Das Thema
Manchmal muss es schnell gehen – auch und immer öfter bei der betrieblichen Mitbestimmung. Es soll Betriebe geben, in denen eine Vielzahl von eigentlich abzuschließenden Betriebsvereinbarungen tatsächlich nicht abgeschlossen ist bzw. der Verhandlung harrt, denken Sie nur an die Aufstellung von Dienstplänen oder das Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Manchmal, weil beide Betriebsparteien der zeitlichen Entwicklung gar nicht hinterher kommen.
Manchmal aber auch, weil der Betriebsrat den Prozess der Mitbestimmung “bewusst” verschleppt. Ob dies zielführend ist, mag diskutiert werden. Für einen Arbeitgeber, der zeitnah umsetzen will – in manchen Fällen einfach auch “muss”, denn das nächste Software-Update über Nacht kommt bestimmt – besteht hier das beständige Risiko durch einen Betriebsrat auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden.
Einem solchen Verhalten von Betriebsräten hat das BAG nun ausdrücklich Grenzen gesetzt: Dem betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 2 Abs. 1 BetrVG entgegenstehen.
Die aktuelle Entscheidung des BAG
Mit Beschluss vom 12. März 2019 (1 ABR 42/17) verwehrte das BAG dem Betriebsrat die Ausübung einer formalen Rechtsstellung – hier die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs aus § 87 Abs. 1 BetrVG und § 23 Abs. 3 BetrVG –, welche er durch ein grob betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers erlangt hatte.
Ausgangspunkt der Entscheidung ist der im Betriebsverfassungsrecht verankerte Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Dieser verpflichtet die Betriebsparteien bei der Wahrnehmung ihrer gegenseitigen Rechte und Pflichten auf die jeweiligen Interessen der anderen Betriebspartei Rücksicht zu nehmen.
Wie schon in der Vergangenheit betont das BAG die Geltung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung nach § 2 Abs. 1 BetrVG auch zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
Zum Hintergrund: Mitbestimmungsrechte vs. mangelnde Kooperationsbereitschaft
Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG gilt erst dann als ausgeübt, wenn entweder der Betriebsrat der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme zugestimmt hat oder die Einigung der Betriebsparteien durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde. Der erfolglose Versuch eines Einigungsstellenverfahrens nach § 87 Abs. 2 BetrVG genügt dem Mitbestimmungsrecht gerade nicht.
Nicht selten ist der Arbeitgeber zur Sicherstellung seines Betriebsablaufes auf eine rechtzeitige Einigung mit dem Betriebsrat im Hinblick auf eine der Mitbestimmung unterliegenden Angelegenheit angewiesen. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass der Betriebsrat bei einer solchen zeitgebundenen mitbestimmungsbedürftigen Maßnahme eine Einigung mit dem Arbeitgeber – ggf. trotz Hinzuziehung der Einigungsstelle – durch bewusste mangelnde Kooperationsbereitschaft derart zu verschleppen versucht, dass die Maßnahme durch Zeitablauf nicht mehr sinngemäß umgesetzt werden kann.
Setzt der Arbeitgeber unter diesen Umständen die mitbestimmungspflichtige Maßnahme ohne die (ggf. durch Spruch der Einigungsstelle ersetzte) Zustimmung des Betriebsrats um, verletzt er dennoch das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs.1 BetrVG. Der Betriebsrat kann in diesem Fall grundsätzlich die Unterlassung der zustimmungswidrig umgesetzten Maßnahme aus § 87 Abs. 1 BetrVG bzw. § 23 Abs. 3 BetrVG gerichtlich beantragen.
Die aktuelle Entscheidung des BAG setzt einem solchen Vorgehen des Betriebsrats nunmehr Grenzen.
Dienstpläne und Meinungsverschiedenheiten in “anderen Angelegenheiten”: Der entschiedene Fall
In der Klinik einer tarifgebundenen Arbeitgeberin wurde das Personal nach monatlichen Dienstplänen beschäftigt. Nach Meinungsverschiedenheiten in einer anderen Angelegenheit lehnte der Betriebsrat im Februar 2015 die Aufstellung mehrerer Dienstpläne für den Folgemonat zum Teil ab. Die Arbeitgeberin bat den Betriebsrat im Folgenden vergeblich um dessen Zustimmung zur Einrichtung einer Einigungsstelle und strengte schließlich ein Verfahren zur Einsetzung durch das Arbeitsgericht an. Auf den entsprechenden gerichtlichen Beschluss kündigte der Betriebsrat an, hiergegen Beschwerde einzulegen. Bezüglich der Dienstpläne für April 2015 stimmte der Betriebsrat erst nach Einleitung des Verfahrens zur Einrichtung einer Einigungsstelle zu.
In der darauffolgenden Sitzung trug der Betriebsrat trotz gerichtlicher Auflage keine auf einen konkreten Dienstplan bezogenen Einwände vor. Bezüglich der Dienstpläne für Mai 2015 lehnte der Betriebsrat vor Gericht die Mitwirkung an der Errichtung einer Einigungsstelle diesmal mit der Begründung ab, dass wegen der Komplexität keine rechtzeitige Einigung erzielt werden könne.
Auch in den Folgemonaten wiederholte sich dieser Sachverhalt. Nur für den Monat Mai 2016 erklärte sich der Betriebsrat mit der einvernehmlichen Bildung einer Einigungsstelle einverstanden, durch welche auch ein die Einigung ersetzender Spruch erging. In allen anderen Monaten konnte die Einigungsstelle nicht tätig werden, da sich der Betriebsrat vor Rechtskraft des Einsetzungsbeschlusses jeglicher Vereinbarung eines Sitzungstermins verschloss und keine Beisitzer benannte. Gegen die Einsetzungsbeschlüsse des Arbeitsgerichts legte der Betriebsrat jeweils Beschwerde ein oder kündigte eine solche an. Die Arbeitgeberin gab die Dienstpläne dennoch im Betrieb bekannt. Zudem wichen einzelne Arbeitnehmer auf Veranlassung der Arbeitgeberin von diesen Dienstplänen ab.
Im Wege des gerichtlichen Beschlussverfahrens forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin dazu auf, eine Umsetzung der monatlichen Dienstpläne ohne vorherige – ggf. durch die Einigungsstelle ersetzte – Zustimmung des Betriebsrats zu unterlassen. Mit den weiteren Anträgen begehrte der Betriebsrat insbesondere die Unterlassung der Arbeitgeberin, einzelne Arbeitnehmer abweichend von den aufgestellten Dienstplänen einzusetzen.
Nachdem das Arbeitsgericht Göttingen in erster Instanz die Anträge des Betriebsrats zum überwiegenden Teil abgewiesen hatte, war der Betriebsrat mit seiner Beschwerde beim LAG Niedersachsen erfolgreich.
BAG lässt mit Blick auf die “Taktik” des Betriebsrats Verletzung der Mitbestimmung gelten
Das BAG hat nunmehr entschieden, dass der Betriebsrat weder einen Anspruch auf Unterlassung der Umsetzung nicht abgestimmter Dienstpläne noch einer Abweichung von jenen habe. Diesbezügliche Anträge seien zwar zulässig, jedoch unbegründet.
Durch die Bekanntgabe der Dienstpläne im Betrieb ohne (durch Spruch der Einigungsstelle ersetzte) Zustimmung habe die Arbeitgeberin zwar das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt, jedoch stehe den Unterlassungsansprüchen aus § 87 Abs. 1 BetrVG und § 23 Abs. 1 BetrVG vorliegend ausnahmsweise der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG entgegen.
Eine unzulässige, gegen den in § 2 Abs. 1 BetrVG verankerten Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßende Rechtsausübung einer Betriebspartei könne gegeben sein, wenn diese sich gegenüber der anderen auf eine formale Rechtsposition berufe, die sie nur durch ein besonders schwerwiegendes eigenes betriebsverfassungswidriges Verhalten erlangt habe. Dies könne zwar nur in eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden; eine solche Ausnahmesituation bejahte das BAG jedoch im vorliegenden Fall.
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats entsteht aus Verstoß gegen seine Mitwirkungspflichten
Der Betriebsrat berufe sich auf Unterlassungsansprüche, die aus der Verletzung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG durch die Arbeitgeberin herrührten. Diese Ansprüche habe der Betriebsrat indes unter grobem Verstoß gegen seine Mitwirkungspflichten aus § 74 Abs. 1 S. 2 i.V.m § 2 Abs. 1 BetrVG erlangt. Die Arbeitgeberin war vorliegend zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, darauf angewiesen, in regelmäßigen Abständen Dienstpläne aufzustellen. Der Betriebsrat hätte alle Anstrengungen unternehmen müssen, um an der Aufstellung der Dienstpläne mitzuwirken.
Er hatte aber weder versucht, in einem konstruktiven Dialog mit der Arbeitgeberin Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Dienstpläne zu unterbreiten, noch war er bemüht, mit Hilfe der nach § 87 Abs. 2 BetrVG vorgesehenen Konfliktlösung zu einer Einigung zu gelangen. Vielmehr hatte er jegliche Mitwirkung verweigert.
Arbeitgeber kann wegen der Blockadehaltung Mitbestimmungsrechte nicht wahren
Die Arbeitgeberin hatte vor der Umsetzung der Dienstpläne in allen Monaten unverzüglich das Erforderliche zur Wahrung des Mitbestimmungsrechts unternommen. Aufgrund der Blockadehaltung des Betriebsrats bestand für sie keine rechtssichere Möglichkeit, das von ihr nicht in Abrede gestellte Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung der Dienstpläne zu wahren.
Schließlich sei auch das Unterlassungsbegehren hinsichtlich der Abweichung von den jeweiligen – einschließlich der mitbestimmungswidrigen – Dienstplänen unbegründet, da die betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsansprüche darauf gerichtet seien, einen betriebsverfassungskonformen Zustand herzustellen und gerade nicht einen betriebsverfassungswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten.
Fazit: BAG erinnert Betriebsrat an Mitwirkungspflichten
Der Beschluss des BAG konkretisiert den betriebsverfassungsrechtlichen Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Zusammenhang mit Unterlassungsansprüchen, die aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG resultieren. Dies ist zu begrüßen.
Insbesondere ist die Entscheidung des BAG für Krankenhäuser, Pflegeheime und ähnliche Institutionen sehr erfreulich. Solche Arbeitgeber sind aufgrund ihrer Betriebsabläufe auf die (kurzfristige) Aufstellung von Dienstplänen in regelmäßigen Abständen angewiesen, um die ordnungsgemäße Koordinierung des Personaleinsatzes sicherzustellen; dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit von Schichtarbeit sowie die Anforderungen des Arbeitszeitgesetzes.
Zwar besteht auch bei solchen Arbeitgebern, für welche die Ausübung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG eine enorme, über das normale Maß hinausgehende Bedeutung hat, weiterhin die Pflicht, selbst bei einer „Blockadehaltung“ des Betriebsrats dessen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu beachten.
Es erfolgt jedoch eine Korrektur „durch die Hintertür“. Denn das BAG verpflichtet den Betriebsrat gleichzeitig dazu, alles Erforderliche zu unternehmen, um eine einvernehmliche Regelung im Rahmen des ihm gesetzlich zustehenden Mitbestimmungsrechts bei der Verteilung der von den Arbeitnehmern geschuldeten Arbeitszeit zu erreichen.
Kommt der Betriebsrat dieser Mitwirkungspflicht nicht (hinreichend) nach, muss er im Einzelfall damit rechnen, dass der Arbeitgeber mitbestimmungswidrige Dienstpläne durchsetzen kann, ohne dass der Betriebsrat eine Unterlassung verlangen könnte. Arbeitgeber sind jedoch darauf hinzuweisen, dass die Annahme einer missbräuchlichen Rechtsausübung durch den Betriebsrat lediglich in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommt.
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