Tulipan & frischer Wind

Tulipan & frischer Wind

Die Tulpenblüte in den Niederlanden war unser Ziel. Es war unser zweiter Versuch, einmal hatte uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Ferienwohnung in Nordholland war schon gebucht, aber die Tulpenfelder wurden frühzeitig abgeerntet, um die alljährlich anreisenden Massen daran zu hindern, sich zwischen den Blüten zu infizieren. Corona ist kein Thema mehr, wir buchten ein Wohnboot in Zeewolde und reisten an. Zeewolde liegt in Flevoland, der jüngsten Provinz der Niederlande. Nicht nur die politische Struktur ist noch neu, Flevoland ist neu. Das östliche und südliche Flevoland bilden zusammen die größte künstliche Insel der Welt und wurden erst in den fünfziger Jahren angelegt.

Alles ist geplant, alles ist angelegt und zweckmäßig. Das hat nichts zu tun mit den niederländischen Städten und Dörfern, die wir schätzen und lieben, der bunten Mischung aus Mittelalter und Coffeeshop. Nein, so simpel ist das natürlich nicht, aber die Formulierung gefiel mir. Flevoland hat keine Dörfer. Es gibt Städte und dazwischen liegen Betriebe. Große landwirtschaftliche Betriebe, die auf eine Tradition von ein paar Jahrzehnten zurückblicken. Zeewolte feiert seinen vierzigsten Geburtstag. Selbst der Geschichtsverein in Blaricum, einem nordholländischen Ort, von dem noch die Rede sein wird, ist älter.

Paul Gerhardt dichtete im 17. Jahrhundert:

Geh aus / mein hertz / und suche freud
In dieser lieben sommerzeit
An deines Gottes gaben:
Schau an der schönen gärten zier
Und siehe / wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.

Die bäume stehen voller laub /
Das erdreich decket seinen staub
Mit einem grünen kleide
Narcissus und die Tulipan /
Die ziehen sich viel schöner an /
Als Salomonis seyde.

Ich zitiere den Meister des evangelischen Kirchenliedes eigentlich nur wegen der Tulipan. Und wegen Salomonis Seyde.

Flevoland ist vermutlich wunderschön, wenn man die Tulpenblüte erlebt. Wir haben die Felder gesehen. Die Tulpen nicht mehr. Okay, ich gestehe, ein paar Tulpenfelder haben wir schon noch gesehen. Bei herrlichem Sonnenschein und eiskaltem Wind. Das Wetter in diesem Jahr hat die Tulpen früher blühen lassen, Pech gehabt. Dafür waren wir jetzt eben in Flevoland. Weil wir aber partout etwas unternehmen wollten, beschlossen wir, das Kunstmuseum Singer-Laren zu besuchen. Singer nach der Gründerin, Laren heißt der Ort in Nordholland.

Die Ausstellung hieß Frisse Wind und das passte ganz hervorragend zum Wetter in Flevoland. Es wehte ein frischer Wind. Um den ging es natürlich nicht, es ging um die Impressionisten des Nordens und von denen will ich nicht erzählen. Also nicht, dass die nicht der Rede wert wären, ich will nur etwas anderes erzählen.

Wir radelten über Flevoland, durch Wald, über schmale Betonwege und lange Straßen, sehr lange Straßen. Eine Landschaft, die Ostfriesland hügelig erscheinen ließ. Ab und an ein Hof. Windkraftanlagen. Wasser. Dann eine Brücke. Das Gooimeer, dahinter das Markermeer und das Ijsselmeer. Über die Brücke und wir haben Flevoland verlassen.

Noch ein kleines Stück und alles war anders. Blaricum, das hieß zunächst ein neuer Ortsteil: Blaricumermeent. Ganz neu, ganz anders neu als Zeewoude. Schick, hier ist Wasser nicht einfach da, hier ist Wasser ein gestalterisches Element, man hat einen Bootsanleger am Haus, das an der Gracht liegt. Architekten haben hier groß geträumt. Bauunternehmen sind nicht einfach Bauunternehmen sondern High-End-Bauunternehmen. Es ist wärmer hier als auf Flevoland, bestimmt wird der Ort beheizt und es riecht auch anders, es duftet. Erst später wird mir klar, dass es nach Geld riecht. Geld stinkt nicht, Geld duftet, jedenfalls wenn es wie hier neues Geld ist. Alles ist adrett, alles ist perfekt. Die Gegenwart glänzt, die Zukunft kann kommen.

Etwas weiter dann Blaricum, das alte Dorf, alte, sehr alte Höfe, Reetdächer, die typischen Heuschober, natürlich keine Bauern, Fernsehstars und Profifussballer leben hier. Blaricum gehört zu den Dörfern mit der höchsten Millionärsdichte, drei von zehn Haushalten besitzen mehr als eine Million. Aber so lässt es sich aushalten.

Mit Tulipan war also nicht so viel, mit Salomonis Seide hingegen schon. Aber unsere Reise ist ja noch nicht zu Ende.

 

    2 Gedanken zu “Tulipan & frischer Wind

    1. „Eine Landschaft, die Ostfriesland hügelig erscheinen ließ“, ein satz, der mir aufgefallen ist. In einer doku habe ich mal neue Häuser gesehen, bei denen “ architekten groß geträumt haben.“ Die häuser am wasser können mit dem wasserspiegel aufsteigen. Ich weiß nicht, ob es um flevoland ging, aber deiner beschreibung nach, könnte es dort gewesen sein.

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      • Den Bericht habe ich tatsächlich auch gesehen, weiß aber nur noch, dass es irgendwo in den Niederlanden war. Blaricum, besonders dieser Neureichenvorort, ist irritierend, weil er sich als scheinbar heile Welt präsentiert, abgekoppelt von den Alltagssorgen der Niederlande. Natürlich bin ich ungerecht und voller Vorurteile, aber glänzende Fassaden machen mich immer skeptisch.

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