Das Thema
Bis zum 31. Januar 2023 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Richtlinie (EU) 2019/2121 (sog. Umwandlungsrichtlinie, UmwRL) in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen vom 1. Januar 2020 in nationales Recht umzusetzen. Die mitbestimmungsrechtlichen Regelungen der Richtlinie zum grenzüberschreitenden Formwechsel und der Spaltung werden nach dem BMAS-Referentenentwurf vom 19.4.2022 und nach dem Beschluss durch die Bundesregierung Anfang Juli 2022 in einem neuen Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG) umgesetzt. Daneben sind auch punktuelle Änderungen des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) erforderlich.
Durch das MgFSG soll in erster Linie die Mitbestimmung in Gesellschaften deutscher Rechtsform, die aus grenzüberschreitendem Formwechsel oder einer grenzüberschreitenden Spaltung hervorgehen, ausgestaltet werden. Dabei wird nunmehr der bestehende Rechtsrahmen zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen, auf die des Formwechsels und der Spaltung erweitert.
Der Referentenentwurf zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie verspricht also zahlreiche Neuerungen in der europäischen Unternehmensmitbestimmung.
Die Neuregelungen im Einzelnen: Vier-Fünftel-Regelung
Bedeutsam ist zunächst, dass durch die neu eingeführte Vier-Fünftel-Regelung der Kreis einer potenziellen Mitbestimmungsfrage erweitert wird. Danach soll künftig bereits dann eine Arbeitnehmermitbestimmung in Betracht kommen, wenn einer der an der Umstrukturierung beteiligten Gesellschaften eine Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die mindestens 4/5 des Schwellenwerts entspricht, der die Unternehmensmitbestimmung im Wegzugsmitgliedstaat auslöst. Durch diesen abgesenkten Schwellenwert sollen missbräuchliche Umstruktierungen zu Zwecken der Umgehung der Mitbestimmung unterbunden werden.
Strenger Bestandsschutz bestehender Mitbestimmungsrechte
Außerdem soll künftig sowohl bei einer Mitbestimmung kraft Vereinbarung als auch im Fall der gesetzlichen Auffangregelung im Rahmen eines grenzüberschreitenden Formwechsels und einer grenzüberschreitenden Spaltung ein strenger Bestandsschutz bisheriger Mitbestimmungsrechte greifen. Sämtliche Komponenten der Arbeitnehmermitbestimmung sollen auch nach einer Umwandlung weiterhin Geltung beanspruchen. Auch eine Beteiligungsvereinbarung hat diese im gleichen Ausmaß zu wahren. Hierbei soll die Gründung einer Societas Europaea (SE) als Vorbild dienen. Zu den Komponenten der Mitbestimmungen zählen dabei solche, welche die Mitbestimmung der Arbeitnehmer nach dem Recht des Wegzugsstaats prägen.
Nachwirkender Mitbestimmungsschutz
Durch die Neuregelungen soll überdies ein umfassender Schutz bei später nachfolgenden Umwandlungen erreicht werden, insbesondere was die Rechtssicherheit bei Abgrenzung der durch EU-Recht vorgegebenen Verhandlungslösungen und dem innerstaatlichen Mitbestimmungsrecht anbetrifft. Dieser nachwirkende Mitbestimmungsschutz wurde von den bislang drei Jahren bei lediglich der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf vier Jahre nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Umstrukturierung verlängert und erweitert. Kommt es innerhalb dieser Frist zu einer erneuten grenzüberschreitenden oder innerstaatlichen Umstrukturierung, sollen die Mitbestimmungsrechte nochmals einen gesonderten Schutz erfahren.
Besonderheiten für die grenzüberschreitende Spaltung
Zu beachten gilt, dass die Richtlinie ihrer Systematik nach nur die Mitbestimmung der neu gegründeten Gesellschaften im Rahmen einer grenzüberschreitenden Spaltung erfasst. Dabei muss für jede neu hervorgehende Gesellschaft ein separates besonderes Verhandlungsgremium gebildet werden.
Grenzüberschreitende Sitzverlegung: Was sollten Unternehmen wissen?
Beabsichtigen Unternehmen ihren Firmensitz nach Deutschland oder aus Deutschland heraus zu verlegen, so muss die Mitbestimmung zwischen den Beschäftigten und dem Unternehmen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen verhandelt werden. Kommt es zu keiner Einigung, verbleibt es beim aktuellen Modell der Mitbestimmung. Es greift die „Auffanglösung“. Hierdurch soll das bestehende Mitbestimmungsniveau gesichert werden, sofern bereits eine Mitbestimmung im Unternehmen vorhanden ist.
Ob dies mit einer etwaigen Nachverhandlungspflicht einhergeht, sofern die Beschäftigtenzahl nach der Umwandlung ansteigt und die Schwellenwerte nationaler Mitbestimmung übersteigt, bleibt mit Blick auf den verstärkten Bestandsschutz jedoch fraglich.
Ausblick: Erstmals Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmermitbestimmung
Mit Umsetzung der UmwRL werden erstmals Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmermitbestimmung bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung geschaffen. Die neu geschaffenen Regelungen könnten zu einer verstärkten Mobilität von Unternehmen im Binnenmarkt führen, was unweigerlich auch zu einer erhöhten Auseinandersetzung mit der unternehmerischen Mitbestimmung führen würde.
Sofern in der sich umstrukturierenden Gesellschaft bereits Mitbestimmungsrechte im Wegzugsstaat bestanden, so soll die europäische Verhandlungs- verbunden mit der Auffanglösung in aktueller Fassung den Bestand dieser Rechte schützen und sie auf die Arbeitnehmer anderer Mitgliedstaaten erstrecken. Ob die Vier-Fünftel-Reglung dabei eine Flucht in die Mitbestimmung zu verhindern geeignet ist, bleibt abzuwarten.
Einen Überblick zu den wesentlichen Neuerungen im Bereich des Gesellschaftsrechts finden Sie infolge der Beschlussfassung durch die Bundesregierung am 6. Juli 2022 hier.