Künstliche Intelligenz: Wohin führt der Weg?

8.12.2018

Künstliche Intelligenz hat längst Einzug in unseren Alltag gefunden: in Suchmaschinen wie Google, soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, E-Mail-Programme wie Outlook, Entertainmentportale wie Youtube und Spotify, in Shoppingseiten, Navigationssysteme oder in Sprachsteuerungen wie Siri und Alexa. Als Nutzer bemerkt man das kaum, als Betreiber sehr wohl.

Jahrzehntelang galt Künstliche Intelligenz als aussichtsloses Unterfangen: zu kompliziert, zu teuer, zu wenig praktisch verwertbar. Erst vor wenigen Jahren kam es aufgrund der enorm gestiegenen Rechenleistung von Hochleistungsprozessoren in Verbindung mit schier unbegrenzten Speichertechnologien zu unerwarteten Durchbrüchen. Selbst Apple, Google und Facebook wurden davon überrascht. Sie hatten die großen Sprünge unterschätzt, die Künstliche Intelligenz in kurzer Zeit machen würde.

Die Tech-Riesen reagierten mit Zukäufen. Populärstes Beispiel: Der Kauf des kleinen britischen Labors für Künstliche Intelligenz namens DeepMind 2014 durch Google. Auch Facebook, Apple, Microsoft und andere führende Unternehmen wie Tesla oder der chinesische Konzern Alibaba investierten im großen Stil. Doch niemand hat so viele Experten versammelt und so große Sprünge gemacht wie Google.

Nach Schätzungen der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PWC) werden KI-Technologien bis 2030 das weltweite Bruttosozialprodukt um 14 Prozent steigern. Das entspricht mehr als 15 Billionen Dollar und damit vier Bruttosozialprodukten der Bundesrepublik Deutschland.

Woher kamen die überraschenden Fortschritte der Künstlichen Intelligenz? Computer können jetzt dazulernen und Dinge erkennen, die bisher nur das menschliche Gehirn verarbeiten konnte. Verantwortlich dafür sind zwei technische Entwicklungen, die nach Jahrzehnten mühsamer Forschung in Künstlicher Intelligenz jetzt riesige Fortschritte möglich machen: „Machine Learning“ und „Deep Learning“.

Beim maschinellen Lernen merken sich Computer Anwendungsbeispiele, erkennen Gesetzmäßigkeiten und können mit diesem Wissen später auch neue Situationen ohne menschliche Hilfe meistern. Beim „Deep Learning“ werden viele Berechnungen nacheinander auf unterschiedlichen Datenschichten (neuronalen Netzen) angewendet. Das ist nur mit gigantischen Rechenleistungen und riesigen Datenmengen („Big Data“) möglich.

Mit dieser Methode haben zum Beispiel Google und Apple ihre Spracherkennungssysteme wesentlich verbessert. Auch Übersetzungsdienste wie Google Translate kommen schnell voran. Vor einigen Jahren waren die Übersetzungen noch sehr fehleranfällig. Heute kann das Computerprogramm auf der Basis der Künstlichen Intelligenz die Aufgabe des Übersetzens frappierend gut meistern – und das nach heutigem Stand in 103 Sprachen. So polyglott ist weltweit kein Mensch.

Ein signifikantes Beispiel für das Vorpreschen der Künstlichen Intelligenz ist das chinesische Brettspiel Go, das weltweit von Millionen Menschen vor allem in Asien, aber zunehmend auch in Europa gespielt wird. Das Spiel ist viel komplexer als Schach. Es gibt so viele mögliche Kombinationen, dass man sie schlicht nicht alle ausrechnen kann. 2016 hat die lernfähige Software AlphaGo von Google, entwickelt von DeepMind, den südkoreanischen Weltmeister und Großmeister von Go, Lee Sedol, herausgefordert und in vier von fünf Partien besiegt. AlphaGo lernte mit zwei unterschiedlichen Methoden: Es wurde mit Zehntausenden historischen Go-Partien gefüttert und es spielte gegen sich selbst.

Seit Oktober 2017 gibt es als jüngstes Kind der AlphaGo-Familie nun AlphaGo Zero. Es läuft auf deutlich einfacherer Hardware als das Monster, das 2016 Lee Sedol schlug, und es kommt mit nur einem neuronalen Netz aus, das im Konzert mit einem anderen KI-System arbeitet. AlphaGo Zero bekam keinerlei Hinweise auf gute Strategien. Man brachte ihm lediglich die Spielregeln bei. Binnen drei Tagen spielte AlphaGo Zero 4,9 Millionen Partien gegen sich selbst und lernte dabei aus seinen Fehlern. Ergebnis: Der Autodidakt AlphaGo Zero schlug das ältere, auf der Basis menschlichen Inputs trainierte System mit 100 zu 0.

Die auf neuronalen Netzen basierenden Systeme können nicht nur Go spielen, sie lassen sich für eine Vielzahl von Problemstellungen einsetzen: von Bilderkennung über Übersetzungen bis hin zur Krebserkennung, der Entwicklung neuer Werkstoffe oder Medikamente oder für selbstfahrende Autos.

Erst Anfang 2018 verkündeten fast zeitgleich der amerikanische Software-Gigant Microsoft und der chinesische Konzern Alibaba, dass sie Künstliche Intelligenz-Programme entwickelt hätten, die bei einem Standardtest im Leseverständnis besser abschnitten als menschliche Kontrahenten. Auch wenn Forscher der kalifornischen Standford University, die den Test dazu entwickelten, selbst einräumten, dass der Test Maschinen tendenziell begünstigt, eins ist klar: Künstliche Intelligenz wird unser Leben in den nächsten Jahren und Jahrzehnten radikal verändern.

Auf neuronalen Netzen basierende Systeme werden in naher Zukunft Probleme lösen, an denen die Menschheit seit Jahrhunderten scheiterte. Doch wohin führt uns der Weg der Künstlichen Intelligenz? Werden die Chancen oder die Risiken überwiegen? Leider lässt sich diese Frage derzeit nicht zufriedenstellend beantworten.

Dazu der legendäre Physiker Stephen Hawking: „Erfolg bei der Erschaffung effektiver künstlicher Intelligenz könnte das größte Ereignis in der Geschichte unserer Zivilisation werden. Oder das schlimmste. Wir wissen es einfach nicht. Deswegen können wir auch nicht sagen, ob uns künstliche Intelligenz letztlich helfen wird, ob sie uns ignoriert, ob sie uns kaltstellt oder zerstört“.

Selbst wenn man Optimist ist, Künstliche Intelligenz und technologische Disruption bergen neben den zweifellosen Chancen auch erhebliche Risiken, denen sich Wirtschaft, Wissenschaft, Staat und Gesellschaft mit voller Aufmerksamkeit widmen müssen. Führt der Fortschritt zum Rückschritt?

Der israelische Wissenschaftler Yuval Noah Harari zeichnet in seinem kürzlich erschienenen neuen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ ein zurückhaltendes Bild von unserer Zukunft: „Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kam jede Generation – ob in Houston, Shanghai, Istanbul oder Sao Paulo – in den Genuss von besserer Bildung, besserer Gesundheitsversorgung und höheren Einkommen als die jeweilige Vorgängergeneration. In den kommenden Jahrzehnten jedoch dürfte die jüngere Generation dank einer Kombination aus technologischer Disruption und ökologischer Kernschmelze froh sein, wenn es ihr nicht deutlich schlechter geht als ihren Vorgängern“.

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