22. Oktober 2016

Abgesang auf Europa

Die EU ist nicht in der Lage zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik, weil mehrere Länder sich glatt verweigern, die die EU in erster Linie als praktische Einnahmequelle sehen. Sie findet keinen Kurs gegenüber einem immer aggressiver werdenden Russland, dessen eklatante Brüche des Völkerrechts keinerlei Konsequenzen haben und teils sogar auf Sympathie stoßen. Großbritannien tritt aus der EU aus. Es drohen Referenden über einen EU-Austritt in weiteren wichtigen Mitgliedsstaaten wie Frankreich oder den Niederlanden. Eine belgische Provinz schafft es mühelos, den Abschluss eines sieben Jahre lang verhandelten Handelsvertrages der gesamten EU mit Kanada zu blockieren und erntet breite Zustimmung seitens der EU-Bürger selbst. Verschiedene EU-Staaten driften in Richtung eines autoritären, antidemokratischen Systems. Über den Kontinent schwappt eine Welle der Fremdenfeindlichkeit.


Diese Aufzählung klingt nach einer Dystopie, aber es ist die Wirklichkeit, so ist der Zustand der EU am Vormittag des 22. Oktober 2016. Vor wenigen Jahren undenkbar, ist es in sehr kurzer Zeit so weit gekommen. Und der Prozess der Erosion und Auflösung wird sich vermutlich noch fortsetzen. Manchmal denke ich, wir rasen dem Abgrund entgegen und merken es nicht einmal. Das Projekt des Westens, der Aufklärung, der Demokratie, der Menschen- und Bürgerrechte, des freien Handels, des Vorrangs einer gemeinsamen europäischen Kultur und Identität vor nationalen und regionalen Egoismen und der Sicherung des Friedens scheint vorerst am Ende. Erlegt von innen, durch EU-Bürger und Regierungen selbst, die den Blick fürs Große/Ganze verloren haben. Statt dessen Intoleranz, Nationalismus, kurzsichtiger Egoismus, der Wunsch nach einer autoritären Politik des Durchgreifens, die Entschlossenheit, nicht länger zu akzeptieren, dass auch Minderheiten und politische Gegner die gleichen Rechte haben wie man selbst. Die Sehnsucht nach einer Politik der Reinheit und Abschottung. Europa Oktober 2016, der Wahnsinn regiert. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen