Was haben Sie denn gegen das generische Maskulinum?

Am 24.04.2019 per E-Mail

Sehr geehrte Frau Hannig,
was haben Sie denn gegen das generische Maskulinum? Denken Sie, es sei Teil eines männlichen Herrschaftsanspruchs über die Frauen?
Mit freundlichen Grüßen
H.S.

 

Meine Antwort

Sehr geehrter Herr S.,

es gab und gibt viele Bereiche in unserer Gesellschaft, in denen die Frauen benachteiligt wurden und werden. Dass diese Benachteiligungen nach und nach abgebaut werden, ist erfreulich. Aber die Abschaffung dieser Ungerechtigkeit passiert nicht von selbst. Hier sehen sie eine kurze und mitnichten vollständige Liste von Dingen, die ich als Frau im Hinterkopf habe, wenn ich über Geschlechtergerechtigkeit spreche:

  • Seit 100 Jahren dürfen die Frauen in Deutschland wählen
  • Seit knapp 50 Jahren müssen westdeutsche Frauen ihre Männer nicht mehr um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollen
  • Seit 20 Jahren ist Vergewaltigung in der Ehe überhaupt ein Straftatbestand (auch wenn Frauen gegenüber ihren Ehemännern übergriffig werden!)
  • (Von solchen Sitten, dass Frauen ihren früh verstorbenen Ehemännern ins Grab folgen müssen, sind wir schon weit weg aber ja, auch solche Bräuche gab es auch)
  • Laut Allbright Report 2019 geben 76 von 160 Dax Unternehmen an, bis 2022 keine einzige Frau in den Vorstand berufen zu wollen
  • Im Jahr 2019 verdienen Frauen im Schnitt immer noch 21 % weniger als Männer (aus unterschiedlichen Gründen! Der bereinigte „Gender Pay Gap“ liegt bei etwa 7%)

 

Man kann also sagen, es hat sich schon viel getan, aber von einer wirklichen Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt.

Für mich als Schriftstellerin ist es besonders interessant, mir in diesem Zusammenhang Gedanken über unsere Sprache zu machen. Denn Sprache beeinflusst unser Denken, Denken unser Handeln und Handeln unsere Gesellschaft.

Die Sprache und die Texte, die wir in ihr verfassen, überdauern eine Gesellschaft und stehen zukünftigen Generation als Wissensschatz und Orientierung zur Verfügung. Und hier kommen wir auch schon zum Knackpunkt: Die Sprache wurde SCHON IMMER politisch und zum Machterhalt bestimmter Gruppen verwendet.

So gab es zum Beispiel in der Antike (in Rom, Griechenland und auch in Ägypten die Praxis der „damnatio memoriae“ bzw. „abolitio nominis“, d.h. die vollständige Tilgung eines Namens aus den Annalen der Geschichte. Alle Bildnisse wurden zerstört, der Name wurde aus allen Dokumenten entfernt. Es sollte so sein, als habe die betreffende Person nie existiert.

Nicht zuletzt, wenn Sie sich mit der Geschichte der politischen Propaganda beschäftigen, werden Sie feststellen, wie wichtig und mächtig Sprache ist. Erst kürzlich hat der Skandal um das „ARD Framing Manual“ gezeigt, dass es bisweilen auf jedes Wort ankommt, weil es eben einen Unterschied macht, ob man von „Erderwärmung“, „Klimawandel“ oder „Klimakatastrophe“ spricht.

Wenn wir also in der Geschichte kaum Schriftstellerinnen, Komponistinnen, Astronominnen, Mathematikerinnen, usw. finden, sollten wir nicht einfach daraus schließen, dass es sie nicht gegeben hat, sondern wir müssen uns fragen, warum wir ihre ganzen männlichen Kollegen überhaupt kennen. Die Antwort lautet: Weil jemand über sie geschrieben hat bzw. ihre eigenen Aufzeichnungen veröffentlicht wurden.

Wenn Sie einige Komponistinnen kennenlernen wollen, die es gegeben hat, über die Sie aber aller Voraussicht nach noch nie etwas gehört haben, empfehle ich diese Seite:

https://susanne-wosnitzka.de/komponistinnen

 

Heutzutage ist es für Frauen wesentlich einfacher, öffentlich in Erscheinung zu treten. Aber selbst heute müssen Frauen noch massiv dafür zu kämpfen, in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein. Um dieses „Gefühl“ mit Daten zu unterfüttern, hat die Schriftstellerin Nina George das Projekt „Frauenzählen“ ins Leben gerufen, bei dem tatsächlich die Sichtbarkeit von Autorinnen bzw. ihrer Werke in den Medien gezählt wurde. Die Ergebnisse finden Sie hier:

http://www.frauenzählen.de/

 

Das generische Maskulinum ist das Werkzeug, mit dem Frauen in der deutschen Sprache am effektivsten unsichtbar gemacht werden – und dabei möchte ich niemandem böse Absichten unterstellen. Der systemische Sexismus, den wir alle erleben ist das Hintergrundrauschen unserer Kultur. Deshalb ist es so schwierig, gegen ihn vorzugehen, weil alle davon ausgehen, das jetzige Handeln und Sprechen sei „normal“ und jeder Änderungsversuch daher definitionsgemäß ein Angriff auf die Sprache. Dabei ist es nur der Versuch, in einem Bereich für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, der bisher absolut ungerecht ist.

Denn selbst, wenn immer wieder behauptet wird, dass Frauen beim generischen Maskulinum „mitgemeint“ seien, so werden sie beim Lesen oder beim Hören doch nicht mitgedacht.

Ein ganz einfaches Beispiel zum selber ausprobieren:

„Die Politiker hatten pausenlos verhandelt. Weder durch aufdringliche Journalisten, noch durch die Zwischenrufe der Demonstranten ließen sie sich ablenken. Es war eine Sache von höchster staatsmännischer Wichtigkeit. Der Ruf des Vaterlands stand auf dem Spiel. Der Wählerwille durfte nicht ignoriert werden. Am Ende stand der Finanzminister auf und sagte zu den Anwesenden: „Meine Damen, wir haben es geschafft.“

Wenn Sie der letzte Satz keinen Augenblick irritiert hat, dann kann ich Sie beglückwünschen. Sie gehören zu einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung, der Frauen tatsächlich immer mitdenkt. Den meisten geht es nämlich anders:

 

Dies alles sind Gründe, warum ich die weitere unreflektierte Verwendung des generischen Maskulinums ablehne und für mehr Geschlechtergerechtigkeit kämpfe.

 

Mit freundlichen Grüßen

Theresa Hannig

24.04.2019

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