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Nachruf auf Fritz Mayr (03.04.1926 – 18.01.2023)
 
 

Im Rahmen der Beerdigung meines Großvaters Fritz Mayr (geb. 1926) hielt ich diesen Nachruf im Andenken an meinen Opa. Als Unternehmer erreichte er große Bekanntheit über das Allgäu hinaus. Während seiner Zeit als Geschäftsführer (1965 – 2023) stieg sein Unternehmen Mayr Antriebstechnik zum Weltmarktführer im Bereich Sicherheitskupplungen und Sicherheitsbremsen in zahlreichen Branchen auf. Als Visionär, technischer Pionier, Wohltäter und Mensch wird er allen, die ihn kannten, immer in Erinnerung bleiben. Als lebensfroher, unverzagter und glücklicher Opa, der viel Liebe für seine Familie in sich trug, werde ich ihn vermissen.

 

Fritz Mayr kommt am 3. April 1926 in Kaufbeuren zur Welt. Er ist das einzige Kind des Maschinenbauingenieurs Friedrich, genannt Fritz, Mayr und der gelernten Bankkauffrau Emma Mayr, geborene Nentz. Die Familie, in die er hineingeboren wird, gilt als angesehene und bekannte Unternehmerfamilie. Sie besitzt einen kleinen Betrieb in der Bismarckstraße in Kaufbeuren – die Maschinenfabrik Chr. Mayr. Mit der Firma seines Großvaters hat Fritz Mayr jedoch lange Zeit nichts zu tun. In der Familie streitet man unentwegt, weshalb sein Vater nicht im Familienunternehmen arbeiten möchte. Er macht sich selbstständig und geht Pleite – ein Trauma für die junge Familie. In wirtschaftlicher Not und im Streit mit der Familie ziehen die Eltern mit dem kleinen Fritz nach Berlin, zur Familie seiner Mutter.

Die Zeit in der Hauptstadt ist trotz all ihrer Widersprüche und Schwierigkeiten eine glückliche Zeit für Fritz Mayr. Als echter Gossenjunge bezeichnete er sich einmal und erzählt, wie er durch die Vorgärten von Berlin Heinersdorf stromert und gemeinsam mit den Kindern aus der Umgebung in verlassenen Gewächshäusern spielt. Mit freudigem Blitzen in den Augen erinnert er sich an seine Berliner Familie, den Onkel Hans, den sein Vater für einen Taugenichts hält, und den Onkel Karl, den der kleine Junge sehr liebt. Das Berlin der frühen dreißiger Jahre ist jedoch gezeichnet von den politischen Verwerfungen der damaligen Zeit. Aufmärsche von Linken und Rechten sind gleichermaßen an der Tagesordnung, Straßenschlachten und Gassenkämpfe finden vor den Augen von Fritz Mayr statt. Er läuft mit, er beobachtet, er erinnert sich und er ordnet ein. Die Pimpfe greifen ihn auf und statt in dreckiger Straßenkleidung rennt er nun eben in braun und schwarz durch die Gärten.

Mit dem Umzug nach Kaufbeuren Mitte der dreißiger Jahre schwindet Berlin aus seinem Leben. Fritz besucht die vierte Klasse und lernt die Unterschiede zwischen Preußen und Bayern kennen. Sind in Berlin seine Klassenkameraden alle Protestanten, nun sind die meisten katholisch. Ein Unterschied, den er vor allem in der Sitzordnung bemerkt: Evangelen und Rabauken sitzen in der ersten Reihe. Die Prügelstrafe wird ihn bis ins hohe Alter verfolgen, aber sie verdirbt ihm nicht die Laune: Wenn ich ihn darauf anspreche, lacht er und erklärt mir die Unterschiede in der Technik.

Kaufbeuren, 1938: Kontakt nach Berlin gibt es kaum noch, stattdessen rückt die Familie des Vaters ins Zentrum des Geschehens. Streit dominiert den Alltag. Streit zwischen den Brüdern, Schwiegermutter und Schwiegertochter, Schwestern und Schwägerinnen, Großvater und Vater. Der Nationalsozialismus interessiert Fritz relativ wenig. Mit dem Eintritt in die Hitlerjugend und dem Beginn des Krieges nimmt er im zarten Alter von vierzehn Jahren an spielerischen Kriegsübungen mit seinen Freunden teil. Doktrin und Ideologie vermischen sich mit den Weltanschauungen des Kindes, aber sie verderben nicht seinen Geist – trotzdem verfolgen sie ihn bis ins hohe Alter. Der Vater verbringt seine Zeit nun im Betrieb, sorgt dafür, dass produziert werden kann, zankt mit dem Onkel und dem Großvater. Die Freunde verschwinden nach und nach aus der Schule und den Vereinen, die Lehrer ebenfalls, bis nur noch er im Klassenzimmer sitzt. Unterricht findet nicht mehr statt.

Winter 1943, München: Fritz Mayr ist jetzt 17 Jahre alt. Er besucht ein Gymnasium, das keine Tür mehr hat, er schläft in Uniform und Stiefeln, er steht stramm bei Fliegeralarm, er feuert an der Flagg. Bisher hat er Glück. Schon bald wird er in den Reichsarbeitsdienst nach Memmingen berufen, wo Unglück wartet. Er findet wieder Freunde, mit denen er scherzt, er lernt ein Mädchen kennen, mit dem er lacht, er repariert das Flugfeld ohne Schutz, als die Bomben fallen. Fast alle sind tot, nur er und ein paar andere leben: Sie waren ausgeliefert, für alle sichtbar, auf offenem Felde, sie waren nicht relevant. Die Gebäude und die Hangars waren das Ziel, wo sich all jene Freunde aufhielten, mit denen er nur Minuten vorher noch gemeinsam gelacht hatte. Er weint, als er die Geschichte erzählt. Immer wieder weint er. Dann sagt er: Das alte Klump.

Einberufung zu den Gebirgsjägern, ein störrischer Esel, ein Güterzug an die Ostfront, eine Granate, MG-Munition und Kriegsgefangenschaft in Weißrussland. Irgendwann hat er keine Lust mehr, der Spielball der anderen zu sein. Krankheit, Nikotin und darbender Hunger sind sein Schlüssel zur Freiheit. Sein Leben lang wird er keine Zigarre, keine Zigarette anrühren, Waffen verteufelt er, Krieg hält er für sinnlose Verschwendung. Das Leben ist eine Freude.

Frühjahr, 1948. Der Staat, wenn man ihn als solchen bezeichnen kann, schenkt ihm ein Abitur. In München geht er studieren, Maschinenbau, an der Technischen Universität, als Erster seiner Familie. Dort wird ihm der Kopf verdreht. Von einem Mädchen, hinter dem er her ist, wie er mir sagt. Es gab auch Konkurrenz, fügt er augenzwinkernd hinzu, aber die habe er ausgestochen. Kurz nach Ende seines Studiums, im Jahr 1953, heiratet er Hanna Mayr, geborene Quintenz, die Frau, die er liebt. Am 20. April 1954 kommt sein Sohn zur Welt, Fritz junior, mein Vater. In Geislingen an der Steige, bei der WMF, erfährt Fritz Mayr, warum er Gewerkschaften nicht mag. Er lächelt verschmitzt und sagt mir, dass er sie immer noch nicht mag. Im Oktober 1956 fängt er deshalb im Betrieb seiner Eltern an. Dort streitet sich niemand mehr, die Familie spricht kaum miteinander, der Onkel ist längst verschwunden, der Großvater verstorben.

Die Jahre vergehen, sein Vater verlässt den Betrieb. Fritz Mayr merkt: Er ist ein geborener Unternehmer, ein genialer Konstrukteur, ein Macher, ein Visionär, ein Menschenkenner. Oft weiß er, wie ein Mensch tickt, bevor es dieser selbst weiß. Er ist ein respektierter, manchmal gefürchteter Chef, ein kritischer Geist, ein wohltätiger, geselliger und geachteter Mensch. Sein Sohn wächst heran, die Firma auch, der Wohlstand auch. Das Wirtschaftswunder macht ihn, er macht das Wirtschaftswunder und Unternehmer geraten in den Blick der Politik: Im Jahr 1988 erhält er das Bundesverdienstkreuz am Bande für herausragende Leistungen als Unternehmer und für soziales Engagement. Fritz Mayr nimmt die Auszeichnung an und widmet sie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Er ist jetzt über sechzig Jahre alt und ehrenvoller Bürger seiner Wahlgemeinde Mauerstetten. Er ist Schwiegervater von Franziska Mayr, geb. Weber und vierfacher Großvater seiner Enkel: Friederike, Ferdinand, Karoline und Hannelore. Ein Fünfter stößt bald dazu. Mit seiner Frau Hanna tanzt er zu ihrer Freude durch die Regional- und Landesligen. Sie haben Erfolg als Ehepaar und lassen sich dafür bewundern. Er feiert gerne, er genießt das Leben in vollen Zügen, er scherzt, er lacht, er trinkt und er isst, er malt wunderschöne Aquarelle und interessiert sich für Kunst, er fährt in den Urlaub nach Italien und an den Bodensee. Es sind die goldenen Jahre.

 

Die Krankheit meiner Großmutter überschattet die vielen strahlenden Momente, die er auch in dem neuen Jahrtausend zelebriert. Am 15. Januar 2010 stirbt Hanna nach kurzer, schmerzvoller Krankheit und hinterlässt Fritz Mayr in seiner Seele erschüttert. Sie waren 57 Jahre verheiratet. Der Tod seiner Ehefrau öffnet ein Tor, das lange verschlossen war, und Emotion fließt in großen Tränen. Monatelang. Er beginnt zu erzählen von seinen Erlebnissen im Krieg und seiner Kindheit und er merkt mit 84 Jahren, dass er allmählich alt wird. Seine treue Begleiterin Gioia (ital.: die Freude), eine edle Pudeldame, geleitet ihn durch einen weiteren schmerzhaften Prozess: Er gibt sein Unternehmen, sein Lebenswerk, in die Hände einer weiteren Generation. 2015 vollzieht er den Schritt, der in starkem Kontrast zu den Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend steht. Familie war fest verbunden mit Streit und Konflikt – ein Grund, weshalb er in manchen Lebensphasen eine vorsichtige Distanz zu seiner Familie pflegt. Es zeichnet Fritz Mayr als Mensch aus, dass er nach hart erarbeiteter Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gemerkt hat, dass es so nicht sein muss. Sein Lebenswerk legt er vertrauensvoll in die Hände seines Enkels Ferdinand, gestützt von seiner Familie.

Eigenständigkeit, Freiheitsliebe, Willensstärke und Unabhängigkeit sind Tugenden, die er bis zuletzt lebt und auf die er drängt. Im hohen Alter von 90 Jahren ist er immer noch täglich in seiner Firma, in der er nun der Senior ist. Als es nicht mehr möglich ist, alleine für sein Leben zu sorgen, findet er Helferinnen, die ihm seinen Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben ermöglichen. Das gesamte Pflegeteam und all seine Helferinnen und Helfer haben ihm geholfen, seine Würde nach seinen Vorstellungen zu bewahren. Sie haben ihm und uns als Familie ein unschätzbares Geschenk gemacht.

 

Fritz Mayr verbringt seinen letzten Tag in seinem Haus. Bei ihm ist seine Familie, sein einziger Sohn, seine Schwiegertochter, Enkel und Urenkel, enge Vertraute und langjährige Freunde. Er schläft mit einem Lächeln auf den Lippen ein und wacht nicht mehr auf.

 

Nach einem langen und erfüllten Leben stirbt Fritz Mayr friedlich am 18.01.2023 im Alter von 96 Jahren.

 

Nachrufe auf Fritz Mayr als Unternehmerpersönlichkeit finden sich hier: 

https://www.mayr.com/de/unternehmen/nachruf-fritz-mayr

 

 

 
 
 
 
 
 
 

© Korbinian Mayr-Kennerknecht, Januar 2023. In Andenken an meinen Großvater. 

 

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