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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 16. August 2018

VOLLBLÜTER (2017)

Originaltitel: Thoroughbreds
Regie und Drehbuch: Cory Finley, Musik: Erik Friedlander
Darsteller: Anya Taylor-Joy, Olivia Cooke, Anton Yelchin, Paul Sparks, Francie Swift
 Vollblüter (2017) on IMDb Rotten Tomatoes: 86% (7,2); weltweites Einspielergebnis: $3,5 Mio.
FSK: 16, Dauer: 93 Minuten.

Nachdem die Schülerin Amanda (Olivia Cooke, "Ready Player One") ihr eigenes Pferd getötet hat, wird sie von ihren Mitschülern so sehr gemieden, daß ihre Mutter ihre frühere Freundin Lily (Anya Taylor-Joy, "Split") dafür bezahlt, Zeit mit Amanda zu verbringen. Wenn sie wüßte, was sie damit anrichtet: Nach anfänglichen Schwierigkeiten nähern sich die beiden immer weiter an und es zeigt sich, daß die beiden eine potentiell höchst toxische Kombination darstellen. So enthüllt Amanda Lily, daß sie schlicht und ergreifend nichts fühle und entsprechende Regungen seit Jahren vorspiele, damit ihre Andersartigkeit nicht weiter auffällt. Lily findet das faszinierend und läßt sich von Amanda einiges beibringen. Auch sie selbst empfindet sich zunehmend am falschen Platz, denn ihre Mutter (Francie Swift, "Ein Chef zum Verlieben") hat nach dem Tod ihres Vaters den reichen Mark (Paul Sparks, "Greatest Showman") geheiratet, mit dem Lily allerdings überhaupt nicht klarkommt. Als Mark auch noch entscheidet, Lily auf ein Internat für verhaltensauffällige Schülerinnen zu schicken – unter dem Vorwand, daß sie sich in der Schule mit einem Plagiat aus dem Internat hat erwischen lassen –, bringt Amanda sie eher ungewollt auf eine Idee: Warum Mark nicht einfach umbringen? Übernehmen soll dies der nicht allzu bedrohliche Drogendealer Tim (Anton Yelchin, "Star Trek Beyond"), den Lily zufällig auf einer Party getroffen hat …

Kritik:
Olivia Cooke und Anya Taylor-Joy haben einiges gemeinsam: Beide sind jung (zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 2016: 22 respektive 20), sehen gut aus und haben vor allem bereits großes schauspielerisches Talent nachgewiesen, weshalb sie zu den gefragtesten Nachwuchsstars in Hollywood zählen. Ihr Können zeigen sie auch in "Vollblüter", dem Regie- und Drehbuch-Debüt des wenig älteren Cory Finley, das sich nur schwer einem Genre zurechnen läßt. "Vollblüter" ist ein schwarzhumoriger Jugendthriller, ein genau beobachtetes Charakterdrama und auch eine bissige Satire, im Kern aber wohl vor allem ein ziemlich subversiver, ein bißchen an Park Chan-wooks "Stoker" erinnernder Coming of Age-Film über zwei Mädchen aus gutem Hause, die ihre ganz eigenen Probleme zu bewältigen haben. Die von Cory Finley eigentlich als Theaterstück vorgesehene Geschichte wirkt zwar gelegentlich etwas inkohärent, trotzdem überzeugt der Film dank seiner beiden großartig aufspielenden Hauptdarstellerinnen wie auch Finleys leichtfüßiger Inszenierung.

Die Geschichte wird von Beginn an konsequent aus der Perspektive der Mädchen erzählt, die sich ihre intimsten Geheimnisse anvertrauen – und damit auch dem Publikum, das auf diese Weise raffiniert zum Komplizen gemacht wird, dem nur bei genauerem Nachdenken überhaupt auffällt, daß kaltblütiger Mord vielleicht doch nicht die angemessene Konsequenz für einen sich fraglos ziemlich mies verhaltenden Stiefvater ist … Faszinierend ist die Gegensätzlichkeit der beiden Protagonistinnen: Während Anya Taylor-Joy die auf den ersten Blick ziemlich normale, jedoch aufbrausende Lily, die bemerkenswert schnell dazu bereit ist, moralische Grenzen zu überschreiten, mit großer Leidenschaft verkörpert, interpretiert Olivia Cooke die angeblich so gefühlskalte Amanda mit viel Ambivalenz. Einerseits wirkt sie in der Tat die meiste Zeit über sehr stoisch, andererseits scheint aber doch immer wieder durch, daß sie sehr wohl etwas fühlt – vor allem, wenn sie erzählt, warum sie ihr Pferd getötet hat –, nur eben nicht so, wie das die meisten tun. Als Zuschauer empfindet man durchaus für beide Mädchen Mitgefühl, vielleicht sogar Mitleid, doch während sich das bei der ziemlich manipulativen Lily auf eine konkrete Thematik – den fiesen Stiefvater – konzentriert, geht es bei Amanda trotz ihrer Unnahbarkeit viel tiefer. Cookes einfühlsam-intensive Darbietung erweckt schnell den Eindruck, daß Amanda gar nicht krank oder "gestört" ist, sondern einfach nur anders; daß sie schlicht und ergreifend das Pech hat, in eine Gesellschaft geboren worden zu sein, von der sich ihr innerstes Wesen so sehr unterscheidet, daß sie dazu verdammt ist, für immer eine Außenseiterin zu sein (oder, wie bisher, eine Schauspielerin, die sich in Gegenwart anderer Personen inklusive der eigenen Familie stets verstellen muß). Wenn man darüber genauer nachdenkt, handelt es sich um eine wahrlich furchterregende Situation, in der Amanda sich befindet.

Finley unterstreicht die Ungewöhnlichkeit seiner Hauptfiguren durch kluge und einsichtsreiche Dialoge, die das Publikum langsam immer tiefer in die Psyche der Mädchen eindringen lassen – auch die ein wenig an die teilweise mit Haushaltsgeräten erzeugte Musik in Rian Johnsons "Brick" erinnernde ungewöhnliche, experimentell-improvisierte musikalische Untermalung durch den New Yorker Jazz-Cellisten Erik Friedlander paßt dazu gut. Neben Taylor-Joy und Cooke ist mit Anton Yelchin ein weiterer Schauspieler an Bord, dem eine große Zukunft vorausgesagt wurde – bis er kurz nach den Dreharbeiten im Alter von nur 27 Jahren bei einem bizarren Unfall tragisch verstarb. "Vollblüter" war sein letzter Film (der ihm auch gewidmet ist) und deshalb ist es umso bedauerlicher, daß seine Rolle relativ überflüssig wirkt. Zumindest auf mich macht es den Eindruck, als wäre die Episode um Tim von Cory Finley nur für die Filmumsetzung erdacht worden, um das Theaterhafte der sich auf wenige Personen konzentrierenden Story etwas zu übertünchen und auch die Laufzeit des Films auf 90 Minuten zu strecken. Yelchin spielt den hibbeligen, großmäuligen Dealer mit den unrealistisch hochtrabenden Plänen wohlgemerkt gut, er macht mit seiner Energie und seinem Charisma aus einer Nebenrolle eine interessante Figur – deren dramaturgischer Nutzen jedoch sehr überschaubar bleibt. Kritisieren kann man auch, daß "Vollblüter" nur bedingt einen klassischen Spannungsbogen aufbaut und die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen mitunter recht abrupt sind, was einen etwas anekdotenhaften Eindruck erweckt. Die starken schauspielerischen Leistungen und ein ebenso konsequentes wie subversives Finale machen das aber leicht verschmerzbar.

Fazit: "Vollblüter" ist ein raffiniert konstruierter, ungewöhnlicher und schwarzhumoriger Coming of Age-Thriller, der primär mit seinen fein gezeichneten und von zwei der vielversprechendsten Nachwuchsdarstellerinnen Hollywoods noch besser gespielten Protagonistinnen punktet.

Wertung: 7,5 Punkte.


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