschlesien passende Unternehmen für seinen wachsenden Stahlkonzern zusammenzukaufen: die Bismarckhütte, die Kattowitzer AG (Kohle) und die Oberschlesische Eisenindustrie AG.</p>
  736.  
  737.  
  738. <div class="wp-block-image is-style-default">
  739. <figure class="aligncenter size-large"><a href="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/09/Screenshot-2023-09-25-205951.png"><img loading="lazy" decoding="async" width="1024" height="700" src="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/09/Screenshot-2023-09-25-205951-1024x700.png" alt="" class="wp-image-18208" srcset="https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/09/Screenshot-2023-09-25-205951-1024x700.png 1024w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/09/Screenshot-2023-09-25-205951-300x205.png 300w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/09/Screenshot-2023-09-25-205951-768x525.png 768w, https://www.classless.org/wp-content/uploads/2023/09/Screenshot-2023-09-25-205951.png 1124w" sizes="(max-width: 1024px) 100vw, 1024px" /></a><figcaption class="wp-element-caption"><em>Links: Gustav von Kahr (ca. 1921), rechts: kommunistisches Erklärflugblatt zur Mobilisierung der Hundertschaften gegen die faschistische Reaktion (ca. Monatswechsel September/Oktober 1923)</em></figcaption></figure></div>
  740.  
  741.  
  742. <p class="has-text-align-center">***</p>
  743.  
  744.  
  745.  
  746. <p>1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/07/1923-beginnt-was-bisher-geschah/">Was bisher geschah</a><br /></em>1923 beginnt<em>: <a href="https://www.classless.org/2023/01/11/1923-beginnt-11-januar-einmarsch-ins-ruhrgebiet/">11. Januar &#8211; Einmarsch ins Ruhrgebiet</a></em><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/03/15/1923-beginnt-15-marz-linksrutsch-in-sachsen-arbeiterregierung-gegen-den-faschismus/"><em>15. März&nbsp;– Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus</em></a><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/04/17/1923-beginnt-18-april-erwerbslose-belagern-rathaus-von-mulheim-ruhr/"><em>18. April – Erwerbslose belagern Rathaus von Mülheim/Ruhr</em></a><br />1923 beginnt: <a href="https://www.classless.org/2023/05/23/1923-beginnt-24-mai-erwerbslose-kontrollieren-preise-mehrtagige-hungerproteste-in-dresden/"><em>24. Mai – Erwerbslose kontrollieren Preise, mehrtägige Hungerproteste in Dresden</em></a><br />1923 <a href="https://www.classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>Juni</em></a><a href="http://classless.org/2023/06/22/juni-1923/"><em>: Komintern debattiert Faschismus, Streiks in Sachsen, Prozess gegen Plättner in Halle</em></a><br />1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/07/28/juli-1923-antifaschistentag-streiks-und-militante-lohneintreibungen/">Juli: &#8216;Antifaschistentag&#8217;, Streiks, militante Lohneintreibungen</a></em><br />1923 <em><a href="https://www.classless.org/2023/08/10/august-1923-millionenstreik-erzwingt-rucktritt-der-regierung/">August: Millionenstreik erzwingt Rücktritt der Regierung</a></em><br />Alle Postings zur Revolution<em>: <a href="https://www.classless.org/contact/%e2%96%ba1918-23-revolution-in-deutschland/">Revolution in Deutschland 1918-23</a></em></p>
  747. ]]></content:encoded>
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