Keine Schadensersatzpflicht der Clearstream Banking AG bei verwahrter Anleihe

OLG Frankfurt a.M.

In seiner Entscheidung vom 15. Juni 2020 setzt sich das OLG Frankfurt a.M. (Az.: 17 U 272/19) im Einzelnen mit der Frage einer Schadensersatzpflicht der Clearstream Banking AG bei einer verwahrten Anleihe auseinander.

1. Sachverhalt der Entscheidung

Der Kläger forderte von der Beklagten Schadensersatz wegen angeblicher Pflichtverletzung als Verwahrstelle im Zusammenhang mit der Ausgabe einer Inhaberschuldverschreibung

Die am 28. März 2012 gegründete Y AG, die sich mit dem Betrieb und dem An- und Verkauf von Wind- und Solarkraftwerken beschäftigte und deren einzelvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied Herr A war, emittierte im April 2013 eine Inhaberschuldverschreibung über Euro 300 Millionen. Die Anleihe wurde am 24. April 2013 veröffentlicht. Es wurde ein von der BaFin am 10. April 2013 gebilligter Wertpapierprospekt herausgegeben, der die Anleihebedingungen enthielt. 

Laut Seite 94 des Prospektes wurden die individuellen Rechte der Anleger durch eine Globalurkunde ohne Zinsscheine verbrieft.  Gemäß § 1 Abs. 1 der Anleihebedingungen sollte die Beklagte, die der deutsche Zentralverwahrer für girosammelverwahrungsfähige Wertpapiere ist, die Globalurkunde verwahren.

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sehen u.a. vor, dass sich die Beklagte verpflichtet, Informationen oder Aufträge von Emittenten oder von ihnen beauftragten Dritten über in Deutschland verwahrte Wertpapiere auf erkennbare Fehler zu prüfen und im Falle eines Fehlers den Emittenten oder den von ihm beauftragten Dritten unverzüglich zu benachrichtigen. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass die Beklagte verpflichtet sei, die gelieferten Wertpapiere auf Echtheit, Vollständigkeit, Lieferbarkeit und ihre Eignung zur Girosammelverwahrung zu prüfen.

Am 25. Oktober 2012 wurde das Bankhaus X AG von der Emittentin als begleitende Zahlstelle für die Emission bestellt. Diese sollte u.a. die technische Vollständigkeit und Richtigkeit der Globalurkunden und anderer Dokumente im Zusammenhang mit der Lieferbarkeit der Anleihen prüfen. Die ordnungsgemäße Entstehung der verbrieften Rechte an den Anleihen sollte nicht geprüft werden.

Gemäß § 1 Absatz 4 der Anleihebedingungen sollten die Globalurkunden handschriftlich durch rechtsgültige Unterschriften der Emittentin unterzeichnet werden. Die fragliche Globalurkunde wurde auf der Grundlage eines vorhandenen Musters ausgestellt, dessen Herkunft umstritten ist. Es wurde ausgeführt, dass die Globalurkunde nur gültig und verbindlich sei, wenn sie die Unterschrift von zwei bevollmächtigten Personen trage, weshalb zwei Unterschriftzeilen aufgeführt waren. Da Herr A alleiniges Mitglied des Verwaltungsrats war, trug die Urkunde nur seine Unterschrift.

Am 4. April 2013 übergab die Bankhaus X AG der Beklagten die Emissionsdokumente und bestätigte die Rechtsgültigkeit der Unterschriften auf den Globalurkunden. 

Am 6. September 2013 erwarb der Kläger von der Bank 1 AG einen Anteil an der vorgenannten Inhaberschuldverschreibung im Nennbetrag von Euro 30.000,00 Euro zu einem Preis von Euro 28.956,52. 

Aufgrund der Aufstockung der Anleihe und der Ausgabe einer weiteren Tranche in Höhe von 500 Mio. EUR im November 2013 wurde erneut eine Globalurkunde mit zwei Unterschriftszeilen aber nur einer Unterschrift ausgestellt. Dies wurde von einer amerikanischen Bank beanstandet. 

Am 30. April 2014 ordnete die Beklagte die Sperrung der in den Wertpapierkonten verbuchten Anleihen an.

Am 5. Juni 2014 erklärte die Emittentin in einer Pressemitteilung, dass die Globalurkunden nach zwei Rechtsgutachten für ungültig erklärt wurden, woraufhin die BaFin den Vertrieb der Anleihen untersagte. Die Beklagte führte daraufhin Gespräche mit der Y AG und vereinbarte den Austausch der Urkunden. Dazu kam es nicht mehr. 

Im Juni 2015 meldete die Emittentin Insolvenz an. Das Insolvenzverfahren wurde im August 2017 eröffnet. Mit Schreiben vom 18. September 2017 forderte der Kläger Schadensersatz gegen die Beklagte und die Bankhaus X AG. 

Die Beklagte und das Bankhaus X AG lehnten jegliche Schadenersatzforderungen ab, woraufhin sich der Kläger mit einer Klage gegen sie richtete und die Sache vor dem Handelsgericht anhängig machte. Das Verfahren gegen die Beklagte wurde jedoch getrennt und an die Zivilkammer verwiesen. 

Der Kläger behauptete, der Vorstand habe bei der Erstellung der Globalurkunde, die auf dem Muster der Beklagten basierte, die zweite Unterschriftenzeile gestrichen. Die Bankhaus X AG beharrte jedoch nach Rücksprache mit der Beklagten auf der Variante mit zwei Unterschriftszeilen und nur einer Unterschrift. Darüber hinaus soll die Bankhaus X AG nach Rücksprache mit der Beklagten Herrn A darüber informiert haben, dass es, trotz des Einwands einer amerikanischen Bank gegen die vorhandenen Einzelunterschriften, bei den bisherigen Globalurkunden mit nur einer Unterschrift und zwei Unterschriftszeilen bleiben solle. Demnach hätten beide Beklagten gewusst, dass trotz der zwei vorgesehenen Unterschriften nur eine Unterschrift vorhanden war. Nach Ansicht des Klägers sei die Urkunde unwirksam. Zudem habe die Beklagte gegen die sich aus einem Verwahrungsvertrag ergebenden Pflichten verstoßen indem sie die Sammelverwahrung einer nicht wirksam erteilten Anleihe zuließ. Sie habe damit die Voraussetzungen für die Zulassung zum geregelten Markt geschaffen und Sammeldepotgutschriften ausgestellt, obwohl der ausgewiesene Bruchteilseigentum nicht beschafft worden sei. Die Unwirksamkeit der Anleihe habe schließlich zur Insolvenz der Emittentin geführt.

Nach Ansicht der Beklagten sei eine Haftung ausgeschlossen. Sie sei weder am Vertrieb von Wertpapieren beteiligt gewesen noch habe sie eine Geschäftsbeziehung mit der Emittentin oder dem Kläger unterhalten. Gemäß ihrer AGB können auch nur juristische Personen ihre Vertragspartner sein, da sie die Verwahrung nur für ihre direkten Kunden durchführe. Ihre Aufgabe bestehe lediglich in der Entgegennahme und Verwaltung der Globalurkunde. Darüber hinaus behauptet die Beklagte, sie sei weder an der Entstehung der Urkunde beteiligt gewesen noch habe sie an deren angeblicher Ungültigkeit mitgewirkt. Für einen Schadenersatzanspruch bestehe weder eine vertragliche Verpflichtung noch ein solches Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Emittenten. Darüber hinaus habe sie all ihre Pflichten erfüllt. Denn sie sei weder verpflichtet gewesen, die Wirksamkeit einer Globalurkunde zu prüfen noch ihre Wirksamkeit sicherzustellen. Eine Prüfpflicht nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestünde nämlich nur dann, wenn die Wertpapiere bereits verwahrt worden seien, und nicht zum Zeitpunkt der Verwahrung. Für die Annahme einer Schadensersatzpflicht fehle es außerdem an einem kausalen Schaden, da es sich um eine hochspekulative Anlage gehandelt habe, deren Risiko sich unabhängig vom Verhalten der Beklagten realisiert habe. 

Das Landgericht wies die Klage ab. Sie sei unbegründet, da der Kläger von der Beklagten keinen Schadensersatz verlangen könne. Nach Auffassung des Landgerichts könne es dahinstehen, ob die Globalurkunde mangels einer zweiten Unterschrift, woraus jedoch auszugehen sei, unwirksam ist, und ob der Beklagte eine vertragliche Verpflichtung verletzt hat, da es, soweit ein Schaden eingetreten ist, an einer Kausalität fehle. Im Schaden des Klägers habe sich kein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten verwirklicht, sondern nur das Insolvenzrisiko der Emittentin, für das die Beklagte nicht einzustehen habe. Es sei zwar denkbar, dass die Emittentin im Falle der Wirksamkeit der Globalurkunde bzw. bei ausreichender Zeichnung der Anleihe wirtschaftlich erfolgreicher gewesen wäre. Dies sei jedoch ungewiss, da sie Anlaufschwierigkeiten nicht innerhalb von drei Jahren überwunden habe und auf das Kapital aus Anleihen angewiesen war. 

Gegen das Urteil des Landgerichts richtete sich der Kläger mit seiner Berufung.

2. Entscheidung des OLG Frankfurt a.M.

Auch nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. stand dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch zu. 

a. Fehlendes Vertragsverhältnis

Eine Haftung der Beklagten könne sich aus einem Geschäftsbesorgungsvertrag wegen Pflichtverletzung nicht ergeben, da zwischen dem Kläger und der Beklagten kein Schuldverhältnis entstanden sei. Die Beklagte verwahrte das streitgegenständliche Dokument nicht für die Klägerin, sondern für ihre Kunden.

Aus den AGB der Beklagten kann man entnehmen, dass diese keine Geschäftsbeziehungen mit natürlichen Personen eingeht. Im Falle der vorliegenden Drittverwahrung wurden mindestens zwei Verwahrungsverträge abgeschlossen. Zum einen der Verwahrungsvertrag zwischen dem Hinterleger und seiner Depotbank, in diesem Fall der Bankhaus X AG, und der Verwahrungsvertrag zwischen der Bankhaus X AG und der Wertpapiersammelbank, in diesem Fall der Beklagten. Ein Vertragsverhältnis bestand somit nur mit der Depotbank und nicht mit dem Kläger. Da die Zeichnung des Klägers erst nach Vertragsabschluss stattfand, erfolgte die Eigentumsübertragung hinsichtlich des verbrieften Rechts durch Vereinbarung und Begründung eines Besitzvermittlungsverhältnisses. 

Der Verwahrungsvertrag stelle keinen Vertrag zu Gunsten Dritter nach § 328 BGB dar. Aufgrund der auf den Schutz des Hinterlegers abzielenden Risikoverteilung wird jedoch davon ausgegangen, dass dem Hinterleger ein besonderer Schutz gewährt wird. Da sich mögliche Rechte nur auf die Verpflichtung des Beklagten als Verwahrstelle beziehen würden, könne keine schadenersatzrelevante Pflichtverletzung des Beklagten festgestellt werden. 

b. Fehlende Prüfungspflicht

Unter Hinweis auf die im AGB geregelte Pflicht zur Prüfung der Beklagten könne entgegen der Auffassung des Klägers außerdem keine Verpflichtung zur Prüfung der Wirksamkeit der vorgelegten Globalurkunde abgeleitet werden. Voraussetzung für ein Girosammelverfahren sei die Verwertbarkeit der Wertpapiere, nicht die Möglichkeit eines effektiven Eigentumserwerbs an einer Schuldverschreibung. Wertpapiere sind nach § 91 BGB vertretbar, wenn sie gegenüber anderen Wertpapieren gleicher Art mit ausgeprägten Individualisierungsmerkmalen austauschbar sind. Dementsprechend sind auch rechtsunwirksame Anleihen vertretbar, da sie austauschbar sind. 

Selbst wenn man eine Prüfungspflicht annehmen würde, wäre die Beklagte nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur verpflichtet, den Emittenten oder den vom Emittenten beauftragten Dritten auf den Fehler hinzuweisen und nicht den Kläger. 

Außerdem hafte die Beklagte auch nicht deliktisch nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 48 BörsZuIV wegen Verletzung eines Schutzgesetzes, da § 48 BörsZuIV kein Schutzgesetz zu Gunsten der Anleger ist. 

Dr. Ingo Janert (Stand: 02. November 2020, OLG Frankfurt a.M., Außenansicht Zeil, © OLG Frankfurt am Main)

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