Die EU ist nicht in der Lage zu einer gemeinsamen
Flüchtlingspolitik, weil mehrere Länder sich glatt verweigern, die die EU in
erster Linie als praktische Einnahmequelle sehen. Sie findet keinen Kurs
gegenüber einem immer aggressiver werdenden Russland, dessen eklatante Brüche
des Völkerrechts keinerlei Konsequenzen haben und teils sogar auf Sympathie
stoßen. Großbritannien tritt aus der EU aus. Es drohen Referenden über einen
EU-Austritt in weiteren wichtigen Mitgliedsstaaten wie Frankreich oder den
Niederlanden. Eine belgische Provinz schafft es mühelos, den Abschluss eines
sieben Jahre lang verhandelten Handelsvertrages der gesamten EU mit Kanada zu
blockieren und erntet breite Zustimmung seitens der EU-Bürger selbst. Verschiedene
EU-Staaten driften in Richtung eines autoritären, antidemokratischen Systems. Über
den Kontinent schwappt eine Welle der Fremdenfeindlichkeit.
Diese Aufzählung klingt nach einer Dystopie, aber es ist die
Wirklichkeit, so ist der Zustand der EU am Vormittag des 22. Oktober 2016. Vor
wenigen Jahren undenkbar, ist es in sehr kurzer Zeit so weit gekommen. Und der Prozess
der Erosion und Auflösung wird sich vermutlich noch fortsetzen. Manchmal denke
ich, wir rasen dem Abgrund entgegen und merken es nicht einmal. Das Projekt des
Westens, der Aufklärung, der Demokratie, der Menschen- und Bürgerrechte, des
freien Handels, des Vorrangs einer gemeinsamen europäischen Kultur und
Identität vor nationalen und regionalen Egoismen und der Sicherung des Friedens
scheint vorerst am Ende. Erlegt von innen, durch EU-Bürger und Regierungen
selbst, die den Blick fürs Große/Ganze verloren haben. Statt dessen Intoleranz,
Nationalismus, kurzsichtiger Egoismus, der Wunsch nach einer autoritären
Politik des Durchgreifens, die Entschlossenheit, nicht länger zu akzeptieren,
dass auch Minderheiten und politische Gegner die gleichen Rechte haben wie man
selbst. Die Sehnsucht nach einer Politik der Reinheit und Abschottung. Europa Oktober
2016, der Wahnsinn regiert.
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