Über die Schönheit »dicker« Frauen

von
Armin A. Alexander

Dieser Essay behandelt weniger vermeintliche und tatsächliche gesundheitliche Risiken von Übergewicht, sondern beschäftigt sich in erster Linie mit den ästhetischen und gesellschaftlichen Dimensionen eines weiblichen Schönheitsideals. Da bei Männern erst in neuer Zeit Dicksein als »unschön« angesehen wird, und das bei weitem nicht in dem Maße wie bei Frauen, werden diese hier außen vor gelassen.

 

»Dick« ist ein Adjektiv, das als Attribut für die Beschreibung von – menschlichen – Körpern eindeutig negativ besetzt ist. Es wird mit Faulheit, Gefräßigkeit, Plumpheit, Schwerfälligkeit auch in geistiger Hinsicht, mangelnder Selbstdisziplin nicht nur bezüglich der Ernährungsgewohnheiten gleichgesetzt, sogar ein per se sozial, wirtschaftlich niedriger Status mit entsprechend niedrigem Bildungsstandard wird damit unterstellt, im besten Fall noch Krankheit. Wer dick ist, hat sich schlecht zu fühlen. Dick in Verbindung mit dem menschlichen Körper wird somit zu einem Schimpfwort.

Darum wird hier mit Absicht das negativ konnotierte »Dick« und nicht die eher positiv und teilweise auch mit leichter Ironie besetzten Begriffe »Mollig«, vermittelt mütterliche Behaglichkeit, »Stattlich«, »Matrone« etc. verwendet. Eine Sonderstellung nimmt der Begriff »Üppig« ein, damit wird Verschwendung, Überfülle, aber auch schwüle Erotik – Wollust – assoziiert. Nur eine üppige Frau kann sich wahrhaftig wollüstig gebärden.

Als dick wird alles bezeichnet, was nicht einem hageren, im Grunde mageren Ideal von Körperlichkeit entspricht, dem überwiegend positive Eigenschaften beigegeben werden, Selbstdisziplin, die Fähigkeit zur ›richtigen‹ ›maßvollen‹ Ernährung, hoher Bildungsstandard, dynamische Erscheinung, Gesundheit und so weiter und sofort. Schlankheit ist ein Zeichen vom Sieg über den Körper, die sichtbar gewordenen Selbstoptimierung. Um diesem Schönheitsideal zu entsprechen, bleibt vielen gar nichts anderes übrig, als ihre Ernährungsgewohnheiten zu kontrollieren, die berühmten Kalorien zu zählen, sich im Fitness-Studio zu quälen, bis der Schweiß aus allen Poren trieft, oder früh morgens vor Arbeitsbeginn, seine Runden durch den nahen Park zu drehen. Wer sich selbst derart effizient unter Kontrolle hat, besitzt auch die nötige Leistungsbereitschaft für die moderne Arbeitswelt, in der die Menschen nicht nur ausgebeutet werden, sondern sich selber ausbeuten. Als ob sogenannte dicke Menschen unsportlich wären, oder nur träge ihre Arbeit verrichten würden und könnten und nur begrenzt leistungsfähig wären.

Das führt soweit, daß sich Menschen bereits dick und somit schlecht fühlen, wenn sie objektiv kaum vom Magerkeitsideal abweichen.

Nach den Ursachen für vermeintliches Übergewicht wird nicht gefragt, auch nicht danach, ob Übergewicht allein, in Abgrenzung zu den verschiedenen Stufen der Fettleibigkeit (Adipositas), überhaupt und ab welcher Größenordnung tatsächlich für sich genommen ein – gesundheitliches – Risiko darstellt, insbesondere bei Personen, die weder Rauchen und nicht regelmäßig Alkohol konsumieren.

Manche Menschen besitzen grundsätzlich eine adipöse Disposition. Mit zunehmenden Alter legen Säugetiere generell an Gewicht zu, was dazu führt, daß dicke Menschen per se jünger wirken, da Falten sich weniger deutlich bilden. Eine hagere Zwanzigjährige mag durch ihre jugendlich glatte Haut noch ein angenehmer Anblick sein, eine Fünfzigjährige mit gleicher Figur wirkt dagegen weniger ansprechend und älter als sie eigentlich ist. Während die Gleichaltrige mit den berühmten Kilos zuviel gesünder und jünger wirkt.

Der Begriff der Schönheit eines Menschen hat sich dermaßen auf die Form des Körpers reduziert, besonders bei Frauen, daß von vielen eine dem derzeitigen Schönheitsideal entsprechende Frau per se als schön empfunden wird, obwohl sie darüber hinaus im Grunde nichtssagend ist. Dagegen kann eine dicke Frau nicht auch schön sein, wenngleich ein Schreiten mit offenen Augen durch die Welt jedem täglich das Gegenteil beweisen sollte.

Das Diktat eines überschlanken Schönheitsideals geht zudem so weit, daß nicht wenige Männer sich scheuen, offen zuzugeben, daß sie die berühmten Kilos zuviel und sogar noch mehr bei einer Frau äußerst anziehend finden und einer solchen Frau als Lebens- und insbesondere als Sexualpartnerin prinzipiell den Vorzug geben.

Das überschlanke Ideal verleiht Frauen eine mehr oder weniger starke Androgynität, da es wesentliche weibliche Attribute wie breiten Hüften und üppige Brüste, schließlich sind diese seit alters her Synonyme für eine lustvolle Sexualität, negiert oder zumindest auf ein Minimum reduziert.

Wie anders da das Barock mit seinen üppigen Venus-Darstellungen, aus denen die Lebensfreude und die Lust am Genießen ins Auge springt.

Wahrscheinlich ist das Barock die einzige europäische Epoche, in der der Schönheit dicker Frauen gehuldigt wurde. Davor und danach wurde und wird das Schönheitsideal der zierlichen, überschlanken Frauen propagiert, mal mehr mal weniger asketisch ausgeprägt. Die zierliche, überschlanke Frau fügte sich nur zu gut in das bürgerliche Ideal der sanften, schutzbedürftigen Frau, die mehr Porzellanpuppe als eigenständige Person sein durfte und somit kaum eine ernstzunehmende Konkurrentin für den Mann darstellte. Das Patriarchat betrachtet die Frau grundsätzlich als Gegnerin des Mannes nicht als seine gleichberechtigte Partnerin, die nur erträglich ist, wenn sie klein gehalten wird und – wichtiger – sich selbst klein hält.

Hatte die Frau ihre Schuldigkeit in der Reproduktion getan und dem Mann einen oder mehrere Erben »geschenkt«, so durfte sie von der Zierlichkeit Abschied abnehmen, infolge diverser Schwangerschaften nicht selten ohnehin an Gewicht auf natürliche Weise zugelegt, und ihr Leben offiziell in einer mütterlich rundlichen, der Matrone, eine asexuelle Existenz weiterführen. Dem gegenüber stand die Walküre, das große, kräftige Vollweib, das dem Mann physisch etwas entgegensetzen konnte und somit als Schreckgespenst der Bedrohung der männlichen Vormachtstellung fungierte. Kräftige, mollige Frauen gab es nur im Volk, Bäuerinnen wurde zugestanden, stämmige Körper mit breiten Hüften und üppigen Brüsten zu haben. Das benötigten sie auch, um die körperlich schweren Arbeiten in einer Landwirtschaft, die noch keine entlastenden Maschinen kannte, durchführen zu können, oder für die zierlichen Frauen der Oberschicht als Ammen tätig zu sein. Die schweren niederen Arbeiten wurden schon immer nur zu gerne den Frauen zugemutet, »Bäuerlich« gilt auch heute noch als Synonym für dicklich, plump, wenig attraktiv, ungebildet.

Wie sehr ausladende Hüften und üppige Brüste als Zeichen von Lebensfreude ein zeitloses Symbol sind und als solche erkannt werden, auch und gerade in einer Zeit, in das Überschlanke als einziges Schönheitsideal gilt, zeigen die Nanas der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle (* 29.10.1930, –  21.05.2002). Die Nanas sind Skulpturen, meist überlebensgroß mit überzeichnenden Attributen des Weiblichen ausgestattet sind, oft in ausgelassen teilweise selbstvergessenen tänzerischen und Posen und fröhlich bunter Bemalung. Das positiv lebensbejahende der Nanas erschließt sich auf Anhieb nicht nur dem künstlerisch geschulten Rezipienten, sondern allen, bei Kindern sind die Nanas sehr beliebt. Die ›Sprache‹, die dahinter steht, ist universell. Schon früheste skulpturale Darstellung von Frauen zeigen die mit ausladenden Hüften, üppigen Brüsten und drallen Körpern, was sicherlich nicht allein an der Geschicklichkeit der namenlosen Künstler lag. Eine Wirkung, die eine asketisch wirkende Figur nie haben könnte.

Wer sich dem Diktat eines vorgegebenen Schönheitsideals, das dazu angetan ist, die Menschen dazuzubringen, sich selbst zu kontrollieren, zu entziehen vermag, und beginnt, Schönheit losgelöst von einem mageren Körper zu betrachten, der wird auf einmal entdecken, wie viele schöne dicke lebensfrohe und verführerische Frauen es gibt und sich und anderen gegenüber eingestehen, daß sich der Faszination üppiger Weiblichkeit nur schwer entziehen kann.

Eine Frau, die mit sich und ihrem Körper im Reinen ist, ihre Üppigkeit mit modisch ansprechender Kleidung, von der es nicht weniges gibt, betont – nur wer sich wie die Wurst in der Pelle fühlte, wird auch in körperbetonter Kleidung auf dritte so wirken – strahlt eine Faszination aus, der sich niemand entziehen kann.

Es täte der Gesellschaft gut, würde sie sich einem Schönheitsideal, das Lebensfreude und Genußfähigkeit vermittelt, verpflichten und Schönheit nicht auf bloßes Körpervolumen reduzieren, sondern in all seinen vorkommenden Facetten – Haare, Augen, Hände, Bewegung und Sprache, Ausstrahlung, Proportionen etc. – akzeptieren. Denn Schönheit lag schon immer einzig in den Augen des Betrachters.

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