Der Meeraal in Brehms Tierleben

Meeraal (Brehms Tierleben)

An den europäischen Küsten lebt der bekannteste Vertreter dieser Sippe, der Seeaal (Conger vulgaris, communis, verus, niger, leucophaeus und occidentalis, Muraena conger und myrus), ein sehr großer Fisch, welcher eine Länge von mehr als drei Meter und, laut Yarrell, zuweilen ein Gewicht von über funfzig Kilogramm erreichen kann. Die Färbung seiner Oberseite ist ein gleichmäßiges Blaßbraun, welches auf den Seitenlichter wird und unten in Schmutzigweiß übergeht; Rücken- und Afterflossen sind weißlich, schwärzlich gesäumt; die Seitenlinie tritt wegen ihrer lichteren Färbung deutlich hervor.

Einzelne Forscher haben die Meinung ausgesprochen, der Seeaal sei nichts anderes als ein durch längeren Aufenthalt in der See vollkommen ausgebildeter Aal; die Unterschiede zwischen [331] beiden Fischen sind jedoch so bedeutend, daß jene Ansicht eben nur ihrer Sonderbarkeit halber Erwähnung verdient: Gestalt des Leibes, Stellung der Flossen, Färbung, Anzahl der Wirbel und andere Eigenthümlichkeiten des inneren Baues trennen beide zur Genüge.

In der Nord- und Ostsee bevorzugt der Seeaal felsige Ufer und verbirgt sich hier in Höhlen und Ritzen derselben, während er auf sandigem Grunde durch Eingraben sich zu verstecken weiß. Er ist ein ungemein gefräßiges Thier, welches nach Raubfischart auch schwächere seines Geschlechtes nicht verschont: aus dem Magen eines Stückes von zwölf Kilogramm Gewicht nahm Yarrell drei Schollen und einen jungen Seeaal von einem Meter Länge. Die Kraft seiner Kinnlade ist so bedeutend, daß er Muscheln mit Leichtigkeit zermalmt. Nicht selten untersucht der Räuber Hummerkörbe und bemächtigt sich der in ihnen gefangenen Krebse, muß seine Raublust aber oft mit Freiheit und Leben büßen. Im Gegensatze zum Aale kann man bei ihm die Geschlechter, während der kalten Monate mindestens, sehr wohl unterscheiden. Die Laichzeit fällt in den December oder Januar. Junge von Fingerlänge sieht man an felsigen Küsten während des Sommers.

Neuerliche Forschungen lassen glaublich erscheinen, daß diese Jungen wenigstens zum Theile eine Verwandlung zu erleiden haben oder theilweise auf einer eigenthümlich niedrigen Stufe verharren. Man glaubt nämlich gegenwärtig, in den sogenannten Glasaalen, für welche man eine besondere Familie (Leptocephalidae) gebildet hatte, junge Seeaale im Larvenzustande zu erkennen. Diese Glasaale sind kleine, glashelle, vollkommen durchsichtige Thiere mit wenig entwickelten Knochen und noch nicht ausgebildeten Rippen. Die am häufigsten vorkommende Form, der Glasaal (Leptocephalus Morrisii) der Forscher, ebenderselbe, welcher gegenwärtig von[332] Gill und Günther als Larve des Seeaales angesehen wird, hat seitlich sehr stark zusammengedrückten, nach vorne und hinten fast gleichmäßig zugespitzten bandartigen Leib, kleine Brustflossen, weit hinten beginnende Rücken- und Afterflosse, welche sich mit der Schwanzflosse vereinigen, und eine Reihe Zähne im Ober- und Unterkiefer. Von einer bestimmten Färbung ist eigentlich nicht zu reden, weil das Thier stets ebenso aussieht wie das Wasser und so durchsichtig ist, daß man, laut Bennett, Buchstaben, welche man mit seinem Leibe bedeckte, deutlich lesen kann. Die Länge beträgt gegen zehn Centimeter. Merkwürdig ist der innere Bau. Die Eingeweide bilden nur einen geraden, engen Schlauch, welcher vom Kopfe bis zum Bauche verläuft und sich nirgends eigentlich erweitert. Legt man das Fischchen auf Glas und hält man es dann gegen das Licht, so kann man den Verlauf dieses Verdauungsschlauches deutlich sehen.

Pennant erhielt den ersten Glasaal aus der Gegend von Holyhead; später wurden binnen wenigen Jahren etwa zwanzig Stück an den verschiedensten Theilen der Küsten Großbritanniens gefangen. An einem dieser beobachtete man eine auffallende Zählebigkeit. Das Thierchen wurde nach dem Fange in Papier gewickelt, um es an einen Kundigen zu senden, blieb drei Stunden in dieser Lage, zeigte dann noch Leben und erholte sich, in Salzwasser gebracht, insoweit wieder, daß es noch mehrere Stunden aushielt. Seine Bewegungen sollen sehr anmuthig gewesen sein; Bennett, welcher solche Fischchen auf hohem Meere fing und unmittelbar darauf in Gefäße mit Seewasser brachte, vergleicht jene Bewegungen mit denen des Aales, und zwar auch rücksichtlich der Behendigkeit und Gewandtheit, welche die sonderbaren Geschöpfe bekunden.

Obgleich das Fleisch des Seeaales nicht gerade in besonderer Achtung steht, wird sein Fang doch eifrig betrieben, weil jenes von Aermeren als billige Nahrung gesucht wird. Früher trocknete man an den englischen Küsten viele dieser Fische zur Ausfuhr nach Spanien und Südfrankreich, zerkleinerte hier oder dort das Fleisch zu einem groben Pulver und verwendete es zur Bereitung von Suppen und ähnlichen Speisen. An den Küsten von Cornwall benutzt man zum Fange vorzugsweise Lang- und Handleinen, deren Angeln mit Pilchards geködert werden, während man an der französischen Küste den Sandaal jedem anderen Köder vorzieht. Je dunkler die Nacht, um so reichlicher die Beute. Couch versichert, daß drei Mann zuweilen bis zweitausend Kilogramm dieser Fische in einer einzigen Nacht erbeuten. Auf den Orkneyinseln verhilft der Fischotter, welcher dort bekanntlich ins Meer geht, den Küstenbewohnern oft zu einem Gerichte Seeaale, indem er von den von ihm gefangenen und ans Land geschleppten Fischen nur ein wenig frißt und das übrige für diejenigen liegen läßt, welche seine Aufenthaltsorte und Schlupfwinkel kennen gelernt haben und sich die Mühe nicht verdrießen lassen, sie regelmäßig abzusuchen.

Gefangene Seeaale gewöhnen sich selbst in engen Becken binnen kurzem ein, wählen irgend einen passenden Schlupfwinkel zu ihrem Aufenthalte, verbergen sich entsprechendenfalles auch unter einer lebenden Seeschildkröte und verweilen hier während des Tages in träger Ruhe, wogegen sie des Nachts fast ununterbrochen in Bewegung sind. Ihr ewiger Heißhunger befreundet sie bald so innig mit ihrem Pfleger, daß sie angesichts einer ihnen vorgehaltenen Speise auch bei Tage ihr Versteck verlassen und zuletzt das ihnen vorgehaltene Futter furchtlos aus der Hand nehmen. Bei reichlicher Nahrung wachsen auch sie ungemein rasch heran.

Bei den alten Römern stand das Fleisch eines Aalfisches, der Muräne, in hohem Ansehen. Ihr zu liebe dämmten sie Teiche und Meere ein und besetzten diese reichlich, um stets den nöthigen Bedarf für ihre Schwelgereien bei der Hand zu haben. Nach Angabe von Plinius war es Hirius, welcher zuerst einen solchen Teich anlegte und so stark bevölkerte, daß er bei Cäsars Triumphzuge seinen Freunden sechstausend Stück auf die Tafel bringen konnte. »Von Crasso dem Römer wirt geschrieben, daß er in einen Weyer habe ein sehr schönen grossen Muraal gehabt, welchen er sehr geliebt, jhn mit güldinen Kleinoten gezieret, welcher Muraal die stimm deß Crassi erkennt, jm [333] nach an das gestad zu schwimmen, speiß auß seiner hand zunehmen gepflegt habe: welcher Fisch als er gestorben, sol der Crassus vmb jhm getrauert, jhn bestattet und beweinet haben.«

Wenn eine Geschichte, welche außerdem erzählt wird, sich wirklich zugetragen, verleitete die Muräne andere Römer zu den größten Scheuslichkeiten. Vidius Pollio nämlich soll in Erfahrung gebracht haben, daß die beste Mast der Muräne Menschenfleisch sei, und diesem Wahne mehrere seiner Sklaven geopfert, das heißt deren Vergehen durch Ertränken in seinen Muränenteichen bestraft haben! Jedenfalls gehörte dieser Fisch zu denen, welche die Alten am genauesten kannten oder wenigstens zu kennen wähnten; denn gar sonderbare Dinge wurden erzählt von seinem Wesen und Gebaren. Abgesehen von dem Berichte der »wunderbaren vermischung mit den jrdischen Schlangen oder Natern, welche nicht allein von den Heyden, sondern auch von etlichen berümbten Theologen vnd Außlegern der heiligen Schrifft als ein warhafftige art, auß der sag deß gemeinen mans geschrieben worden«, berichtete man noch viel von Feindschaften und Kämpfen der Muränen, laut Geßner, welcher allen Stoff redlich zusammengetragen, zunächst noch folgendes: »Die Muraal halten sich in die löcher der steinen vnd Felsen, so voller kleiner Muschelfischen sind, dann sie sind fleischfressig, haben ein sondern lust ob dem grossen Kuttelfisch zu jhrer nahrung, freuven sich der süssen vnd gesaltznen Wassern, wiewol sie in keine Flüß herauff kommen sollen, mögen lange Zeit ausser dem [334] Wasser geleben nach art der älen, dann sie haben kleine oder wenig Fischohren. Sie leychen zu aller zeit durch das gantz Jahr, haben kein gewiß zeit, nach art der mehrer theil Fischen, leychen in grosser menge kleine röglin oder eyer, welche in kurtzer zeit in gute grösse erwachsen. Durch den Winter halten sie sich verborgen in den Löchern, werden selten zur selben zeit gefangen. Zu mercken ist, daß diese Fisch jhr leben in dem schwantz haben sollen, welchen so man jhn schlegt, so sterben sie leichtlich zur stund, so man jhnen aber den kopff schlegt, sterben sie hart, nicht ohne arbeit. So diese Fisch essig versuchen, werden sie mächtig grimm vnd wütend, dann sie kempffen, streiten, verletzen vnd beschirmen sich mit jhren Zänen, welche sie haben zweyfachter Ordnung. Dem Meeraal ist, er gehaß, frißt jm seinen schwantz ab. Ein tödtlichen haß haben zusammen der Muraal, groß Kuttelfisch, vnd Meerstöffel, Locusta genannt. Dann ob gleichwol der große Kuttelfisch sich verwandern kann in die farb der steinen an welchen er klebt, hilfft es jhn doch nichts, dann der Muraal ist deß wol bewust, vnd so er jn der höhe hervmb schweiffen ersiht, so scheußt er auff jhn, ergreifft jhn mit seinem Biß, zwingt und treibt jhn zu kempffen, so lang biß er jn müd, seine Arm abgebissen, gefressen, vnd den andern leib in stücke zerzerrt hat. Dargegen reitzt der Meerstöffel, so da ist auß der art der Meerkrebsen, den Muraal zu kampff, mit sondern Listen, indem daß er in die löcher der Felsen, in welchen der Muraal wohnet, seine hörner streckt, von welchem der Muraal ergrimmet, jhnen deß kampffs besteht, vnd wiewol der Muraal mit grosser vngestüm jhn anfelt mit seinem Biß, mag er doch jhn nicht schädigen, auß vrsach daß er mit einer harten schalen voller scharpffer spitzen bedeckt ist. Der Krebs aber erfasset den Muraal in seine scheren, läst nit nach so lang der Muraal sich vmb jn her vmb die spitz windet, also sich selbst verwundt vnd stirbt usw.«

Es läßt sich annehmen, daß diese Berichte nur zum geringsten Theile richtig sind; etwas wahres aber wird sicherlich an ihnen sein. Von den neueren Beobachtern erfahren wir über die Muräne so viel wie nichts. Sie bewohnt das Mittelländische Meer, in viel geringerer Anzahl auch das südliche Atlantische, und verirrt sich zuweilen bis an die Küsten Großbritanniens, wie dies im Oktober des Jahres 1834 geschehen. Sie lebt in tiefem Wasser auf dem Grunde und erscheint im Frühjahre an den Küsten, um zu laichen. Krebse und Tintenschnecken bilden in der That ihre bevorzugte Nahrung, und ihre Gefräßigkeit soll so groß sein, daß sie in Ermangelung hinreichender Beute ihresgleichen die Schwänze abbeißt. Gefangene kämpfen wüthend und bringen ungeschickten Fischern gefährliche Wunden bei. Zum Fange wendet man Angelhaken und Körbe an. Hat der Fisch an die Angel gebissen, und fühlt er, daß der Haken angezogen wird, so versucht er, sich noch mit dem Schwanze an feste Körper anzuhängen, leistet überhaupt so lange wie möglich hartnäckigen Widerstand. Das Fleisch gilt heute noch als höchst schmackhaft.

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