Es gibt Beratungsstellen, Pflegedienste, ehrenamtliche Alzheimer-Vereine und -Gesellschaften – die Liste an Hilfs- und Beratungsangeboten ist groß. Und doch ist es nicht einfach, sich Hilfe zu holen. Denn emotional ist das eine Herausforderung

Vor kurzem las ich eine Zahl, die mich sehr erschreckt hat: Nur 29 Prozent der Pflegebedürftigen nehmen Leistungen in Anspruch. Das heißt: In sieben von zehn Fällen nutzen Betroffene beziehungsweise Angehörige keine Unterstützung eines Pflegedienstes, obwohl es ihnen zustehen würde. Über die Gründe kann man lange diskutieren und schreiben. Der Mangel an Pflegepersonal und -dienstleistern steht oben auf der Liste. Aber ich glaube, dass auch ein anderer Grund eine Rolle spielt: Es ist nicht leicht (oder wahnsinnig schwer), sich Hilfe zu holen.

Und dabei spreche ich vor allem von der emotionalen Seite. Denn die spielt dabei eine entscheidende Rolle. Hilfe holen fällt nicht leicht. Es fühlt sich ein bisschen wie Versagen an, weil man es alleine nicht schafft. Und je näher man dem Erkrankten ist, umso schwieriger fällt das. So ist es bei mir und meiner Familie – und so ist es in ganz vielen Familien, wie mir eine Expertin erzählt hat.

Erst im Gespräch bekam ich eine Ahnung von der Dimension der Alzheimer-Krankheit

Als Mama vor acht Jahren die Diagnose erhielt, waren wir völlig überrumpelt. Mein Papa war schockiert, mein Bruder und ich hatten Angst. Die Krankheit waberte wie eine dunkle Regenwolke über uns und wir hatten Angst, dass sie sich in einem fürchterlichen Sturm über uns entlädt. „Wie soll es weitergehen?“ Diese Frage war sehr dominant. Mamas Arzt hatte zwar mit Mama und uns darüber gesprochen, wie es weitergehen könnte und was die Krankheit meist mit sich bringt. Aber wir waren trotzdem wie im Schock. Es klang alles schrecklich und irgendwie war es auch noch weit weg. Mama ging es ja noch gut. Sie hatte Orientierungsprobleme und war etwas vergesslich, aber was Alzheimer im weiteren Verlauf tatsächlich bedeutet, das wussten wir noch nicht.

Gleich nach dem Schock folgte bei mir die Phase des Informierens. Ich bin Journalistin. Für mich ist es normal, dass ich recherchiere und mich in ein Thema intensiv einlese, wenn ich etwas wissen möchte. Je spannender oder wichtiger ich das Thema finde, umso mehr recherchiere ich. Die Krankheit meiner Mama war ein Grund, so viel Informationen wie möglich zu suchen. Ich las auf Internetseiten, bestellte mir und meinen Eltern eine Reihe an Ratgebern der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft, lieh mir von Kolleginnen Bücher über Alzheimer aus und verschlang jeden Zeitschriften-Artikel, den ich nur finden konnte.

Aber es war doch alles irgendwie abstrakt. Was ist Alzheimer? Wie verläuft die Krankheit? Was bedeutet das für die ganze Familie? All diese Fragen konnte mir kein Buch und kein noch so gut recherchierter Artikel beantworten. Und auch mein Bruder und mein Papa hatten viele Fragen über die Zukunft. Wir wollten mit jemandem sprechen, der sich auskennt. Mamas Arzt hatte immer ein offenes Ohr, aber er war eben auch Arzt. Wir wollten mit jemandem sprechen, der aus eigener Erfahrung weiß, wie die Alzheimer-Erkrankung verläuft und worauf man achten muss. Über allem stand immer: Mama soll es gut gehen. „Was können wir tun, damit es ihr gut geht?“ Darum ging es uns und das war die Hauptfrage.

Bei der Recherche nach Alzheimer stößt man unweigerlich auf die Deutsche Alzheimer Gesellschaft und regionale Alzheimer-Gesellschaften. Dort gibt es Hilfs- und Beratungsangebote, oft auch per Telefon. Meine Eltern wohnen in einem kleinen Dorf, die nächste Beratungsstelle ist in Leipzig, die Alzheimer Angehörigen Initiative Leipzig. Ich machte dort einen Termin aus und Papa und ich fuhren ein paar Wochen später dorthin und trafen einen wunderbaren Mann: Dr. Josef Hille. Er ist im Vorstand des Vereins und berät Angehörige und Betroffene. Wir hatten ein langes, intensives, ehrliches Gespräch. Erst in diesem Beratungsgespräch bekam ich eine Ahnung über die wahre Dimension der Alzheimer-Erkrankung. Herr Hille hat uns Mut gemacht, er hat viele Tipps gegeben, auch von sich erzählt und so diese unfassbare Krankheit etwas realer gemacht.

Mut haben und Unterstützung finden

An dieses Gespräch denke ich heute noch manchmal, denn es war das erste von vielen. Es ist mir auch deshalb so gut im Gedächtnis geblieben, weil Papa und ich danach im Auto geweint haben. Wir waren beide berührt, auch wenn uns sicher unterschiedliche Dinge im Kopf herumschwirrten.

Seitdem sind ein paar Jahre vergangen. Mein Papa, aber auch mein Bruder und ich haben immer mal wieder Ansprechpartner gesucht und Gespräche über Mamas Alzheimer-Erkrankung geführt. „Was können wir tun, damit es ihr gutgeht?“ – Das ist immer noch unsere Hauptfrage. Lange kam nicht infrage, dass Mama irgendwo anders sein könnte als zu Hause. Aber die Alzheimer-Erkrankung ist nicht nur eine Gedächtnisstörung in dem Sinne, dass man Dinge vergisst oder sich nicht mehr orientieren kann, sondern sie wirkt sich auch auf alltagspraktische Dinge aus. Alleine kann das keiner schaffen, egal wie sehr er oder sie möchte oder gibt.

Die Suche nach einer Alternative fielen mir und meinem Bruder einfacher, mein Papa hat sich unendlich schwer damit getan. Ich kann es nachvollziehen, aber ich habe immer daran geglaubt, dass er sich nur gut um Mama kümmern kann, wenn er mehr Unterstützung bekommt oder zumindest mal eine kleine Auszeit hat. Mamas Arzt hat wiederholt von der Tagespflege gesprochen, dass das doch eine Möglichkeit der Unterstützung wäre. „Ja, vielleicht“, meinte mein Papa in einem kurzen Moment und ich habe das als Zeichen gesehen, aktiver zu werden. Vor fast zwei Jahren hatten Papa und ich ein erstes Informationsgespräch bei einer Tagespflege vor Ort. Mich hat es viel Organisation gekostet, dabei zu sein, mit meinem Baby, aber ich weiß, dass es für meinen Papa eine richtige Überwindung war. Und dass es ihn Mut gekostet hat. Er hat dort aber ein offenes Ohr und Unterstützung gefunden und konnte sich vorstellen, es auszuprobieren. Mittlerweile geht Mama dreimal die Woche zur Tagespflege. Papa fährt sie hin und holt sie ab. Es fällt ihm immer noch schwer, das sagt er oft. Aber ich bin stolz, dass er es macht, denn die Tagespflege und die Gespräche mit den Pflegerinnen unterstützen ihn sehr im Alltag.

Und was brauche ich?

Ich war immer sehr in meinem Alltag mit den Kindern und Beruf eingebunden. Ich habe versucht, bei Arztterminen mit Mama dabei zu sein und war jedes Mal enttäuscht und genervt, wenn ich es nicht geschafft hatte (was häufig war). Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich so weit weg wohne und nicht im Pflege-Alltag eingebunden bin. Ich fühlte mich so oft als schlechte Tochter: keine Zeit für die kranke Mutter. Meine drei Kinder fordern mich – und das ist ja auch normal so, aber wie sollte ich das denn mit Mama und Papa unter einen Hut bringen? Ich dachte viel an Organisatorisches oder vereinbarte Termine, aber wie es mir wirklich ging, habe ich nicht beachtet.

Vor ein paar Wochen habe ich durch Zufall vom Angehörigen-Seminar „Hilfe beim Helfen“ der Alzheimer-Gesellschaft München gelesen. Irgendwie klang es gut, und ich wollte gerne mitmachen. Während ich überlegte, wie ich das praktisch machen würde mit all den Seminar-Terminen bekam ich irgendwie auch Angst. Das Seminar ist breit gefächert: es geht um Informationen zum Krankheitsbild, Möglichkeiten der Behandlung, Umgang mit dem Betroffenen, Vorsorge und Pflegeversicherung. Es geht also um viele Fakten und Informationen. Aber ich wusste auch: Das Seminar würde mich traurig machen. Ich würde mich mit meinen Ängsten und Gefühlen auseinandersetzen müssen.

Ob ich wollte oder nicht, die Traurigkeit, dass meine Mama erkrankt ist, würde hochkommen. ‚Und dann sitzt du im Seminar und heulst wieder mal‘, dachte ich. Aber ich dachte auch: ‚Vielleicht lerne ich etwas, was Mama hilft‘

Es hat Mut gebraucht, mich dort anzumelden. Und als mich die Leiterin angerufen hat und von mir meine Situation wissen wollte, war ich kurz versucht, alles zurückzuziehen. Denn ich hatte echt Schiss. Ich bin zu dem ersten Termin gegangen und hatte ein Bauchgrummeln. Und ja, ich hätte fast geheult in der Vorstellungsrunde, aber es war gut, mir Hilfe zu holen. Ich habe ein paar wichtige Dinge erfahren und weiß einfach besser Bescheid über Alzheimer. Ich kann besser helfen. Aber ich habe auch gemerkt, dass es vielen Menschen so geht und dass ich nicht alleine bin. Das macht mir Mut. Und deshalb wünsche ich allen, die in einer ähnlichen Situation sind, Mut, sich Hilfe zu holen.

Ein paar praktische Links: