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Nordfrankreich: Gedenkstätte erinnert an das Massaker von Oradour

Von einer „deutsch-französischen Harmonie“ dürfte man nicht sprechen, „die es nie gab, nie gibt und nie geben wird“, schrieb der französische Deutschlandexperte Henri Ménudier vor einigen Jahren in der Süddeutschen Zeitung aus Anlass des Besuchs des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck in Oradour. Er könnte sich, zumindest was das zukünftige „Nie“ angeht, irren.

In der kleinen Ortschaft Oradour-sur-Glane verübte die Waffen-SS am 10. Juni 1944 ein schreckliches Massaker an der Bevölkerung. Dabei wurden – bis auf sechs Überlebende – alle Einwohner ermordet. Bei dieser „Hinrichtung“ mit 642 Opfern handelte es sich um das zahlenmäßig größte Massaker in Westeuropa. Vor einigen Jahren wurde wenige Kilometer südlich von Lens eine neue Gedenkstätte des Ersten Weltkriegs eingeweiht. Sie ist der Schnittpunkt der „Wege der Erinnerung“ (Les Chemins de mémoire 14-18), der schon viele Touristen nach Frankreich in die Région Nord-Pas de Calais geführt hat.

Ein Widerspruch, der sich auflöst

Man mag das nicht mögen, dass Plätze, an denen Hunderttausende Menschen zu Tode kamen, etwas anderes sind als Gedenkstätten. Dass sie zu Attraktionen werden, löst Unbehagen aus. Aber der Widerspruch löst sich auf, wenn behutsam mit den Plätzen des Ersten Weltkrieges umgegangen wird.

Und bei den „vier Wegen“ und der neuen Gedenkstätte ist dies der Fall: Der erste Weg zeichnet die Front nach von Ypern und Fleurbaix, von Fromelles und Richebourg. Der zweite Weg führt in die Zeit der deutschen Besatzung nach Lille, der Dritte an die Küste zum Basisgebiet der alliierten Armeen, und derr vierte Weg zeigt den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete nach 1918.

Die neue Gedenkstätte in Form einer Ellipse, von Philippe Prost entworfen, befindet sich neben der Kirche Notre Dame de Lorette und dem Gräberfeld und verzeichnet die Namen aller 600 000 Gefallenen in der Region, unabhängig davon, wo sie herkamen und auf welcher Seite sie kämpften.

Ein deutliches Zeichen von Harmonie

Das ist etwas Neues, und es ist ein deutliches Zeichen von Harmonie. Es gibt durchaus eine Entwicklung, wie Sieger und Besiegte mit einem Schlachtfeld umgehen. Man sieht das deutlich in Vimy im Park am Chemin des Canadiens. Zwei riesige Türme und 20 Statuen künden von Ruhm und Ehre und der Geburtsstätte einer kanadischen Identität. Das steht für diese junge Nation im Vordergrund.

Europa geht anders mit der Erinnerung um. Mag am Anfang des Weges zur Bewältigung einer Schlacht die Sprachlosigkeit angesichts der Opfer stehen, folgen bald darauf Wut und Rachegelüste. Sie werden – wenn alles gut geht, was nach dem Ersten Weltkrieg leider nicht der Fall war – abgelöst vom Nachdenken und der Pflege der Erinnerung. Das machte bislang jede Nation für sich. Die Franzosen haben ihren Nationalfriedhof Ablain-Saint-Nazaire, die Deutschen das Gräberfeld von La Maison Blanche, die Briten den Wellington-Steinbruch in Arras. Neuseeländer, Inder, Polen, Chinesen, Australier, ja sogar auch die Portugiesen haben (in Richebourg) ihre Gedenkstätte.

Das gab es noch nie

Eine gemeinsame Gedenkstätte gab es bislang noch nie. Und doch wird sie dem Erlebten am ehesten gerecht: Sie waren alle arme Schweine, und sie werden sich im Tod weinend in den Armen gelegen und gemeinsam diesen Irrsinn beklagt haben. Warum sollte man davon nicht ausgehen, solange es keiner besser weiß. Und jeder, der die Ellipse besucht, steht nicht unbedingt neben einem von seiner Seite. Der Deutsche wird neben dem Franzosen stehen, oder dem Briten oder einem anderen, der sich für das Geschehene und für seine Darstellung 100 Jahre später interessiert. Die Auflistung der Namen symbolisiert das Ausmaß des Schreckens ohne jegliches Pathos.

500 Tafeln, 600 000 Namen

Um alle Namen unterzubringen, wurden 500 Aluminium-Tafeln wie Bücher nebeneinander gestellt. Jedes „Buch“ nennt 1200 Namen in einer Schriftgröße von 2,3 Zentimetern. Es sind 600 000 Vor- und Nachnamen darauf. Die Namensliste in der Ellipse wird gleichwohl nicht komplett sein. Viele Unterlagen gingen in dem Krieg, der folgte, und mit Oradour in Verbindung steht, verloren. Und noch immer tauchen Namen von gefallenen Soldaten auf, die bisher unbekannt waren.

Ein weiterer Ort der Erinnerung, der bereits im vergangenen Jahr eröffnet wurde, ist das Musée de la Grande Guerre in Meaux. Die Ausstellungen sind nicht nur für französische Besucher konzipiert, sondern auch für Deutsche und Briten. Heute kommen keine Veteranen mehr, um gefallene Kameraden zu besuchen. Der Erste Weltkrieg ist Geschichte.

Die Narben bleiben sichtbar

In der Region werden die Narben sichtbar bleiben, aber wenn Deutsche und Franzosen gemeinsam durch die Ellipse gehen, werden die Narben nicht mehr so schmerzen.

Informationen: Atout France, Zeppelinallee 37, 60325 Frankfurt/Main, Tel.: (0049 69) 97 58 01 36; de.rendezvousenfrance.comwww.atout-france.fr

Raushier-Reisemagazin

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