Skip to content

1925 hatte RS die meisten Arbeitslosen in der Rheinprovinz

„Makent Fiärowend": „Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, habe ich am eigenen Leib bitter erfahren. Ich kann das ganze nur als Ausbeutung bezeichnen. Ich habe von 7 bis 19 Uhr arbeiten müssen; aller­dings hatten wir mittags eine Pause von eineinhalb Stunden, und um 16 Uhr gab es noch eine kurze Kaffeepause. Wenn der Meister im Be­trieb war, trauten wir Lehrlinge uns nicht, pünktlich aufzuhören. Wir muss­ten dann so lange warten, bis er sagte: ,Makent Fiärowend'. Aber meistens hatte er das so geschickt eingerichtet, dass kurz vor Feierabend noch jemand zur Post musste, Pakete hinbringen, oder Ware bei einem Zulieferer ab­holen. Das war so,  dass es immer 19.30 Uhr wurde, bis man mal wirklich Feier­abend hatte. Samstags wurde bis 16 Uhr gearbeitet. Danach mussten wir die Werkstatt aufräumen. Darüber wurde es dann leicht 18 Uhr, bis alles fertig war. Ferien gab es nicht. Ich war seinerzeit in der Volksjugend. Die machte schon mal große Touren, und da wollte ich gerne teilnehmen. Es sollte für 14 Tage runter nach Heidel­berg gehen. Ich bat dann meinen Lehr­meister um Urlaub. Nein, es gäbe kein frei, war seine Antwort. Da hab ich dem Herrn Pastor Finneisen das ge­sagt. Der hat dann mit dem Lehrmei­ster gesprochen; daraufhin bekam ich frei, jedoch mit der Bemerkung: ,Die 14 Tage musst du nachholen, wenn du die Lehre aus hast.' Aber ich hab ihm was gepfiffen."

Mit Weinen in die Fabrik gegangen: „Als 14jährige bin ich in einen Haus­halt gekommen. Morgens um 8 Uhr musste ich mit der Arbeit anfangen: Zuerst musste ich immer die Schuhe der ganzen Familie putzen. Dann musste ich spülen, einkaufen, und hel­fen, das Essen vorzubereiten. Danach musste ich die Zimmer putzen. Das waren immerhin sechs oder sieben Zimmer, die ich als 14jähriges Mäd­chen zu machen hatte. Nach dem Mittagessen musste ich spülen und konnte dann so zwischen 14 und 15 Uhr nach Hause gehen. Für die ganze Arbeit kriegte ich 15 Mark im Monat. Wenn ich dann noch den Garten um­grub, bekam ich zehn Mark extra. Danach hatte ich eine Stelle, in der ich morgens den Haushalt machte und nachmittags nähen lernte. Die Arbeit war so halbe-halbe aufgeteilt. Nach drei Jahren hätte ich meinen Abschluss als Schneiderin gehabt. Weil meine Schwester aber soviel Geld in der Fa­brik verdiente, mein Lohn war zu gering dagegen, musste ich meine Stelle aufgeben und auch im Alexan­derwerk anfangen. Mit Weinen bin ich in die Fabrik gegangen, bis ich mich durchgerungen und damit abge­funden hatte. Das viele Geld, das man im Akkord verdiente, half darüber weg. Ich war so klein, man musste mir Kisten unter die Füße stellen. Es war die Zeit, wo man Frauen die schwere Arbeit machen ließ, die ei­gentlich Männerarbeit war. Anfangs war es fürchterlich für mich. Unsere Ar­beitszeit war von 6 bis 18 Uhr; mit­tags gab es eine halbe Stunde Pause, morgens und nachmittags je eine viertel Stunde. Samstags wurde von 6 bis 12.30 Uhr gearbeitet."

Der REFA-Mann: „Ende der 20er Jahre, das weiß ich noch ganz genau, da kriegte ich 75 Pfennig Lohn in der Stunde. Als ich dann in die Firma L. kam, kriegte ich 80 Pfennig. Ich war noch nicht lange dort, da setzte der Chef fünf Pfennig zu. Bald war ich auch auf 90 Pfennig in der Stunde. Und das war schon was. Dann hat die Firma das Minutensy­stem (Refa) eingeführt und extra je­manden angestellt, der sich mit der Stoppuhr jeweils einen Tag lang hin­ter einen Arbeiter stellte, der gerade am Schleifen war oder am Aufspan­nen. Da war mal ei­ner im Betrieb, der kam aus Wermelskirchen, das war ein großer, schwerer Kerl. Der musste die Ansätze an die Sägeblätter drehen auf einer großen Plandrehbank. Jeder andere musste mit dem Flaschenzug das Werkstück, die Säge, hochhieven auf die Dreh­bank. Aber der aus Wermelskirchen, der war so stark, der brauchte kei­nen Flaschenzug. Der packte die Säge am Loch und warf sie auf die Ma­schine. Ebenso packte er den Deckel an, der darauf kam. Das war schon ein Zeitgewinn von drei bis vier Mi­nuten. Das war dann sein Mehrver­dienst. Deshalb kam er auf einen ho­hen Lohn.

Stand der Büro-Mechanisierung im Jahre 1910.

Teil II

Zu erneuten Unruhen gab die Reichsregierung den Anlass, indem sie die Unterstützungssätze, die sie den Erwerbslosen zubilligte, trotz der stark angezogenen Lebensmittel­preise nicht erhöhen wollte. Dessen ungeachtet wurde auf der Konferenz der Städtevertreter in Barmen be­schlossen, 50 Prozent mehr auszu­zahlen. In Remscheid war dieser Satz durch Vorschusszahlung schon aufge­braucht, und die Verwaltung hatte sich mit dem Arbeitslosenrat geei­nigt, dass die Erwerbslosen statt Bar­geld Lebensmittel erhalten sollten. Der Arbeitslosenrat war der Meinung, dass es schwer sei, den Leuten diese Änderung annehmbar zu machen. Aber wollte die Stadt nicht eine Sperrung der Reichsunterstützung auf sich nehmen, so musste sie diesen Ausweg einschlagen. Über das, was danach geschah, gibt die Polizeiverwaltung folgenden Bericht: „Am 4. Dezember 1923, vormittags gegen 10 Uhr, versammelten sich die Erwerbslosen, nachdem sie an den Zahlstellen ihre Unterstützung emp­fangen hatten, auf dem Rathaus­platz. Nach und nach hatten sich etwa 4.000 bis 5.000 Personen eingefunden, unter denen eine erregte Stimmung herrschte. Dem Erwerbslosenrat wurden von der Stadtverwaltung Gut­scheine zum Bezug von Brot zugestan­den, die am 5. Dezember an die Er­werbslosen ausgehändigt werden sollten. Hiermit war die Menge nicht zufrieden und zog nun gegen 12 Uhr mittags, nachdem sie zwangsweise zerstreut worden war, in Trupps zu den verschiedenen Stadtteilen, wo sie in die Lebensmittelläden, vornehmlich Brot- und Metzgerläden, eindrang und die Herausgabe von Waren ver­langte unter der Angabe, der Ober­bürgermeister habe gesagt, die Er­werbslosen sollten sich in den Ge­schäften holen, was sie bekommen könnten, die Stadt bezahle alles. Da, wo die Geschäftsleute die Herausgabe verweigerten, wurde ihnen Gewalt angedroht. . ."

Die amtliche Berufszählung des Jah­res 1925, mit 37. 119 nach Berufen er­fassten Personen (etwa 52% der Ge­samtbevölkerung) bzw. 77.933 Erwerbstätigen mit ihren Angehörigen ergibt folgende Struktur:

 

Erwerbstätige

Mit Angehörigen

Industrie, Handwerk

25 529

58 057

Handel und Verkehr

6 774

12 537

Öffentl./freie Berufe

2 002

3 865

Häusl. Dienste u. ä.

2 368

2 753

Landwirtschaft

446

721

Sägenrichter bei der Arbeit. Große Handfertigkeit war notwendig, um das Sägeblatt vollkommen gerade zu bekommen.Im selben Jahr hatte Remscheid „mit 86 pro 1.000 Einwohner leider von sämtlichen Städten der Rheinprovinz die größte Erwerbslosenzahl aufzu­weisen. Remscheid steht also weitaus an der Spitze. Besondere Sorgen er­wachsen", erläutert der Verwaltungs­bericht. (…) In der Zeitspanne 1. April 1925 bis 28. Februar 1926 waren beim Ar­beitsnachweis 24.815 Arbeitssuchende (männl. 23 210; weibl. 1 605) gemel­det. Das Geschäftsjahr 1926 begann also mit einer „erschreckend hohen Er­werbslosenziffer, die das ganze Jahr hindurch bis in den Winter hinein ungefähr auf gleicher Höhe stand. Die höchste Zahl wurde am 4. Juni er­reicht mit 6.708 Vollerwerbslosen und 7.306 Zuschlagsempfängern (Ehe­gatten und Kinder), oder insgesamt 14.014 Unterstützten, das sind 18,44% der Gesamtbevölkerung." Am 25. März 1927 waren es 11,47%.

Zwei grundlegende Veränderungen versperren nun leider den Weg, wei­terhin mit greifbar einfachen Zahlen und Begriffen den Verlauf der Ar­beitslosigkeit in Remscheid darzu­stellen. Einmal wurde das Arbeitsamt, bislang eine kommunale Einrichtung, am 1. November 1928 ein Organ der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Seine Übernahme in die Kompetenz des Rei­ches brachte nicht nur eine Erweite­rung seines Zuständigkeitsbereiches auf die umliegenden Gemeinden mit sich, sondern erzeugte auch durch im­mer neue Notverordnungen neue Terminologien und Modi der Ar­beitslosenerfassung. Als weiteres kommen 1929 die Eingemeindungen von Lennep und Lüttringhausen hinzu. Nach einem Bericht des Ar­beitsamtes gab es im Juni 1932 in Groß-Remscheid (101.000 Einwohner) 5.688 Hauptunterstützungsempfänger und 5.903 Zuschlagsempfänger. Die Gesamtzahl der Arbeitssuchenden be­trug 18.661. Aufschluss über den Um­fang des Elends gibt der Oberbürger­meister Ende August:

„Ich darf mit einigen Worten auf die wirtschaftliche Lage unserer Stadt zu sprechen kom­men. Aus den vielen Veröffentlichun­gen der Presse und der wirtschaftli­chen Verbände ist bekannt, dass sich die wirtschaftliche Lage keineswegs ge­bessert hat. Und wenn die Zahl der Erwerbslosen das richtige Barometer für die wirtschaftliche Depression dar­stellt, so kann man am besten daraus ersehen, dass die Tendenz nach un­ten noch immer stark vorhanden ist ... Unsere Belastung zum Reich und zu anderen Gemeinden kommt in folgender Darstellung zum Aus­druck. Am 1. August zählten wir 62,7 Erwerbslose auf tausend Einwohner, während das Reich im Durchschnitt auf tausend nur 35,6 rechnet und die entsprechende Zahl in der Rheinpro­vinz 44,3 betrug. Wir liegen also 80 bis 90 Prozent über dem Reichsdurch­schnitt. Neben den Wohlfahrtser­werbslosen steht in der Unterstützung noch eine Reihe anderer Gruppen, und zwar die Arbeitslosen, die vom Arbeitsamt betreut werden, die in der sogenannten Arbeitslosenversicherung und Krisenfürsorge sind, die Sozial- und Kleinrentner. Wenn diese Grup­pen dazu genommen werden, so ha­ben wir am 1. August in Remscheid 16 292 Parteien zu unterstützen mit insgesamt 35 406 Köpfen. Das macht bei unserer Einwohnerzahl 34 Pro­zent der Bevölkerung aus. Es steht also jeder dritte Einwohner Remscheids in öffentlicher Unterstützung. Und bei uns ist es jetzt so weit, dass jeder sechste Einwohner Wohlfahrts­unterstützung bekommt." Aus dem Geschäftsbericht der „Ge­meinnützigen Bau-Aktien-Gesell­schaft", Remscheid, wird das Ausmaß der Arbeitslosigkeit am konkreten Beispiel deutlich sichtbar: „Der Hausbesitz der Gesellschaft beträgt am Schlüsse des Geschäftsjahres (31. März 1932) nunmehr 119 Häuser mit 647 Wohnungen . . . Davon entfallen auf den Bezirk Honsberg 82 Häuser mit 472 Wohnungen und auf die übri­gen Stadtgebiete 37 Häuser mit 175 Wohnungen. Die katastrophale Verschlechterung der Wirtschaftslage während des Berichtsjahres und die da­mit verbundene Zunahme der Arbeits­losigkeit hat, da unsere Mieterschaft durchweg der Arbeiterschaft und minderbemittelten Kreisen angehört, für unsere Gesellschaft ganz erhebli­che Mietausfälle und Mietrück­stände hervorgerufen, wodurch das Ergebnis recht ungünstig beeinflusst worden ist. Am Schluss des Ge­schäftsjahres waren von unseren Mietern 250 erwerbslos, 157 Kurzar­beiter und 67 Rentenempfänger."

Die Notverordnung des Reichspräsi­denten von Hindenburg vom 14. Juni 1932 brachte sehr umfassende und tiefe Eingriffe in die sozialen Aufgaben und Ausgaben des Reiches, der Ge­meinden und der Sozialversicherung. Bei Zugrundelegung der Verhältnisse eines Hauptunterstützungsempfän­gers ohne zuschlagsberechtigte An­gehörige ergaben sich bei der Arbeits­losenversicherung folgende Wochenunterstützungssätze:

Wochenverdienst         alte Sätze         neue Sätze

bis     10 Mark              5,60 Mark         5,10Mark

über 18 bis 24              8,82 Mark         8,40 bis 7,20 Mark

über 36 bis 42              12,67 Mark        9,90 bis 8,40 Mark

über 60             18,90 Mark        11,70 bis 9,90 Mark

Dazu sagte der Rechnungsführer der Deutschen Gesellschaft für öf­fentliche Arbeiten, Artur Blanke: „Aus­gerechnet bei den schwächsten Schichten des deutschen Volkes werden 900 Millionen eingespart . . . Gewiss haben auch schon frühere Re­gierungen die sozialen Ausgaben ge­drosselt und den abgewirtschafteten Betrieben Subventionen gegeben. Diese einseitige Drosselung der Sozial­etats und der Sozialversicherungen durch die Notverordnung der neuen Reichsregierung von Papen überbietet jedoch alles Dagewesene bei weitem. Waren die früheren Notverordnun­gen hart, so ist die Notverordnung der Regierung Papen brutal. Dabei ist dies erst der Anfang der vom Reichs­kanzler angekündigten neuen Ära." (aus: “…aber die Jahre waren bestimmt nicht einfach. Remscheider Zeitzeugen berichten aus Kindheit und Jugend“. Von Gerd Selbach. Herausgegeben von der Volkshochschule der Stadt Remscheid 1985.)

Den 1. Mai „op de Botter geschmeärt“: Ich weiß noch, dass auch vor 1933 der 1. Mai gefeiert wurde. Aber die Unternehmer haben das nicht gerne ge­sehen. Bei uns arbeitete einer namens Voss, der war im Trommlerkorps der SPD. Der hatte sich freigeben lassen, weil er trommeln musste. Danach hat er aber höchstens noch vierzehn Tage gearbei­tet. In der ganzen Zeit haben die an ihm rumgenörgelt und ihm sein Frei­nehmen ständig ,op de Botter geschmeärt' bis er aufhörte. Später, im Dritten Reich, haben unsere Chefs selber an den Maifeiern teilgenommen. Da kriegten wir sogar noch 'nen Daler von ihnen! Da mussten wir alle antre­ten. Wat woar dat doch all enn Krampf."

Dann riefen sie die Polizei: „Die Polizei war auf Personen bezo­gen, nicht so ans Gesetz gebunden wie heute, wo sie unabhängig ist und jeman­den mit oder ohne Geld die Meinung sagen kann. Sie könnte also theore­tisch (den Politikern) sagen: „Das machen wir, wie wir es dem Gesetz gegenüber ver­pflichtet sind!“ So kann sie das heute handhaben. Das war damals nicht so. Beispielsweise, wenn es Schwierigkei­ten in einem Werk gab, da ging grundsätzlich die Polizei gegen die Streikenden vor, obwohl die recht hatten. Da sind Arbeiter rausgeflogen, die haben nicht einmal ihren Lohn ge­kriegt. Die rumorten natürlich, das ist doch logisch. Und das Werk rückte das Geld nicht raus. Wenn es ihnen passte, erst dann gab es die Restlöh­nung. Sie ließen die Arbeiter dann warten und sagten: ,Wir haben jetzt kein Geld.' Dann riefen sie die Polizei, die dann gegen die Arbeiter vorging. Es gab viele Aus­einandersetzungen mit der Polizei. Es war also nicht nur, weil die Arbeiter unruhig waren, sondern durch das falsche Verhalten der ande­ren Seite."

In die Menge reingeschossen: „ - Können Sie sich an Arbeits­kämpfe während der 20er Jahre erin­nern? — Ja, da war mal in der BSI ein großer Arbeitskampf und Streik. Ich weiß, da ist in die Menge reinge­schossen worden. Da ist das so be­drohlich gewesen im Hof vom Wohl­fahrtsgebäude, da hat der Klang, der war damals Fabrikdirektor, den Schießbefehl gegeben und da haben die in die Menge reingeschossen. Ob es Verwundete oder Tote gab, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass da alles ausgesperrt wurde. Mein Vater kriegte auch die Papiere per Einschreiben. Ich glaube, die meisten. Dann sind die lange, lange erwerbslos gewe­sen. Ich weiß, da wurden Brote aus­geteilt, Weißbrote, aus russischem Mehl. Die wurden am Volkshaus aus­gegeben, auch Lebensmittel. Das ist der einzige richtige Kampf, an den ich mich erinnern kann. Es hat wohl noch Streiks gegeben, die sind aber nicht so groß gewesen, die waren nur kurz. Da arbeitete ich schon in der BSI als Angestellter und musste mor­gens früh durch die Streikposten ge­hen. Wir, als Angestellte, haben nicht gestreikt. Wir mussten aber durch die ganzen Reihen gehen, die da alle standen von den Eisenbahnschienen Weststraße-Papenberger Straße an bis zum Portier 1. Oder oberhalb der Osterbuscher Schule, Portier 5. Da mussten wir ein bisschen Spießrutenlau­fen gehen. Aber weil wir Angestellte waren, haben die nichts gemacht. Nur die Arbeiter, die wurden nicht reingelassen."

Der Kontrolleur vom Arbeitsamt: „Sie müssen verstehen, die noch am Arbeiten waren, die konnten samstags gehen und sich einen trinken. Wir wa­ren doch jung, das wollten wir doch auch. Einmal habe ich beim H. gear­beitet, wie die noch ganz am Anfang waren. Die hatten unten im Haus ihren Betrieb. Da war der Ernst, der Kurt und ich, und noch einer, dessen Na­men habe ich vergessen. Die machten kleine Hobel und Zangen. Da hab ich dann gearbeitet. Und wie das so war, ich durfte das aber nicht, weil ich am Stempeln war. Da war so ein Fritz B., der hatte mich beim H. gesehen. Das wusste ich aber nicht. Auf einmal guckt der Kurt aus dem Fenster und sagt: ,Da kommt der Kissing.' Das war ein Kontrolleur vom Arbeitsamt. ,Versteck dich schnell.' - ,Wohin? Wohin?' Jetzt war eine Tür da, die machte ich auf, da war das die Kar­toffelkiste. Ich hatte Angst, ich hätte doch das Stempelgeld alle wieder zu­rückzahlen müssen. Ich also rein in die Kartoffelkiste. Jetzt hörte ich wie der Kissing rein kam: ,Guten Tag. Ist der Eugen H. hier nicht am Arbeiten?' - ,Wat? Derr? Derr darf sech doch hie nit blecken loten. Denn schlöffe duot. Duot schlöffe denn, wenn derr sech hie blecken lött.' So sprachen die mit dem Kissing und fragten: ,Wat es dann los?' - Ja', sagte der, ,der Fritz B. hat mir erzählt, der Eugen arbeitet hier.' - ,Nee, der hätt hie noch nie gearbet.' Na, da war er zufrieden und ging wieder. Ich kam dann aus der Kartoffelkiste raus. Da können Sie sich vorstellen, wie ich aussah. Jetzt wusste ich aber, wer mich verraten hatte. Mich wurmte das arg. Der Fritz ging nämlich selber auch schwarz arbeiten. Mein Bruder und er, die taten sich immer abwechseln beim Karl G. Acht Tage er, acht Tage mein Bruder. Ein paar Tage nach dem Zwischenfall, ich war gerade mit dem Paul auf dem Weg zum Arbeitsamt, trafen wir den Fritz B., der auch da­hin wollte. Ich hätte ja nichts gesagt, ich hätte ihn mir mal allein geschnappt. Aber da fing er an von meiner Schwarzarbeit beim H. Da hab ich gesagt: ,Du Biest warst das, das mich verraten hat, wo du doch selber arbei­ten gehst. Ich verrate dich nicht, glaub das ja nicht. Aber du kriegst jetzt eine Abreibung.' Da hab ich ihn mir am Kopp gepackt und hab ihn unter den Arm genommen und hab ihn, nix wie gib ihm, regelrecht ver­möbelt.

Da bin ich betteln gegangen: „In der Schule kriegten die Kinder der Ar­beitslosen morgens einen Becher Milch und ein paar Zwiebäcke. Da freuten wir uns immer drauf. Das war oft der erste Bissen, den wir an dem Tag hatten. Wenn was im Haus war, kriegten wir eventuell morgens eine Schnitte Brot mit etwas Margarine drauf, das war aber auch alles. Mein Vater wurde krank und musste lange im Bett liegen. Bei 25 Mark Arbeitslosenunter­stützung in der Woche für eine fünf­köpfige Familie! Als Kind bin ich nicht einmal am Tisch satt gewor­den. Durch Hunger, weil es zu Hause nichts zu essen gab, bin ich betteln ge­gangen. In die Villenstraße. Da hab ich die Leute gefragt, ob sie nicht ein paar Butterbrote für mich hätten. Und die Leute haben auch gegeben. Weißbrot mit guter Butter drauf und Schinken. Das schmeckte mir so komisch. Ich wusste zuerst gar nicht, was das war. Wir kannten ja keine Butter. Wir aßen ja nur Margarine, wenn es über­haupt was aufs Brot gab.

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Formular-Optionen

Die einzelnen Beiträge im "Waterbölles" geben allein die Meinung des Autors / der Autorin wieder. Enthalten eingeschickte Texte verleumderische, diskriminierende oder rassistische Äußerungen oder Werbung oder verstoßen sie gegen das Urheberrecht oder gegen andere rechtliche Bestimmungen oder sind sie nicht namentlich gekennzeichnet nebst E-Mail-Adresse, werden sie nicht veröffentlicht. Das gilt auch für substanzlose Bemerkungen ("Find ich gut/schlecht/blöd...etc."). Aus den oben genannten juristischen Gründen sowie bei längeren Texten sind auch Kürzungen nicht ausgeschlossen.

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!