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Hühnereiergroße Hagelkörner entlaubten die Bäume

„Die Natur baut immer und zerstört immer, ihre Werkstatt ist unzugänglich und ihre Gesetze sind unwandelbar. Wie sie uns ihre volle Macht und unser Unvermögen, sie zu meistern, zum Bewusstsein bringen kann, zeigt der furchtbare Hagelschlag vom 24. August 1855, der einen großen Teil der bergischen Heimat verheerte. Am Abend dieses Tages stand ich mit meiner Mutter vor dem Hause und beobachtete die schweren dunklen Wolken, welche aus Nordwesten sich heranwälzten. Wir sagten uns, es scheint ein starkes, weit ausgedehntes Gewitter im Anzuge zu sein, obwohl Donner und Blitz noch nicht bemerkbar waren. Aber als ich in der Nacht wach wurde, stand der ganze Himmel in Flammen. Die Blitze folgten sich in alle möglichen Fernen, Flächenblitze, Strahlenblitze mit hunderten Abweichungen in so kurzen Zwischenräumen,  dass die ganze sichtbare Welt wie in ein Feuer getaucht erschien. Der Donner rollte ununterbrochen, wie eine Meeresbrandung an felsiger Küste bei schwerem Sturm. Gegen vier Uhr morgens hörten wir neben dem Donner ein eigentümliches Rauschen. Plötzlich ging ein Hagelschlag nieder, wie er seit dieser Nacht in hiesiger Gegend nicht wieder erlebt wurde. Die einzelnen Hagelkörner hatten die Größe von Hühnereiern und bedeckten, nach einer Dauer des Hagelschlages von etwa 5 Minuten, 20 Zentimeter der ganzen Erdoberfläche, in einem etwa sechs Kilometer breiten Streifen vom Süden der Stadt Lennep bis nach Ronsdorf. Die Längenausdehnung erstreckte sich von Holland bis zum Rothaargebirge, am Ende des Sauerlandes. Die Wirkung des Hagelschlages war furchtbar:

Das ganze Laub und die kleineren Zweige der Bäume waren abgeschlagen. Tausende Vögel, Hasen und Kaninchen lagen erschlagen unter den Bäumen. Roggen, Hafer und alle Feldfrüchte lagen platt geschlagen auf dem Erdboden. Alle Ziegeldächer und ein Teil der Schieferdächer waren nach der Wetterseite hin, Südwest bis Nordwest, vollständig zertrümmert. Ebenso waren an der Wetterseite alle Fensterscheiben und bei alten Fenstern sogar die Fensterrahmen vollständig zerschlagen. In vielen Betten, welche in der Nähe von Fenstern an der Wetterseite standen, mussten sich die Insassen die Decke über den Kopf ziehen, um sich vor den niederprasselnden Fenstertrümmern und Hagelgeschossen zu schützen. Nach Vorübergang des Unwetters wanderte ich auf den heimatlichen Berg und konnte so ein Bild der furchtbaren Zerstörung, welche der Hagel verursacht hatte, in mich aufnehmen. Am Tore eines benachbarten Gartens lagen Haufen von Äpfeln und Birnen mit Zweigen vermischt zusammen getrieben. Überall sah man die Bewohner der Häuser damit beschäftigt, Fenster und Dächer provisorisch mit Tüchern und Brettern zu verschließen, um sich vor weiteren Wetterunbilden zu schützen. Diese provisorischen Verschlüsse haben noch Monate standhalten müssen, weil die Ziegelwerke und Glasfabriken den ungeheuren Bedarf nicht sofort decken konnten.

Im Dezember des Jahres 1869 zog ein außerordentlich starker Wirbelsturm durch Norddeutschland in breiter Bahn und verursachte einen derart großen Windbruch in den Wäldern, dass die Forstverwaltung jahrelang daran arbeiten musste, dieses Fallholz zu ordnen und zu verwerten. Nach dem siegreichen Krieg von 1870 trat ein starker Aufschwung in allen geschäftlichen Beziehungen ein. Es wurden sehr viele industrielle Werke gegründet und gebaut. Infolgedessen trat eine Verteuerung aller Arbeitslöhne und Baumaterialien ein. Das Eisen kostete dreimal so viel wie in Vorkriegszeiten, nur das Bauholz wurde billiger, weil in den Wäldern ungeheure Vorräte vorhanden waren, welche von dem Windbruch des Dezembersturms von 1869 herrührten. Der Sturm wehte mit einer solchen Gewalt, dass eine Menge Dampfschornsteine umgeworfen und viele Ziegeldächer abgedeckt wurden. Im Gegensatz zu den weit ausgedehnten Stürmen, welche als Begleiterscheinungen von tiefen Depressionen das Land durchziehen, kommen kleinere Sturmwirbel von noch größerer Luftgeschwindigkeit als Gewitterböen und auch als selbständige Wirbel, sogenannte Tromben vor, bei denen meistens ein sich drehender Wolkenschlauch bis halbwegs zum Erdboden herabhängt, der die Fortsetzung bildet eines von der Erde aufsteigenden Wirbels von Staub und leichteren Gegenständen. Diese sichtbaren Wirbel und die inneren Teile von größeren Wirbeln sind meistens nach oben strömende, vom Seitenwind eine drehende Richtung erhaltende, auf der Erde lagernde Luftschichten. Diese befinden sich in labilem Gleichgewichtszustand und haben ein geringeres spezifisches Gewicht als die sie überlagernden Luftschichten. Durch irgendeine Störung des labilen Gleichgewichtszustandes der unteren Luftschicht entsteht eine Strömung nach oben, welche sich nur in einzelnen Trichtern betätigen und die überlagernden Luftschichten durchdringen kann. Es treten dabei Luftgeschwindigkeiten ein, denen die stärksten Bäume nicht widerstehen können, und welche ganze Gebäude niederreißen.

Am Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zog ein solcher Luftwirbel im Süden der Stadt Lennep vorbei. Er war bei Wermelskirchen entstanden und zog von Born aus über die Wasserscheide von Feldbach und Lennep bis nach Wuppertal, südlich Krebsöge, wo er sich auflöste. Auf dem ganzem Weg hatte er eine Menge Bäume entwurzelt und Gebäude beschädigt. Am Morgen nach dieser Erscheinung traf ich am Bahnhof Krebsöge meinen Freund Richard, der mit seinem Gehöft ungefähr im Zentrum des Wirbels gelegen hatte. Ich stellte die Frage: »Wie ist das Euch gestern ergangen?« Richard erzählte nun in seiner gemütlich Plattdeutschen Mundart: »Eck wor em Stall un woll die Käu füttern, da hört eck ob emol en furchtbares Specktakel. Eck mackte de Stalldür en bisken open un soh, wie unsere dicke Esche sek selbst dreihte un den Himmel fegte. Do dachte eck, nu geht die Welt unger. Eck steckte minen Kopp in den Grashopen un dachte, dat wullst Du öwer nich anseihen. Als eck noch necks spürte als bloß dat Spektakel, do dachte eck, eck könnte de Dür noch ens openmaken. Wo eck do herut soh, do flogen grade de Pöste, Breder un Pannen von miner Schür hoch en de Luft. Do dachte eck, nu geht es los un doh minen Kopp wieder en dat Gras. Es duerte nech lang, do war alles still, eck mackte de Dür open un sog nu de Bescherung. De Schür wor verschwunden, alle Böme afgebroken un umgereeten. Op dem Hus woren de Pannen weg. Do häff eck awer doch gehült!« Man hat übrigens durch eine Geldsammlung soviel aufgebracht,  dass die Scheune wieder errichtet werden konnte.“  (aus: „Albert Schmidt · Ein Leben in der Bergischen Kreisstadt Lennep“, herausgegeben von Wilhelm Richard Schmidt, Gießen und Frankfurt am Main im Jahre 2000)  

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