Das Thema
In vielen Berufen ist es erforderlich, die bereits erworbene Qualifikation laufend durch gesetzlich vorgeschriebene Weiterbildungsmaßnahmen aufzufrischen. Werden diese Schulungen nicht durchgeführt, so geht die bereits erworbene Berufsqualifikation wieder verloren. Es stellt sich damit die Frage, ob die Wiederauffrischung eines berufsqualifizierenden Abschlusses Arbeitszeit darstellt oder ob es sich – wie der Erwerb der berufsqualifizierenden Abschlusses als solches – um eine Angelegenheit des Arbeitnehmers handelt.
Die Rechtsprechung differenziert bei Schulungskosten im Grundsatz danach, in wessen Interesse die Schulung erfolgt, diese Abwägungsentscheidung dominiert auch die Frage danach, ob es sich um Arbeitszeit handelt oder nicht.
Welche Möglichkeit der Arbeitgeber bei der Gestaltung von Pflichtschulungen hat, um auf die Vergütungspflicht und Einordnung als Arbeitszeit einzuwirken, zeigt eine Anfang des Jahres ergangene Entscheidung des LAG Niedersachsen (Beschluss vom 29.01.2020 – 17 TaBV 42/19; unveröffentlicht). Vorweg: Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, welche Folgen die Gestaltung von Pflichtschulungen haben kann und möglichst auf Weisungen verzichten.
Der Sachverhalt: Pflichtschulungen bei Berufskraftfahrern
In dem streitgegenständlichen Verfahren stritt eine Arbeitgeberin mit ihrem Betriebsrat um die Mitbestimmung bei der zeitlichen Lage von Schulungen nach dem Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz (BKrFQG) sowie des europäischen Übereinkommens über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR), an denen die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Berufskraftfahrer teilnahmen. Die Schulungen sind erforderlich, um die für die Ausübung des Berufes notwendige Qualifikation zu erhalten.
Die Arbeitgeberin erinnerte ihre Fahrer jeweils vor Ablauf der für diese maßgeblichen Fristen an die vorgeschriebenen Weiterbildungen und schlug ihnen mögliche Schulungstermine vor. Die Auswahl eines Termins nahm aber allein der jeweilige Fahrer vor. Drohte der Wegfall der behördlichen Erlaubnis, nahm die Arbeitgeberin die Anmeldung zwar selbst vor, stellte es den Arbeitnehmern aber frei, sich einen anderen Termin auszusuchen oder an der Schulung nicht teilzunehmen. Dabei konnte der Fahrer sowohl Termine während, als auch außerhalb der planmäßigen Arbeitszeit, d.h. auch an Wochenenden auswählen.
Die Arbeitgeberin übernahm für ihre Fahrer die Kosten der Schulungen, berücksichtigte die Schulungszeit aber nicht als Arbeitszeit und leistet keine Vergütung. Zudem beteiligte sie den Betriebsrat nicht. Der Betriebsrat war der Ansicht, dass er bei der Festlegung der zeitlichen Lage der Schulungen ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG habe. Nachdem das Arbeitsgericht Hannover den darauf gerichteten Feststellungsantrag des Betriebsrats zurückwies, legte dieser Beschwerde beim LAG Niedersachsen ein.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts: (Solche) Schulungen sind keine Arbeitszeit …
Das LAG wies die Beschwerde des Betriebsrats zurück. Bei den streitgegenständlichen Schulungen handele es sich nicht um Arbeitszeit im Sinne der Mitbestimmungstatbestände des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG. Vorliegend fehle es an einer Weisung des Arbeitgebers als Voraussetzung für die Einordnung der Schulungen als Arbeitszeit.
Die Arbeitnehmer erfüllten eine eigene öffentlich-rechtliche Verpflichtung aufgrund von Vorschriften des nationalen bzw. europäischen Gesetz- und Verordnungsgebers. Mangels einer entsprechenden Anweisung zur Teilnahme an einer bestimmten Schulung handelt es sich daher nicht um Arbeitszeit im mitbestimmungsrechtlichen Sinne.
Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG schütze den Arbeitnehmer nicht vor freizeitbeschränkenden Pflichten und Obliegenheiten, auch wenn diese unzweifelhaft einen Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit aufweisen.
… und unterliegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats
Dies unterscheide die Schulungsteilnahme auch von freiwilligen Überstunden, welche nach der Rechtsprechung des BAG ein Mitbestimmungsrecht begründen können. Denn anders als bei Überstunden liege es bei gesetzlichen Pflichtschulungen nicht in der Macht des Arbeitgebers, ob er diese zulasse oder nicht.
Im Ergebnis liegt Arbeitszeit und damit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer bestimmten Schulung anweist. Unterlässt er dies, so besteht weder ein Initiativrecht des Betriebsrats, noch überhaupt ein Mitbestimmungsrecht.
Handelt es sich um Arbeitszeit im Vergütungsrechtlichen Sinne?
Die Entscheidung des LAG überzeugt und steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BAG. Das BAG definiert Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 1, 2 BetrVG als die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbringen soll (BAG, Beschluss vom 17. November 2015 – 1 ABR 76/13).
Zutreffend stellt das LAG daher maßgeblich auf die Notwendigkeit einer Ausübung des Direktionsrechts ab, an welcher es vorliegend fehlte.
Unmittelbare Auswirkung hat die Entscheidung des LAG zunächst nur bezüglich des betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitszeitbegriffes. Zwar ist auch vergütungsrechtlich und arbeitsschutzrechtlich von Bedeutung, ob eine Tätigkeit als „Arbeitszeit“ einzuordnen ist, doch die jeweiligen Begriffe sind nicht vollständig deckungsgleich und autonom auszulegen. Gleichwohl gibt es starke Parallelen zwischen den jeweiligen Arbeitszeitbegriffen, insbesondere bezüglich einer Anknüpfung an das Weisungsrecht des Arbeitgebers.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne, neben der eigentlichen Tätigkeit, jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspreche die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmungen sei jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG, Urteil vom 18. März 2020 – 5 AZR 36/19 – Anmerkung d. Red.: Zur Frage, ob Fahrtzeiten bei der höchstzulässigen täglichen Arbeitszeit (§ 3 ArbZG) zu berücksichtigen und damit zu vergüten sind, lesen Sie in diesem #EFAR-Beitrag.)
Pflichtschulungen unterfallen nicht dem vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff
Wie das LAG zutreffend festgestellt hat, wurden die Arbeitnehmer im streitgegenständlichen Fall zum einen nicht zur Teilnahme an den Schulungen angewiesen, zum anderen erfüllten sie eigene Verpflichtungen. Da auch der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff maßgeblich von der Ausübung des Direktionsrechts und einer Fremdnützigkeit der Tätigkeit abhängig ist, unterfallen die Pflichtschulungen nicht dem vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff (dies war nicht Gegenstand der Entscheidung, ist aber eine logische Folge).
Somit trifft den Arbeitgeber keine Vergütungspflicht bezüglich nicht angewiesener Pflichtschulungen.
Es verbleibt selbstverständlich die Möglichkeit, eine Vergütung individualvertraglich oder tarifvertraglich zu vereinbaren. Doch allein die Tatsache, dass es sich um eine Schulung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit handelt, führt nicht zu einer Vergütungspflicht.
Folgen für die Praxis: Verzicht auf Weisungen bei Pflichtschulungen
Die Entscheidung hat demnach große praktische Relevanz für den Erwerb bzw. die Aufrechterhaltung berufsbezogener Qualifikationen (z.B. Fahrerlaubnis, Zulassung, Approbation, Examinierung).
Wenn dem Arbeitnehmer die zeitliche Disposition überlassen bleibt und er gesetzliche Vorgaben erfüllt, ist die hierfür aufgewendete Zeit keine Arbeitszeit, weder im vergütungsrechtlichen, noch mitbestimmungsrechtlichen Sinne. Der Arbeitgeber kann aber, indem er von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht und die Arbeitnehmer zur Teilnahme an den Schulungen anweist, die Teilnahme an der Schulung zur Arbeitszeit machen (vgl. BAG, Beschluss vom 15. April 2008 – 1 ABR 44/07).
Der Arbeitgeber sollte sich also bewusst sein, welche Folgen die Gestaltung von Pflichtschulungen haben kann und möglichst auf Weisungen verzichten. Das Vorgehen der Arbeitgeberin im streitgegenständlichen Fall kann als Blaupause dienen, da es ihr gelang, ohne die Vornahme von Weisungen die Teilnahme der Fahrer an den Schulungen sicherzustellen. Wichtig ist, dass es letztlich der Arbeitnehmer ist, welcher über die Teilnahme an der Schulung entscheidet. Unschädlich sind dagegen Hinweise und Vorschläge durch den Arbeitgeber.