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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 17. August 2017

THE PROMISE – DIE ERINNERUNG BLEIBT (2016)

Regie: Terry George, Drehbuch: Robin Swicord und Terry George, Musik: Gabriel Yared
Darsteller: Oscar Isaac, Charlotte Le Bon, Christian Bale, Marwan Kenzari, Angela Sarafyan, Shoreh Aghdashloo, Kevork Malikyan, Rade Serbedzija, Daniel Giménez-Cacho, Igal Naor, Tom Hollander, James Cromwell, Aaron Neil, Stewart Scudamore, Alicia Borrachero, Andrew Tarbet, Tamer Hassan, Numan Acar, Milene Mayer, Jean Reno, Michael Stahl-David
 The Promise: Die Erinnerung bleibt
(2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 50% (5,7); weltweites Einspielergebnis: $12,4 Mio.
FSK: 12, Dauer: 133 Minuten.

Türkei, 1914: Der junge armenische Apotheker Michael Boghosian (Oscar Isaac, "Agora") geht eigens eine Verlobung ein, um mit der Mitgift sein Medizinstudium in Konstantinopel finanzieren zu können. Obwohl er tatsächlich beabsichtigt, Maral (Angela Sarafyan, TV-Serie "Westworld") nach seinem Studium zu heiraten, verliebt er sich bald in die schöne Zeichnerin Ana Khesarian (Charlotte Le Bon, "The Walk"), die in Paris studierte und nun mit dem unbeherrschten, aber aufrechten amerikanischen AP-Korrespondenten Chris Myers (Christian Bale, "The Big Short") liiert ist. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus und die große armenische Minderheit wird von den türkischen Truppen brutal unterdrückt, es kommt gar zu Massakern. Michaels Kommilitone und Freund Emre Ogan (Marwan Kenzari, "Die Mumie") – Sohn eines hochrangigen türkischen Beamten – kann ihn zunächst vor Schlimmerem bewahren, doch Emres nationalistischer Vater sorgt schließlich dafür, daß Michael in ein Strafgefangenenlager gebracht wird …

Kritik:
Noch bis vor wenigen Jahren hatten wahrscheinlich – abseits von Armeniern und Historikern – die wenigsten Menschen von der Ermordung von womöglich mehr als 1,5 Millionen Armeniern (es gibt sehr unterschiedliche Schätzungen, aber Hunderttausende waren es auf jeden Fall) im Osmanischen Reich zur Zeit des Ersten Weltkriegs gehört. Obwohl es immer wieder politische Diskussionen über die Bewertung der Geschehnisse gab, geriet das Thema erst um den 100. Jahrestag herum groß in die Schlagzeilen, als viele Staaten – darunter Deutschland, die USA, Frankreich und Rußland – entsprechend dem allgemeinen Konsens unter den Historikern die offizielle Bewertung als Völkermord beschlossen. Während das normalerweise parlamentelle Entscheidungen mit begrenzter Sichtbarkeit für den durchschnittlichen Bürger gewesen wären, führten lautstarke Proteste der Türkei, die den Völkermord-Vorwurf seit jeher heftig bestreitet, bei eigenen Staatsbürgern häufig sogar juristisch verfolgt ("Beleidigung der türkischen Nation"), in einer wunderbaren Demonstration des Streisand-Effekts zu einer viel größeren öffentlichen Wirkung. Vielleicht trug das sogar dazu bei, daß die außerhalb Armeniens lange vergessenen, traurigen Geschehnisse die Kinoleinwand eroberten (Dokus gab es schon zuvor). Während sich die Hollywood-Studios an das brisante Thema bis heute nicht herantrauen (bereits Ende der 1930er Jahre wurde ein geplanter MGM-Film mit Clark Gable angesichts türkischer Proteste abgeblasen), ging mit dem armenischstämmigen Kanadier Atom Egoyan 2002 erstmals ein international bekannter Filmemacher das Wagnis ein, wenngleich der Völkermord bei "Ararat" nicht im Vordergrund steht. Anders war das beim türkischstämmigen deutschen Starregisseur Fatih Akin, der 2014 sein Drama "The Cut" mit den damaligen Ereignissen beginnt, sich dann aber auf die Flucht seines armenischen Protagonisten konzentriert. So ist "The Promise – Die Erinnerung bleibt" vom dank "Hotel Ruanda" mit dem Thema Völkermord vertrauten irischen Regisseur und Drehbuch-Autor Terry George die erste große internationale Produktion, die ihre Handlung komplett dem "Aghet" ("Katastrophe"), wie der Völkermord von Armeniern genannt wird, widmet – ermöglicht durch den inzwischen verstorbenen armenischstämmigen Milliardär Kirk Kerkorian, der mangels Hollywood-Interesse die ganzen Produktionskosten von immerhin $90 Mio. übernahm; sämtliche Einnahmen der Produzenten aus der Veröffentlichung werden übrigens gespendet! Das Resultat ist ein sehenswerter, sehr engagierter Film mit leider nicht unerheblichen dramaturgischen Schwächen (und einem Titelsong des nach der Fertigstellung des Films verstorbenen Rockmusikers Chris Cornell).
Dafür, daß der aufklärerische Aspekt hinsichtlich des Völkermords an den Armeniern erklärtes Ziel von "The Promise" ist, werden erstaunlich wenige Hintergrundinformationen vermittelt. Das Zustandekommen des Konflikts wird kaum erklärt, der Grund für die Animositäten gegenüber der großen armenischen Minderheit (ca. 10% der Gesamtbevölkerung) im Osmanischen Reich bleibt relativ schwammig. Da die türkischen Aggressionen mit der Inhaftierung von armenischen Intellektuellen in Konstantinopel ihren Anfang nehmen und Michael als Medizinstudent auch davon betroffen ist, bekommen wir jedoch zumindest einen recht umfassenden Überblick über den Ablauf der Geschehnisse selbst. Regisseur George verzichtet auf allzu explizite Szenen, verharmlost aber trotz seiner eher subtilen Vorgehensweise keineswegs die Grausamkeiten, denen die Armenier ausgesetzt sind. Zuerst diskriminierendes Verhalten, dann die grundlose Inhaftierung, gefolgt vom schonungslosen Einsatz in Arbeitslagern bei schlimmen Bedingungen – George geht nicht von 0 auf 100, sondern steigert die Qualen, die Michael und so viele seiner Landsleute ertragen müssen, konsequent, bis es zu ersten sinnlosen Massakern kommt sowie zu Deportationen in hoffnungslos überfüllten Zügen, die sofort an die deutschen KZ-Transporte denken lassen. Dabei wird "The Promise" zum Glück nie pathetisch, wenn auch gegen Ende einige Dialoge vielleicht etwas zu predigend ausfallen (wie Botschafter Morgenthaus Diskussion mit dem türkischen Innenminister Talȃt Pasha, der als Hauptverantwortlicher des Völkermords gilt).
Dramaturgisch geht George allerdings nicht übermäßig geschickt vor. Obwohl das Gezeigte gut inszeniert ist und deswegen sehr wohl berührt und wütend macht, wirkt es doch mitunter eher wie eine ziemlich konstruierte Aneinanderreihung von Einzelszenen, die George und seine Co-Autorin Robin Swicord ("Die Geisha") unbedingt zeigen wollten. Ein gutes Beispiel dafür ist der relativ kurze, wenngleich denkwürdige Auftritt von Tom Hollander ("Mission: Impossible – Rogue Nation", TV-Serie "The Night Manager") als Mitgefangener Garin, der Michael – eher unfreiwillig – zur Flucht verhilft. Überhaupt leidet "The Promise" ein bißchen unter einem großen Ensemble wichtiger Personen, von denen fast alle außerhalb des zentralen Trios aber zu wenige Szenen haben, um ihr ganzes Können einzubringen. Dazu zählen übrigens Gastauftritte von James Cromwell ("Die Queen", als Botschafter Henry Morgenthau Sr.), Jean Reno ("22 Bullets", als französischer Admiral), Shohreh Aghdashloo ("Star Trek Beyond", als Michaels Mutter Marta) und Rade Šerbedžija ("Der stille Amerikaner", als Rebellen-Anführer Stephan); interessanteste Figur des Films, die den größten charakterlichen Wandel durchläuft, ist jedoch ironischerweise ein Türke: Michaels von Marwan Kenzari (Bösewicht Jafar in der geplanten Realverfilmung des Disney-Klassikers "Aladdin") sympathisch dargestellter Freund Emre Ogan, der zum Unwillen seines Vaters nicht dessen fanatischen Nationalismus teilt und im Zuge des Krieges von einem leichtlebigen Tunichtgut zu einem ehrenhaften Mann avanciert, der sehr viel für seine Freunde riskiert.
Der Großteil der Handlung konzentriert sich aber klar auf das Liebesdreieck zwischen Michael, Ana und Chris – was nicht die beste Entscheidung von Terry George war. Zwar ist es durchaus legitim, Kriegsfilm und Romanze zu kombinieren, im Grunde genommen ist das gar ein eigenes Subgenre, das Klassiker wie Michael Curtiz' "Casablanca", David Leans "Doktor Schiwago" oder Anthony Minghellas "Der englische Patient" hervorbrachte. Doch ist es auch ein riskantes Vorgehen, das stets droht, die historischen Geschehnisse im Vergleich zu einer "schnöden" Liebesgeschichte verblassen zu lassen, wie es in Michael Bays "Pearl Harbor" oder zuletzt auch in Robert Zemeckis "Allied – Vertraute Fremde" geschah. Bedauerlicherweise fällt "The Promise", obwohl mit den epischen Bildkompositionen von Kameramann Javier Aguirresarobe ("Blue Jasmine") und der gefühlvollen, epischen Musik von Gabriel Yared (der bereits den Score zum erwähnten "Der englische Patient" komponierte) an die großen Kriegsromanzen erinnernd, inhaltlich eher in die zweite Kategorie. Die Dreiecksgeschichte lenkt hier vom Wesentlichen ab und wirkt dabei auch noch ungewöhnlich halbherzig, was unter anderem daran liegt, daß Chris und Michael sich eigentlich zu flüchtig kennen, um in eine wirkliche Konkurrenzsituation zu treten – zumal es eben wahrlich Wichtigeres gibt in ihrer Situation. Wenigstens bleibt uns so ein eitler Hahnenkampf um Anas Herz erspart, anrechnen muß man dem Film zudem, daß die Liebesgeschichte nicht so klischeehaft endet wie (von mir) befürchtet. Dennoch bleibt es dabei, daß der romantische Aspekt eher stört – da hätte man es lieber bei Michaels Verlobung mit Maral bewenden lassen sollen, die ja am Rande auch noch eine Rolle spielt. Schauspielerisch gibt es hingegen nichts zu meckern: Oscar Isaac funktioniert tadellos als moralisch aufrechter Held wider Willen, die Verzweiflung ob seiner Erlebnisse nimmt man ihm auf den ersten Blick ab. Ebenso überzeugt Christian Bale in einer deutlich ambivalenteren Rolle als aufbrausender, leidenschaftlicher AP-Korrespondent Chris, der auf den ersten Blick nicht allzu sympathisch rüberkommt, aber seine Taten für sich sprechen läßt. Die Kanadierin Charlotte Le Bon tut sich zwischen diesen beiden schauspielerischen Schwergewichten phasenweise recht schwer, was auch der ziemlich passiven Rolle ihrer Figur ab Kriegsbeginn geschuldet ist – doch in einzelnen Szenen (wie etwa während Michaels emotionaler Ansprache an die kampfbereiten armenischen Flüchtlinge im letzten Filmdrittel) zeigt sie, daß sie sich nicht hinter Bale und Isaac verstecken muß und selbst ohne Dialoge ausdrucksstark agiert. Zur Belohnung bekommt sie den besten Satz des gesamten Films: "Wir werden uns rächen, indem wir überleben".
Abschließend will ich nicht unerwähnt lassen, daß die ziemlich mäßige IMDb-Bewertung von "The Promise" wenig aussagekräftig ist, denn noch vor dem Filmstart sorgte zunächst eine konzertierte türkische Aktion für Zehntausende "1 Punkt"-Wertungen, die daraufhin von ähnlich vielen armenischen "10 Punkte"-Wertungen gekontert wurde. Läßt man die beinahe 150.000 1er- und 10er-Bewertungen außer Acht, ergibt sich ein arithmetischer Schnitt von 6,8, wobei es vermutlich mehr "echte" 10er- als 1er-Bewertungen gibt und sich der faire Schnitt deshalb um die 7 Punkte herum bewegen sollte – was zufällig genau meinem Urteil entspricht.

Fazit: "The Promise – Die Erinnerung bleibt" ist ein engagierter, gut recherchierter Historienfilm über den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges, der stark besetzt ist und einige starke Momente zu bieten hat, aber von einer nur bedingt überzeugenden Dreiecks-Liebesgeschichte etwas ausgebremst wird.

Wertung: 7 Punkte.


"The Promise – Die Erinnerung bleibt" läuft am 17. August 2017 in den deutschen Kinos an. Die Rezensionsmöglichkeit wurde mir freundlicherweise von capelight pictures zur Verfügung gestellt.


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