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Mit Gottlieb im Gespräch

Was das Altenberger Galgenmännlein zu sagen hat

Gottlieb, das Galgenmännlein
Gottlieb, das Galgenmännlein

 

Am Galgenteich, am Großen Galgenteich in Altenberg, am Fuß des Kahlebergs - da traf ich das Galgenmännlein.

 

Und das kam so: Ich gehe am Teichufer durch den Schnee. Graubewölkt der Himmel, ruckartige Windböen, einsam die Landschaft. Manchmal kommt ein kurzer Lichstrahl aus den Wolken und beleuchtet intensiv irgendwas. Dann glitzert es vor den Augen, es blendet, schimmert und irrlichtert ein wenig, wenn man direkt hineinschaut. Es dauert kurz, ehe man wieder deutlich sieht.

 

So blinzele ich über dem blendenden Schnee auf den Großen Galgenteich hinaus. Der Wind pfeift am Ufer entlang, plötzlich ist er ganz still.

 

Ich bin kurz vor einer robusten Uferbank angekommen. Wegen Kälte und Wind weiß ich nicht, ob ich mich kurz hinsetzen und einen heißen Schluck Kaffee aus dem Rohr trinken soll. Unschlüssig gehe ich auf die Bank zu. Noch ist es ganz windstill, aber vor ein paar Minuten hat eine Böe mir fast das Handy aus der Hand gerissen, als ich das Wasser fotografiere.

 

Mir kommt es vor, als ob ich einen kleinen Schatten auf der Bank hocken sehe. Oder täuscht mich das Spiel des Lichts, was gerade wieder einsetzt? Neugierig trete ich näher und sehe - nichts.

 

Erleichtert und enttäuscht zugleich wische ich etwas Schnee von der Bank und setze mich. Dann hole ich das Kaffeerohr raus. Während ich mich zurücklehne, über das Wasser gucke und genüsslich erste Schlucke trinke, da bewegt sich das schwarze Galgenteichwasser in kleinen, frierenden Wellen.

 

"Glück auf! Könnt' ich vielleicht auch einen Kaffee haben, bitte?" sagt eine Stimme. Da ich genau weiß, dass ich weder getrunken noch mir sonst irgendwas Bewusstseinsveränderndes angetan habe, gucke ich aufmerksam suchend um mich. Etwas verdattert sicher. "Oh, entschuldige bitte. Ich wollte Dich nicht erschrecken. Mein Name ist Gottlieb, ich bin ein Galgenmännlein und wohne dort gleich hinterm Kleinen Galgenteich."

 

Ich bin sprachlos und mustere die kleine Gestalt, die sich neben mir auf der Bank niedergelassen hat. Gottlieb, das Galgenmännlein. Wie er aussieht? Ungefähr 20 cm groß, in eine Art blauen Skianzug gekleidet, schwarzstruppige Haare, dunkelgraue, ledrige Haut. Zwei eisblaue Augen mit kurzen grauen Wimpern. Zwei Arme, zwei Beine, ein kleiner Körper.

 

In einer Hand hat das Männlein eine weiße Porzellantasse mit Goldrand, die es mir entgegen streckt. Ich schenke ein und sage bedauernd, dass ich weder Milch noch Zucker bei mir habe, da ich selbst beides hier nicht brauche. 

 

"Ich auch nicht." sagt Gottlieb.

 

Ich betrachte ihn intensiv und er mich. Dann sage ich ihm, dass ich noch nie ein Galgenmännlein traf und dergleichen nur aus Büchern kenne. Gottlieb nickt wissend, trinkt Kaffee und sagt nichts. Ich bin dann auch still. Schweigend trinken wir Kaffee, gucken nun nicht mehr aufeinander, sondern aufs Wasser. Nach einer Weile beginnt das Galgenmännlein folgende Unterhaltung:

 

Gottlieb: "Dein Kaffee ist gut. Was machst Du hier ganz alleine an den verlassenen Galgenteichen? Bei diesem Wetter...."

Ich (grinse): "Bei schönem Wetter kanns ja jeder.... Ich war neugierig auf die Teiche, den Kahleberg, die kleine Stadt. Da bin ich halt hergefahren."

Gottlieb(nickt): "Und Du warst neugierig, ob es hier ein Galgenmännlein gibt, stimmts? Das kann ich in Deinen Augen sehen."

Ich: "Ja, so ist das. Und ich bin froh, dass Du nicht kopflos bist, wie in den Märchen vom Hauff. Und nicht in einer Flasche sitzt wie das Männel vom Herrn de la Motte Fouquet."

Gottlieb (verdreht die Augen und lacht): "Nein, zum Glück. Ich habe auch nichts mehr mit Galgen und Leichen zu tun, die Zeiten sind längst vorbei...."

Ich (starre ihn an): "Wie alt bist Du denn?"

Gottlieb (wachsam): "Alt genug...."

Ich (vorsichtig): " Da hast Du wohl schon allerhand erlebt hier?"

Gottlieb: "Oh ja. Jetzt ist es allerdings am besten. Keine Hinrichtungen, keine Galgen, keine unangenehmen Geschichten, keine lästige Galgenmännleinarbeit. Da hab ich endlich Zeit für das, was ich gerne mach: Wünsche erfüllen!"

Ich (erschrocken): "Hrmmpf, so wie das Männel vom Reichhardt in Venedig? "

Gottlieb (ungeduldig): " Ich heiße Gottlieb! Da werd' ich schon nicht mit dem Teufel im Bunde sein...."

Ich: "Wenn Du es sagst."

Gottlieb: "Ich fange keine Seelen und erfülle auch nur Wünsche, die nichts mit Gold, Geld und Besitz zu tun haben. Zum Beispiel zaubere ich Streit, Stress, Angst und Schlaflosigkeit weg. Und geliebtes Verschwundenes wieder her. Ich sorge für Gesundheit, ein frohes Herz, gute Gedanken, sicher aufgehobene Kinder, wiedergefundene Hunde und Schlüssel, frischen Kaffee....."

Ich (gucke fasziniert ins Kaffeerohr): "Tatsächlich, und wie der duftet, hmmmmm."

Gottlieb (zwinkert): "Eine Deiner Lieblingssorten. Wiener Melange, frisch geröstet."

Ich (gerührt): "Danke, Gottlieb!"

Gottlieb: "Gerne. Und schön, mit Dir zu reden."

 

Danach sitzen wir noch eine Weile auf der Bank, trinken Kaffee und erfahren voneinander Erstaunliches. Jeder über die Welt des anderen. Gottlieb füllt den Kaffee noch einmal auf, dann wird es Zeit für meinen Rückweg und wir verabschieden uns. Das Galgenmännlein hat einen festen, angenehmen Händedruck, mit ganz kleiner Hand.

 

Im Mai wolln wir uns hier wiedertreffen, wenn die berühmte Gefleckte Kuckucksblume blüht.

 

 

Die passende Musik zum am Teich sitzen gibts auch: