Nicht alles bekommt man sofort
Von unerfüllten Wünschen

Nesthäkchen zu sein ist eine tolle Sache. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Meine Geschwister waren erheblich älter als ich, und was ich auch anstellte, sie behandelten mich stets mit liebevoller Nachsicht. Außer vielleicht sonntagmorgens, wenn sie gern länger schlafen wollten – und auch gekonnt hätten…  Wenn – ja wenn mir nicht so früh immer so langweilig gewesen wäre. Also enterte ich ihre Zimmer und versuchte, sie zum Aufstehen zu nötigen. Bis sie ihre Türen abschlossen oder unsere Eltern ein Machtwort sprachen. Ich glaube, Sonntagfrüh haben meine Geschwister mich oft auf den Mond gewünscht.
Aber zu meinen Geburtstagen und zu Weihnachten hatten sie das längst wieder vergessen. Da gab es jedes Mal zahlreiche und manchmal auch ganz besondere Geschenke von ihnen, über die ich mich immer riesig freute. Unsere Eltern ermahnten sie zwar jedes Jahr, mich nicht so zu verwöhnen. Aber auf dem Ohr schienen meine Geschwister taub zu sein.

Doch in einem Jahr erlebte ich eine herbe Enttäuschung. Und das ausgerechnet durch meinen ältesten Bruder, an dem ich ganz besonders hing.

Irgendwann im Herbst erzählte er beiläufig, dass die Hündin seines Freundes Junge bekäme. Das hätte er besser für sich behalten, denn mein größter Wunsch war schon lange, einen eigenen Hund zu haben. Zwar gab es in unserer Familie auch einen Hund, einen kleinen Mischling namens Molly.  Aber Molly, übrigens trotz des Namens ein Rüde, und mich verbanden keinerlei Gefühle für einander. Wenn ich seinem Liegeplatz zu nahe kam, bellte er mich sogar manchmal ganz kurz warnend an. Er hat nie nach mir geschnappt oder mich ernsthaft bedroht, aber wir hätten damals ganz gut auch ohne den anderen leben können. Meine Mutter hingegen liebte er abgöttisch; für sie hätte er einfach alles getan. Als ich dann älter wurde, besserte sich aber auch das Verhältnis zwischen Molly und mir. Irgendwann kam er tatsächlich zu mir, um sich kraulen zu lassen. Das war ein ganz besonderes Erlebnis.

In dem besagten Jahr jedoch stand es zwischen uns beiden noch nicht zum Besten, und ich wollte unbedingt einen Hund – ganz für mich allein. Seit der Bemerkung meines Bruders über den zu erwartenden vierbeinigen Familienzuwachs seines Freundes ließ ich ihn keinen Moment mehr in Ruhe. Ich nervte und quengelte ihm die Ohren voll, wann immer ich ihn sah. Sicher nicht die beste Taktik, aber was versteht man als Kind schon davon.
Ein Zeitlang versuchte er mich einfach nur abzuwimmeln.
Doch irgendwann begriff er, dass das so mit mir nicht zu machen war. Da setzten unsere Eltern und er sich mit mir in der Küche zusammen, und die drei versuchten mir in Ruhe zu erklären, dass und warum ich derzeit keinen Hund bekommen würde. Das Hauptargument war mein Alter. Wenn ich 12 wäre und dann immer noch einen eigenen Vierbeiner möchte, mit allen Konsequenzen, die sich für mich daraus ergeben würden und die ich dann besser begreifen könnte, dann würde ich einen bekommen. Das versprachen mir alle drei. Ich hörte die Worte, aber ich wollte nicht glauben, dass sie es wirklich ernst meinten. Schließlich hatte mein Bruder mir bisher noch nie etwas abgeschlagen. Außerdem war er schon erwachsen und kam für mich in der Familienhierarchie gleich nach meinen Eltern. Also – er würde das schon machen.

Ich drosselte meine Quengelei auf ein Minimum. Gerade so weit, dass der Hund nicht etwa in Vergessenheit geriet. Kurz vor Weihnachten sprach ich den Großen (Spitzname meines Bruders) nochmals auf (m)einen Hund an. Der genaue Wortlaut seiner Antwort ist mir entfallen. Sinngemäß jedoch klang sie so: Jedenfalls bekommst du keinen von Astas Welpen. Asta war die Hündin seines Freundes. Ja, aber das hieß doch im Umkehrschluss, dass ich einen anderen Hund kriegen würde… Jippieh!!! Zwar hätte ich mir lieber selbst einen aus Astas Wurf ausgesucht, aber daran sollte es wirklich nicht scheitern. Hauptsache, endlich einen eigenen Wauzi!

Bei uns fand die Bescherung immer am Morgen des ersten Weihnachtstages statt. Die Nacht davor war stets aufregend aber niemals so sehr wie dieses Mal. Ich konnte kaum schlafen. Immer wieder lauschte ich, ob wohl irgendwo das Bellen oder wenigstens Fiepen eines anderen Hundes als Molly zu hören wäre. Doch alles war still. Sicher würde mein Bruder den Hund erst morgens aus seinem alten Zuhause abholen.

Irgendwann gegen Morgen muss ich dann wohl doch eingeschlafen sein, denn meine Mutter holte mich aus dem Tiefschlaf, als sie mich zur Bescherung weckte. Aber sofort war ich wieder orientiert – zu Ort, Zeit und zu erwartendem eigenen Hund. Ich flog – zum Glück nur bildlich – die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer. Die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten, eingepackte Geschenke lagen da, aber weit und breit war kein Hund zu sehen. Selbst Molly schlummerte noch in seinem Körbchen im Flur. Ich ließ meinen Blick nochmals langsam durch’s Zimmer schweifen und schaute dann die versammelten Familienmitglieder an. Auch mein ältester Bruder war da. Aber spätestens jetzt müsste er doch unterwegs sein, um meinen Hund abzuholen. Ich verstand das nicht.

Meine Mutter erkannte, was in mir vorging. Sie nahm mich auf den Arm und ging mit mir in die Küche. „Hast du denn immer noch geglaubt, dass du einen Hund bekommst?“ „Jaaha“, schluchzte ich. Und dann weinte ich mich auf ihrem Schoß und in ihren Armen erst mal gründlich aus.

Etwas Gutes hatte dieser unerfüllte Wunsch im Nachhinein aber doch für mich. Seit damals wusste ich, dass ich mich auf das Wort meiner Eltern immer verlassen konnte. Nein hieß zwar Nein, aber Versprechen wurden ebenso konsequent gehalten. Als ich das entsprechende Alter erreicht hatte, bekam ich endlich meinen so sehnlich gewünschten Hund. Ajax, einen Deutschen Schäferhund. Ich hatte inzwischen eine Menge über Schäferhunde gelesen, und auch meine Eltern waren von dieser Rasse begeistert. Ajax war eigentlich als Polizeihund vorgesehen. Da aber mit seinem Gebiss irgendetwas nicht in Ordnung war (was ihn selbst nie behindert hat), landete er im hiesigen Tierheim. Dort haben wir ihn entdeckt und zu uns geholt. Und er entwickelte sich zum besten vierbeinigen Freund, den man sich vorstellen kann.

Schäferhund Ajax

 

 

Steiffhund Mopsy

 

 

 

 

Ach ja – von meinem Bruder bekam ich damals zu Weihnachten übrigens doch noch einen Hund. Das Modell Mopsy: pflegeleicht und ganz ohne Unterhaltskosten

Mopsy lebt heute noch und sitzt in meinem Bücherregal.

© Christa Burow