Zeit für Teledermatologie: Ein Interview mit Dermanostic

Die Corona-Krise hat der Telemedizin und Videosprechstunde in Deutschland noch mal einen Schub gegeben. Eins der Paradefächer, in denen die Ferndiagnostik zum Einsatz kommt, ist die Dermatologie.

Warum auch hier der menschliche Experte noch nicht überflüssig ist und welchen Vorteil die Telemedizin vor allem im Intimbereich hat, dazu hat uns Dr. Alice Martin vom Startup Dermanostic im Interview Auskunft gegeben.

Wie viele User*innen haben Sie bisher? Gibt es eine/n typische/n User/in in Bezug auf Herkunft, Alter, andere demographische Faktoren?

Dermanostic bietet Patienten telemedizinisch die Möglichkeit, eine Behandlung der Haut über unsere App vorzunehmen. Voraussetzung für die Behandlung sind ein Smartphone und unsere App.
Jede Person, unabhängig des Alters, bekommt im Laufe ihres Lebens Hautveränderungen und gelegentlich auch Hauterkrankungen und ist somit ein potentieller Patient. Grundsätzlich sind junge Patienten digital affiner und aufgeschlossener gegenüber der Telemedizin. So können zum Beispiel auch Eltern die Hautveränderungen ihrer Kleinkinder abklären. Von der zeit- und ortsunabhängigen Behandlungsmöglichkeit profitieren insbesondere immobile Menschen, Backpacker im Ausland und vielbeschäftigte Unternehmer/innen.

Bei unserer Behandlungsmöglichkeit kann die gegebene Anonymität für den Patienten auch eine große Erleichterung bei schambehafteten Hautveränderungen wie z.B. Akne oder Veränderungen im Intimbereich bedeuten.

Seit unserem Launch im März 2020 haben wir bereits rund 1600 Patienten behandelt.

Beruht Dermanostic rein auf Begutachtung der Fotos durch menschliche Expert*innen oder gibt es auch eine KI-Komponente (Bilderkennung), wie sie beispielsweise in der Melanom-Diagnostik eingesetzt wird?

Zurzeit erfolgt die Begutachtung der Fotos durch unsere Fachärzte für Dermatologie über das Bild-Text-Verfahren. Das bedeutet, dass der Facharzt nur den Fragebogen des Patienten und die Bilder vorliegen hat. Es erfolgt kein zusätzliches Gespräch (wie z.B. bei der Videosprechstunde). In Studien konnte nachgewiesen werden, dass das sogenannte Bild-Text-Verfahren eine hohe diagnostische Sicherheit hat. Dabei ist eine richtige Diagnose in ca. 90% der Fälle möglich.

Grundsätzlich lassen sich Bilder und Diagnosen zukünftig in einer KI einspeisen. Voraussetzung ist, dass eine gute Daten- und Organisationsstruktur vorliegen. Außerdem sollten die Diagnosen entsprechend richtig gestellt werden, damit die KI von Beginn an gut angelernt wird.

Die KI in der Melanomdiagnostik ist bereits international den Dermatologen überlegen. Dennoch gilt, das Muttermal muss von den Dermatologen „eingescannt“ werden, das heißt, eine KI erkennt nicht von alleine das Melanom ohne Unterstützung eines Hautfacharztes.

Insgesamt dient die KI als Unterstützung und Ergänzung, ersetzt den Arzt jedoch nicht. Dermanostic selbst hat keine KI, alle Diagnosen werden durch Fachärzte angefertigt. Ziel ist jedoch, dass langfristig eine KI den Dermatologen unterstützt und Erkrankungen vorsortiert.

Welche personenbezogenen Daten werden erhoben und wie wird deren Sicherheit gewährleistet?

Wir stellen sicher, dass sich unsere IT-Infrastruktur auf deutschen Servern befindet und entsprechende aktuelle Verschlüsselungstechnologien für die Datenübertragung angewendet werden. Für die Anamnese und Fotodokumentation sind keine persönlichen Daten wie Name oder Wohnort notwendig. Somit erhält auch der befundende Dermatologe erstmal keine Personendaten von uns, er sieht lediglich die medizinischen Daten. Im Bezahlprozess müssen die persönlichen Daten aufgrund der gesetzlichen Vorgaben erfasst werden.

Abgesehen von der zeitlichen und örtlichen Flexibilität: In welcher Hinsicht ist die Telemedizin der Konsultation vor Ort sonst noch überlegen?

Über die App bieten wir telemedizinisch eine gleichwertige Behandlung für den Patienten: Alles inklusive Diagnose und Therapieempfehlung, als Arztbrief verfasst, und falls notwendig mit Rezept. Bei Bedarf erfolgt auch ein persönliches Gespräch mit dem Arzt. Erfolgt beispielsweise die Diagnose „Hautkrebs“, wird der Patient persönlich kontaktiert.

Wie bereits angesprochen, können Hautveränderungen wie etwa Akne oder Veränderungen im Intimbereich für Patienten oft als stigmatisierend empfunden werden, weshalb die Patienten eine Vorstellung beim Hautarzt hinauszögern und somit erst bei einem Fortschreiten der Krankheit behandelt werden können. Bei unserer Behandlungsmöglichkeit kann die gegebene Anonymität für den Patienten eine große Erleichterung bedeuten und er wird die medizinische Hilfe ggf. früher in Anspruch nehmen.

Oft tauchen nach der medizinischen Behandlung doch noch Fragen zur Hautveränderung auf. Dafür bieten wir ein kostenfreies ausführliches Hautlexikon an, das auch auf Spotify und iTunes verfügbar ist.

Abgesehen vom Nutzen für die Patienten, kann die Digitalisierung des Gesundheitswesens auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Die Digitalisierung der medizinischen Versorgung kann nicht nur Zeit sondern auch Kosten spa­ren. Auch eine Vernetzung zwischen Gesundheitspartnern und -dienstleistern wie Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken sowie Krankenkassen können die Möglichkeiten schaffen, notwendige medizinische Informationen zur Patientenversorgung unkomplizierter und schneller untereinander verfügbar zu machen. Allerdings bestehen hier bekanntermaßen noch einige rechtliche Hürden.

Wer haftet für Fehldiagnosen? Wie stehen die Berufshaftpflichtversicherer der begutachtenden Ärzt*innen zur Telemedizin?

Fehldiagnosen oder Fehlbehandlungen kommen auch im persönlichen, nicht telemedizinischen Bereich vor. Das bedeutet, dass eine Erkrankung nicht richtig diagnostiziert oder auch eine falsche Therapie eingeleitet wurde. Bei Dermanostic arbeiten Hautfachärzte mit langjähriger klinischer Erfahrung. Dabei trägt jeder Arzt eine eigene Verantwortung für die Diagnose, wie in der niedergelassenen Praxis vor Ort auch.

Um Fehldiagnosen einzugrenzen und auch zu unterbinden, findet bei Dermanostic eine regelmäßige Qualitätskontrolle statt. Das bedeutet, dass sich ein Mal wöchentlich unsere Fachärzte zusammensetzen und die besonders schwierigen Fälle diskutieren.

Zudem erhält jeder Patient eine Zeitangabe, in welchem Zeitraum eine Besserung auftreten sollte. Falls die Erkrankung sich nicht bessert, sollte er sich (wie in unserem Arztbrief empfohlen) wieder an einen Arzt wenden.
Eine Eigenverantwortung trägt der Patient nach wie vor – egal ob persönlich oder telemedizinisch behandelt.

Welche Indikationen/Fragestellungen/Prozesse sind in Ihrem Fachgebiet als nächstes „reif“ für die Digitalisierung? Wo sehen Sie Dermanostic in 5 Jahren?

Die Möglichkeiten für die Entwicklung digitaler Gesundheit hängen nicht zuletzt von rechtspolitischen Entwicklungen im Gesundheitswesen ab. So besteht weiterhin Regelungsbedarf im Hinblick auf den Datenschutz, um einen optimalen Schutz der Gesundheitsdaten Betroffener zu gewährleisten.

Natürlich wollen wir stetig unsere Prozesse optimieren. Ziel ist es, in fünf Jahren nicht nur eine deutschlandweite, sondern europaweite Behandlung zu ermöglichen. Zudem möchten wir parallel die AI (artificial intelligence) programmieren, die den Arzt bei der Diagnosestellung unterstützt. Die Digitalisierung wird jedoch einen Arzt nicht vollständig ersetzen, sondern seine Leistungen ergänzen.

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