889. Ich erlebte den Terror (Mann und Manni 35)

Ich erlebte den Terror

Die Welt vor mir zusammen, zerfiel in einen Scherbenhaufen, der nicht mehr gekittet werden konnte. Von einem Moment auf den anderen war nichts mehr wie es war, wie es sein sollte. Ich war von meinen engsten Vertrauten, von meinen Freunden, Mitbewohnern und Untermietern sträflichst hintergangen worden. Um mit kurzen, klaren Worten auszudrücken: Sie hatten mich verraten.

Aber ich beginne am Besten ganz am Anfang, damit du dir überhaupt ein Bild von dieser Situation machen kannst.
Mein Name ist Manni. Ich bin ein Kater von stattlicher Statur und der Kopf des erfolgreichen Ermittlerteams Mann und Manni. Mein Name kommt zwar erst an zweiter Stelle, was aber nur des Klanges wegen so ist. Der Mann ist nur mein Assistent, meine helfende Hand und einer meiner besten Freunde.
Wir waren unterwegs gewesen. Für mehrere Wochen hatten wir mit unserem schicken Wohnmobil Europa ein wenig sicherer gemacht, indem wir auch vor Ort Verbrechen bekämpft und verhindert hatten. Aber jede Urlaubsfahrt hat nun mal ein Ende. Unsere natürlich auch.
Wir kamen zurück nach Deutschland, fuhren die Einfahrt hinauf und parkten ein. Na gut, eigentlich übernahm das der Mann. Mir fehlte es am nötigen Körperbau, um fahren zu können.
Die Vorfreude auf unser Heim, auf den Kratzbaum und meine Schlafhöhle waren riesig. Von daher war es nur verständlich, dass ich mich nicht ins Haus tragen lassen wollte. Ich stürmte selbst aus unserem mobilen Heim, lief die Treppenstufen hinauf und erschrak. Sämtliche Räume unserer geliebten WG waren leer. Selbst meine Futternäpfe waren nicht mehr da. Die einzigen Dinge, die ich entdecken konnte, waren ein Halloweenkürbis und der Plüschlöwe unseres ängstlichen Bengalen und eine alte Zahnspange, die vermutlich die Frau vor ewigen Zeiten einmal getragen hatte. Aber das war nicht von Belang.
»Wir sind ausgeraubt worden. Wir!«
Ich konnte es nicht fassen. Die erfolgreichsten Ermittler seit Nick Knatterton wurden Opfer eines Einbrechers und Diebes.
Ich wollte das nicht sehen, ich konnte es mir anschauen. Ich schloss die Augen und fiel um. Ich spürte noch, wie die Ohnmacht die Herrschaft über meinen Geist übernahm, dann wurde es dunkel.

Es musste eine ganze Weile vergangen sein, bis ich wieder zu mir kam, denn mittlerweile war es Nacht geworden.
Ich lag noch immer am Boden des Wohnzimmers, niemand hatte sich um mich gekümmert.
»Wo seid ihr?«, rief ich in die Stille hinein. »Ist jemand hier?«
Keine Antwort.
»Lord Schweinenase? Mini-Mietze?`Bengale? Gebt einen Laut von euch!«
Nichts.
Irgendwie hoffte ich auf das Erscheinen von ShadowCat, der mir berichten würde, was los war. Aber ich musste wohl davon ausgehen, dass selbst die Schatten, in denen er zu leben schien, ebenfalls gestohlen worden waren.
Ich war also auf mich allein gestellt, musste zusehen, wie ich mich in der leeren, finsteren Wohnung zurecht finden würde. Die Diebe hatten, wie ich nun feststellen musste, auch sämtliche Lampen gestohlen.
Ich stand auf, krümmte meinen Rücken, streckte mich. Dann begann ich langsam und leise, einen Rundgang zu machen.
Die leeren Zimmer sahen noch immer so aus, wie sie sich mir vor der Ohnmacht präsentiert hatten. Einzige Veränderung war ein Kürbis, der im Flur auf der Fensterbank stand.
Ein Kürbis? Seltsam. Der war vor ein paar Stunden noch nicht hier gewesen. Warum dann jetzt?
Ich ging langsam auf die große, orange Frucht zu, richtete mich auf und schnupperte vorsichtig daran. In diesem Moment ertönte ein hässlichen Lachen, dass mir durch Mark und Bein ging.
Ich ließ natürlich sofort meinen Blick kreisen. Irgendwer musste sich in unseren vier Wänden aufhalten, konnte aber niemanden wahrnehmen. Vielleicht war es auch einfach nur eine Einbildung gewesen, verursacht, durch den Stress, den dieser Einbruch bei mir verursacht hatte.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit also wieder auf den Kürbis, der mich plötzlich hämisch angrinste.
»Sie haben dich verlassen.«, schrie er mich an. »Sie werden nie wieder kommen. Du gehörst jetzt zu uns.«
Ich erschrak. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Ich ergriff die Flucht.
Ich muss an dieser Stelle kurz unterbrechen. Natürlich flüchtet ein Manni nicht einfach so. Er zieht sich für gewöhnlich nur zurück, um die Lage in Ruhe zu überdenken, um dann mit einem gut durchdachten Plan in den Kampf gegen das Verbrechen zu ziehen. So war es auch hier.
Ich ließ mich vom Fensterbrett herab, wirbelte herum und wollte gerade in das nächste Zimmer sprinten. Weit kam ich allerdings nicht. Vor mir baute sich eine riesige Mauer aus lachenden Kürbissen auf, die bis zur Decke ging.
Die Mauer krümmte sich, umschloss mich komplett. Nach wenigen Sekunden war es in jeder Richtung orange. Überall sah ich die grässlichen Fratzen, die sich nun auf mich stürzten.
Ich begann zu kreischen, hielt mir die Pfoten vor die Augen und hoffte, dass es schnell vorbei sein würde, als zwei kräftige Hände nach mir griffen.
Ich schlug wild um mich, wollte den Angreifer abwehren, kam aber nicht aus seiner Umklammerung heraus. Ich war gefangen.
»Ist alles gut, mein Dicker. Du bist in Sicherheit.«
Was war das? Die Stimme kam mir so bekannt vor. Ich nahm die Pfoten herab, öffnete die Augen und sah in das Gesicht des Mannes. Er hatte mich gerettet.
Die unzähligen Kürbisse waren plötzlich verschwunden. Nichts deutete mehr darauf hin, dass sie überhaupt existiert hatten.
»Du bist umgekippt, warst ein paar Sekunden nicht bei uns.«, erklärte mir der Mann, als er mich wieder auf dem Boden abstellte.
»Ich hätte wohl schon früher erzählen sollen, dass bei uns ein Umzug in eine neue, größere WG ansteht, dann wäre der Schock wohl nicht so schlimm geworden.«
Ein Umzug. Klar. Es war gar nicht eingebrochen worden. Wie dumm von mir. Und während ich ohnmächtig war, hatte ich einen verrückten Traum durchlebt.
»Nichts wie weg hier.«, murmelte ich und trottete zum Ausgang.
Ich sprang die Treppe herab, sah mich ein letztes Mal um. Da entdeckte ich wieder diesen hämisch grinsenden Kürbis auf dem Fensterbrett, der mich finster anblickte.

(c) 2020, Marco Wittler

Image by Sean Johannesen from Pixabay

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