Mit dem VfB Stuttgart in Bremen (eine fotografische „Gast“-Reportage)

Könnte ich bitte den Matjes auf Vollkornbrot haben?“ „Für mich bitte ebenso, danke.“ Diese zwei einfachen Sätze lassen uns beide aufschauen. Es ist ein Samstagnachmittag im Oktober 2019, an den ich mich noch ganz genau erinnern kann. Ich befinde mich im Café Paris in Hamburg und auch mein Sitznachbar Frank verspürt Appetit auf einen klassischen norddeutschen Matjes.

Wir beide sind Teil eine Gruppe von etwa zehn Leica Fotograf:innen, die von „Meister Camera“ mit einer Leica Q2 ausgestattet wurden und nun durch die Hamburger Innenstadt spazieren, um die Kamera kennenzulernen und natürlich zu fotografieren. Aber Frank fällt mir nicht nur auf, weil er dasselbe bestellt wie ich. Nein, er kann den mir so vertrauten schwäbischen Einschlag in seiner Sprache einfach nicht verbergen. Und so stellen wir fest, dass wir Beide nicht nur mit Leica fotografieren und im selben Hamburger Stadtteil leben, sondern dass wir beide auch Schwaben sind. Und wisst Ihr, was wir zu dieser Mittagszeit noch unabhängig voneinander machen? Wir checken immer wieder, wie es beim VfB gerade steht.

Es sind andere Zeiten, damals im Herbst 2019. Zeitgleich zu unserem Mittagessen spielt der VfB Stuttgart nämlich im Volkspark beim Hamburger SV und kassiert eine kräftige 2:6 Niederlage. Stuttgart war gerade in die zweite Liga abgestiegen und zu diesem Zeitpunkt sah es eher so aus, als wäre es der HSV, der alsbald wieder in der ersten Liga spielen würde. Nun, ich sagte ja bereits, es waren damals andere Zeiten. Heute ist der eine Verein (jaaa, der VfB!) praktisch schon für die Champions League klassifiziert und der Andere wird in der kommende Saison mit großer Wahrscheinlichkeit bereits zum siebten Mal in Folge im deutschen Unterhaus spielen.

Aber nicht nur der Fußball hat sich in diesen viereinhalb Jahren weiterentwickelt. Zwischen Frank und mir ist eine echte Freundschaft entstanden, die über die Fotografie und den Fußball hinausgeht. Während der Pandemie machen wir ausgiebige Fotospaziergänge, sind mehrmals mit der Leica Akademie in den Bergen und schließlich entdecken wir gemeinsam die Liebe zu Neapel. Was irgendwie immer fehlte, das war das gemeinsame VfB Erlebnis.

Werder Bremen vs. VfB Stuttgart

Der 30. Spieltag der Saison 2023/24 ist schließlich unser Termin. Endlich spielt der VfB mal wieder im Norden Deutschlands und wir beide haben sogar Zeit. Ich organisiere uns zwei Tickets für den Gästeblock und natürlich nehmen wir jeder eine Kamera mit. Wir haben da schon Routine, ob bei Altona 93 oder beim SSC Neapel, eine kompakte Kamera mit einer Festbrennweite ist unauffällig und geradezu ideal. Wir wollen ja nicht das Spielgeschehen festhalten, sondern das, was um uns herum passiert, quasi eine Fanreportage. Und als wäre es eine Reminiszenz an unser Kennenlernen, damals im Café Paris: wir beide haben jeweils unsere Leica Q2 dabei.

Kurz zur sportlichen Ausgangsposition: Werder hatte sieben Spiele in Folge nicht mehr gewinnen können und kämpft an diesem 21. April 2024 tatsächlich noch gegen den Abstieg. Stuttgart hingegen kommt mit einem Vereinsrekord im Gepäck ins Weserstadion, nämlich mit fünf Auswärtssiegen in Folge. Und überhaupt, seit sage und schreibe elf Spielen sind wir ohne Niederlage. Da ist doch wohl klar, dass wir heute einen Dreier in Bremen einfahren, oder?

Die Atmosphäre vor dem Spiel

Als wir am Bremer Hauptbahnhof ankommen, „beauftrage“ ich Frank damit, für diesen Blog eine Reportage zu schießen. Und tatsächlich, alles was Ihr an Bildern auf dieser Seite seht, kommt aus seiner Kamera, ist ein Produkt seines Auges. Damit gebe ich die Bühne frei für eine fotografisch tolle, aber auch sehr authentische Reportage – und ich kann das mit bestem Gewissen behaupten, schließlich war ich dabei!

Bremen empfängt uns bei bestem Wetter. Auch die heimischen Fans sind super offen zu uns Stuttgartern. Kein Neid, keine Aggressionen, nur ein paar nette Andeutungen auf die kommende Niederlage – aber die geht natürlich in beide Richtungen. Die Straßenbahn bringt uns ins „Viertel“ und von hier ist es nur ein kurzer Fußmarsch zum Weserstadion. Wie bereits bei meinem letzten Besuch hier in Bremen frage ich mich auch heute wieder, ob es wohl ein schöner gelegenes Bundesligastadion gibt als dieses hier an der Weser?

Aber es geht nicht nur um die Schönheit dieses Stadions; nein, wir sind nervös, die Bremer sind nämlich verdächtig gastfreundlich. Aus deren Sicht ist für einen echten Feiertag heute alles bestellt. Unsere Aufgabe wird nun sein, den VfB mit all den unseren vorhandenen Kräften anzufeuern. Gut, dass wir direkt im Ultrablock landen und die Chance haben werden, wirklich alles zu geben!

Ein Spiel, das Nerven kostet

Ich kann es kurz machen. Die erste Halbzeit ist kein guter Fußball, beide Mannschaften verlieren sich immer wieder im klein, klein. Während der VfB seine Großchancen nicht nutzen kann, bekommen die Werderaner einen Elfer zugesprochen, den sie natürlich auch direkt verwandeln. Da bringt all das Singen, Klatschen, Hinknien und Springen nichts. Ducksch trifft. Und irgendwie ist der Wurm drin.

Ich mag die Stimmung im Block. Auch wenn sich die meisten Fans um uns herum ausschließlich aufs Anfeuern zu konzentrieren scheinen und dem Spielgeschehen gar nicht richtig folgen wollen. Für mich ist es einfach schön, diesen schwäbischen Akzent zu hören und sich mal wieder richtig zuhause zu fühlen. Irgendwie irre, dass wir als Hamburger dafür nach Bremen reisen müssen. Passt aber auch irgendwie zu unserer Matjes-Vergangenheit, oder?

Die zweite Halbzeit wird indes nicht besser. Im Gegenteil, Ducksch legt nach und trifft nach einer schönen Kombination schon in der 49. Minute zum 2:0. Es bleibt zum Haare raufen, der VfB dominiert in dieser zweiten Hälfte zwar immer mehr das Spiel, aber es fehlt schlichtweg das Glück. Der Schiri kippt schließlich noch eine große Schippe Pech dazu, so zumindest die einhellige Meinung bei uns im Gästeblock.

Aber irgendwie stochert Undav den Ball dann doch ins Tor und so steht es 20 Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit 2:1. Der Anschlusstreffer ist gefallen und die Aufholjagd beginnt jetzt. Ich bin ja (schwäbisch) geizig mit Rekorden, aber ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, dass ich je eine solche Dominanz eines Teams gesehen habe, wie sie der VfB nun hinlegt. Das Spiel verlagert sich komplett in die Bremer Hälfte und es beginnt ein wahres Katz- und Mausspiel. Der VfB kombiniert brillant, die Ballbesitz- und Passquoten scheinen beide jenseits der 100%-Marke zu liegen, Werder hat gar keine Chance mehr. Führich mit immensem Druck auf dem linken Flügel, Silas auf dem Rechten. Waldemar Anton lenkt das Spiel von hinten und offensiv fallen mir vor allem Dahoud und Mittelstädt auf, wie sie unsere Stürmer in Szene setzen wollen. Endlich sehe ich live, wie bockstark der VfB diese Saison wirklich ist.

Und doch können weder Undav-Guirassy, noch der VAR oder die fast zehn Minuten lange Nachspielzeit irgend etwas an diesem Spielstand ändern. Bei den Bremern hingegen brechen alle Dämme als der Schiri das Spiel nach knapp 100 Minuten abpfeift. Die grün-weiße Sensation ist vollbracht und Werder hat den Klassenerhalt (wohl) endgültig sicher.

Nach dem Spiel

Die Niederlage tut weh, da hätte mehr drin sein müssen. Warum musste die Serie gerade heute in Bremen reißen? Auf der anderen Seite können wir Fans heute auch gönnen. Die Champions League scheint – dank diesem ominösen fünften Platz – fast sicher zu sein. Und Bremen zeigt sich heute einfach von seiner besten Seite. Die Atmosphäre für Auswärtsfahrer ist wirklich erstklassig – sofern Du nicht gerade HSV Fan bist.

Natürlich ist die Stimmung ausgelassen im Viertel. Es wird gefeiert, was das Zeug hält und natürlich machen auch Seitenhiebe zwischen Stuttgartern und Bremern die Runde. Kostprobe gefällig? Werder Frage: „Könnt Ihr uns sagen, wie das Spiel ausgegangen ist?“ VfB Antwort: „Äh, könnt Ihr in der Tabelle mal nachschauen, wo die Vereine stehen?„.

Immer wieder ertönt auch der Soundtrack dieser für den VfB so grandiosen Bundesligasaison: „Nach all der Scheiße gehts auf die Reise. Stuuuuttgart international. Europokaaaal!“ Und nein, ich verschaukele Euch nicht, die Bremer singen mit uns mit. Sie freuen sich für den VfB wie überall in Fußball-Deutschland, sie erkennen diesen bezaubernden und erfolgreichen Spielstil an. Und schieben dann noch grinsend hinterher, dass es für einen Sieg heute aber eben doch nicht ausreichen würde – diese außergewöhnliche Entwicklung.

Wir grinsen und trinken noch ein letztes Haake-Beck; lassen uns zeigen, wo es den besten Rollo gibt und schnacken auf dem Weg zum Bahnhof noch mit ein paar charmanten Landwirten aus Niedersachsen. Die Niederlage ist fast vergessen, dafür fahren wir heim mit vielen schönen Erlebnissen. Und mit einer Fotoreportage im Gepäck. Fußball ist einfach immer noch richtig geil!

Tausend Dank, Frank, für diese tollen Bilder und dass Du „meinen Auftrag“ so wunderbar bearbeitet hast. Bei nächster Gelegenheit werde ich mich bei Dir bedanken, natürlich mit Matjes auf Vollkornbrot. Unserer schwäbischen Wurzeln zum Trotz! 😉

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8 Gedanken zu „Mit dem VfB Stuttgart in Bremen (eine fotografische „Gast“-Reportage)“

  1. Hi Flo, ja das war echt nett die Reportage zu lesen. Bin begeistert.
    Coole Fotos dabei.
    Frage: Hat die Einlasskontrolle nichts zu der Q2 Kamera gesagt ?? ( Ist ja normalerweise verboten )
    So jetzt hätte auch auch Lust auf eine solche Reportage, dann aber zusammen mit Thomas bei einem Spiel von der wahren Borussia …zwinker.
    Lieben Gruss aus Mönchengladbach
    Klaus

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    • Ich traue mich in der Tat nicht, mit Kamera auf die Nordtribüne, wo ich die letzten Spiele der wahren Borussia verfolgt habe, da ich schon Handy, Handschuhe und Schlüssel beim Einlass aus meinen Taschen räumen muss. Aber vielleicht fotografier ich mal außerhalb des Stadions am Biergarten oder so etwas.
      Wo verfolgst Du denn die Borussia Spiele, Klaus?
      Grüße aus dem Süden Mönchengladbachs

      Thomas

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    • Wenn Du in der kommenden Saison mal mit der Kamera in und um das Stadion unterwegs bist, meld Dich mal, vielleicht fotografieren wir gemeinsam. Diese Saison verfolge ich die letzten beiden Spiele vom Block aus, und hoffe, das noch ein paar Punkte eingefahren werden.
      Gruß
      Thomas

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