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Ausschnitte aus dem Leben einer deutschen Familie in England

Ausschnitte aus dem Leben einer deutschen Familie in England
Oder: Über den Sinn und Unsinn der Schuluniform…
 
Wir – Mutter, Vater, Kind Nummer eins (6 Jahre) und Kind Nummer zwei (4 Jahre) – sind vor über sechs Jahren in eine Universitätsstadt in England gezogen, von deren Sorte es weltweit nur etwa zwei gibt (Universitätsstädte gibt es zum Isar zuschütten, aber die hier ist schon ein bisschen besonders). Und da hier die Kinder schon mit vier Jahren eingeschult werden, steht uns im September der nächste Schulanfang, mit allem was dazu gehört, bevor. Das bedeutet aber auch, sich abermals mit den Vor- und Nachteilen einer Schuluniform auseinander zu setzen. So schwer tun sich nicht alle Immigranten hier. Lasst euch also zuerst erklären, welche verschiedenen Typen von Deutschen es im Vereinigten Königreich gibt und wie das mit den Schuluniformen zusammenhängt…
Ausschnitte aus dem Leben einer deutschen Familie in England

Die Deutschen im Vereinigten Königreich…

Wir Deutsche hier lassen uns in zwei Gruppen einteilen: Die, die bestimmte Haferkekse aus Deutschland importieren und die, die es nicht tun.
Nee, nicht wirklich. Obwohl Haferkekse manche Immigranten in der Tat sehr zu beschäftigen scheinen (Allnatura oder Rewe?), spielen sie bei dem Versuch einer Klassifizierung im Großen und Ganzen nur eine untergeordnete Rolle. In Wirklichkeit gibt es drei Gruppen von uns…

Gruppe 1

Da ist zum ersten die Gruppe von Leuten, die im Ausland leben, aber Deutschland nie wirklich verlassen haben. Sie haben alles mitgebracht, was man als deutsch bezeichnen könnte (die geweihte Osterkerze miteingeschlossen), kennen sich besser im deutschen Kalender aus als im britischen und umgeben sich hauptsächlich mit anderen Deutschen.

Gruppe 2

Dann gibt es die zweite Gruppe, zu der mein Freund und ich gehören. Wir sind wegen einer Stelle an der Uni gekommen, die auf zwei Jahre begrenzt war, dann wurden daraus vier, dann fünf und jetzt sind wir nach über sechs Jahren immer noch da und machen uns auch noch nicht auf den Heimweg. Diese zweite Gruppe macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt und mischt deutsches mit britischem Kulturgut, und spanischem, und israelischem und überhaupt. Zu uns kommt zum Beispiel das Christkind, aber zum Weihnachtsessen tragen wir Papierkronen, die zusammen mit irgendwelchen schlechten Witzen und kleinen Spielzeugen aus Christmascrackern gekommen sind. Und zu Silvester versuchen wir, zwölf Weintrauben im Takt der Glockenschläge einer spanischen Kirche zu essen.

Gruppe 3

Die dritte Gruppe erheitert mich genauso wie sie mich manchmal irritiert. Es ist die Gruppe, die sich vollständig und manchmal zwanghaft assimiliert. Ironischerweise sind das meist die Deutschen, denen man das Deutschsein auf 50m ansieht. Trotzdem lassen sie sich nicht davon abbringen, im Britischen komplett aufzugehen. Da spricht man selbst mit seinem Partner und Kindern ausschließlich Englisch, auch wenn der andere ebenfalls aus Deutschland kommt. Man zieht sein Kind jeden Abend durch die Badewanne, auch wenn Duschen bekanntlich weniger Wasser verbraucht und isst jeden Tag warm zu Abend. Diese Gruppe sieht es auch gerne mal als einen persönlichen Affront an, wenn die Grundschule in deren Einzugsgebiet sie lebt, keine Uniformpflicht hat, denn die Uniform ist Teil der britischen Identität. Dabei gibt es kein einziges überzeugendes Argument pro Schuluniform. Nicht ein einziges.
Ausschnitte aus dem Leben einer deutschen Familie in England
 

Über Sinn und Unsinn der Schuluniformpflicht…

Ach komm!
Bitte?
„Ach komm“, habe ich gesagt.
Ach komm, was?
Als Stimme in deinem Kopf, weiß ich, dass du dir alles und jeden zurecht analysierst, damit sie in deine Vorstellungen passen. Ich sag nur Haferkekse. Bestimmt gibt es wenigstens ein überzeugendes Argument für Schuluniformen.
Gut, Stimme in meinem Kopf. Wenn du so viel Ahnung hast, dann überzeuge mich mal.
Uniformen machen Kinder identifizierbar und klar zuzuordnen.
Und das ist jetzt gut, oder was?
Auf einem Schulausflug ist das sicherlich sehr hilfreich.
Ja, aber nur, wenn das Wetter gut genug ist, damit man die Uniformen auch sieht.
Außerdem identifizieren sich Kinder dann auch mit ihrer Schule.
Und haben wir zwei das damals nicht auch ganz ohne Uniform gemacht, oder was?
Okay. Aber jetzt: Eine Uniform macht morgendliche Diskussionen darüber, was angezogen wird, obsolet. Angezogen wird, was die Schule vorschreibt.
Ah! Wenn du mit mir in aller Herrgottsfrueh aufstehen würdest, anstatt mich auf Autopilot zu schalten, wüsstest du, dass das auf uns sicherlich nicht zutrifft. Die meisten staatlichen Schulen erlauben eine gewisse Variation. Sommerkleid, Pinafore, Rock oder Hose, lange Hose oder Shorts, T-Shirt oder Bluse, Schulpulli oder Strickjacke, etc. Das bedeutet, man hat die Diskussion, was angezogen wird immer noch, nur fühlt sie sich noch sinnloser an, weil man darüber streitet, welches grüne, blaue, oder rote Oberteil – je nach Schulfarbe – angezogen wird. Und die Schulen, die darauf bestehen, dass eine spezielle Sommer- und eine spezielle Winteruniform getragen wird und die diese Regeln auch streng durchsetzen, sind meistens die Schulen, die etwa £30.000 im Jahr an Gebühren verlangen, was dein nächstes Argument außer Kraft setzen wird.
Woher willst du wissen, was mein nächstes Argument gewesen wäre?
Weil es jedermanns Hauptargument ist.
Ach ja, dann sag mir mal, was dieses Hauptargument sein soll.
Dass Schuluniformen die Unterschiede zwischen arm und reich verwischen würden.
Das ist doch bestimmt auch so. Wenn alle Kinder gleich angezogen sind, dann gibt es keine Unterschiede mehr. Das Kollektiv nach den Grundsätzen der Gleichheit und Gleichberechtigung ist doch das, was du manchmal propagierst. Wer wollte denn unbedingt in einen Kibbuz ziehen?
Da war ich 20. Aber ach, Stimme in meinem Kopf. Wie damals, als du gesagt hast, ich sollte mir auf keinen Fall das Kleid eine Nummer kleiner kaufen, weil ich niemals hineinpassen würde, irrst du gewaltig. Eines Tages werde ich genug abgenommen haben, und je nachdem in welchen Laden man Uniformen kauft, unterscheiden sich Qualität des Stoffes und Preis gewaltig. Marks & Spencer, zum Beispiel, verlangt für ein Schulkleid und Sweatjacke etwa £18 (21 EUR). Die großen Supermarktketten, Sainsbury‘s und Tesco, verlangen etwa £10 für ein Kleid und einem Doppelpack Strickjacken (11 EUR). Und jetzt kommt man ja mit einem Set nicht besonders weit, also kauft man wenigstens zwei.
Wie groß kann der Unterschied schon sein?
Baumwolle vs. abwischbar. Und reden wir gar nicht erst darüber, was spezialisierte Uniformläden verlangen! Dafür bekommt man bei denen dann das Schulemblem mit auf die Sachen. Und frag mal, was dein Kind dazu sagt, wenn es nicht wenigstens ein Kleidungsstück hat, auf dem das Emblem ist, wenn manch andere das Schullogo auf allen Jacken und Shirts haben.
Aber so groß ist der Unterschied ja dann auch….
Da sind die Schuhe dann noch gar nicht mit eingerechnet, die man ebenfalls für wenige Pfund im Supermarkt oder für viel Geld im Schuhladen kaufen kann. Einige Schulen erlauben normale Schuhe, aber die meisten verlangen schwarze Schuhe für den Schulalltag und schwarze Turnschuhe für den Sportunterricht.
Schwarze Turnschuhe mit dunklen Sohlen? Da hätte uns unser Schulhausmeister aber was erzählt.
Egal, welche Schuhe erlaubt sind, es bleibt der Preis- und Qualitätsunterschied und somit der Klassenunterschied. Auch, weil, wie du sagst, Kinder Schulen zuzuordnen sind. Manche Schulen sind hoch angesehen, andere sind Problemschulen. Denk mal an die Schule, in deren Einzugsgebiet wir wohnen. Bis vor einigen Jahren war unsere Gegend noch eher Glasscherbenviertel, und die Schule eine der schlechtesten der ganzen Stadt. Und jetzt denk mal daran zurück, wie mitleidig wir die Kinder angesehen haben, die die knallrote Uniform dieser Schule getragen haben.
Das war aber auch sehr überheblich von uns.
Keine Frage. Wir haben es aber auch nicht mit Absicht gemacht. Es war die Assoziation durch die Uniform.
Aber manchmal sind Uniformen auch einfach putzig.
Oh, wirklich? Vierjährige in Uniform sind putzig?
Hast du nicht „Harry Potter“ gesehen?
Nein, und du auch nicht. Aber sag mir, Stimme in meinem Kopf, wann sind Kinder in Uniform denn nicht mehr putzig? Wie ist es mit den jungen Kadetten? 12-Jährige, die bei der Jugendorganisation der Armee mitmachen? Die tragen militärische Uniformen. Sind die auch noch putzig?
Äh…
Dachte ich mir. Eine Uniform ist eine Uniform ist eine Uniform.
Ich gehöre, wie gesagt, zu der zweiten Gruppe von Immigranten. Soweit ich es kann, mache ich mir unser Leben hier, wie es mir gefällt. Ich kann Uniformen nicht ausstehen, aber die Schule, auf die Kind Nummer eins geht, und auf die Kind Nummer zwei hoffentlich bald gehen wird, schreibt nun mal eine Uniform vor. Und manchmal glaube ich, sie tut das nur, um mir zuzusehen, wie ich panisch versuche, mein Kind aus etwa 300 anderen mehr oder weniger identisch gekleideten Kindern herauszufiltern.
Aber wer’s mag, gell.

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