1001 Nacht Teil 1 Der Ruhelose
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1001 Nacht, Teil 1: Der Ruhelose

(„As Mil e Uma Noites: Volume 1, O Inquieto“ directed by Miguel Gomes, 2015)

1001 Nacht Teil 1 Der Ruhelose
„1001 Nacht, Teil 1: Der Ruhelose“ läuft ab 28. Juli im Kino

Ein bisschen ironisch ist es schon, 1001 Nacht, Teil 1: Der Ruhelose zu sehen, rund zwei Wochen, nachdem Portugal die Fußball EM für sich entscheiden konnte. Nach den Bildern einer Mannschaft, die allen Umständen und Unkenrufen trotzte und ohne ihren Kapitän den Pokal in die Luft stemmen konnte, kommen ebenfalls Bilder von Portugiesen, die gegen den sicheren Untergang ankämpfen. Nur dass es hier keine Gewinner gibt, keine Freudentränen oder glänzende Preise.

„Oh glückseliger König, ich vernahm, dass sich in einem traurigen Land unter vielen Ländern, wo man von Walen und Meerjungfrauen träumt, die Arbeitslosigkeit rasch ausbreitet.“ Nein, es sind nicht die typischen Worte, mit denen hier Scheherazade beginnt. So wie Scheherazade auch nicht Scheherazade ist, die literarisch unsterbliche Erzählerin fantastischer Geschichten. Nicht wirklich zumindest. Vielmehr nutzt Regisseur und Ko-Autor Miguel Gomes den Rahmen der bekannten orientalischen Märchen, um etwas über das Portugal der Gegenwart zu erzählen bzw. des Portugals, wie es 2013 bis 2014 Gegenwart war.

Der Ruhelose lautet der Titel des ersten Teils des über sechs Stunden langen Epos und kommt die Tage in die deutschen Kinos. Und ruhelos ist der Film, formal wie inhaltlich: Hier wird der Vorlage gemäß ständig von Geschichte zu Geschichte gesprungen, säuberlich in Kapitel unterteilt. Aber selbst innerhalb der Kapitel gibt es wenig Anlass für das Publikum, einmal zur Ruhe zu kommen. Nicht, weil hier ständig etwas passiert, die Protagonisten große Abenteuer erleben. Vielmehr sitzen sie meist nur herum und reden, erzählen aus ihrem Leben. Und was sie zu erzählen haben, das lässt einen nur selten kalt.

Wo dabei die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation liegen, da darf fleißig spekuliert werden, gerade durch die interviewähnlichen Szenen meint man hier meistens, eine ganz gewöhnliche Reportage zu sehen. Meistens. Wenn jedoch einem Hahn der Prozess gemacht wird, weil er nachts unerlaubterweise kräht, dann hofft man zumindest, dass die absurden Geschichten einem gut gelaunten Geist, weniger der Realität entsprungen ist. Und dann verliert sich der Film auch noch in die Metaebene, lässt Gomes vor seinem eigenen Film davonlaufen. Ganz zu schweigen vom Auftritt eines Zauberers, der einem das Mittel für prächtige Erektionen verkaufen möchte, was das Land vor dem sicheren Untergang bewahren würde. Heißt es.

Aber was heißt schon sicher bei einem Film, der sich nie wirklich fassen lässt. Zumindest nicht rational. Vielleicht war das jedoch ohnehin nicht die Absicht von Gomes. Zwar gibt es hier mal Kommentare zum Zustand seines Landes, der kunstfertigen Verknüpfungen und Grenzverschleierungen zum Trotz ist Der Ruhelose weit von einem rein geistigen Vergnügen entfernt. Eigentlich gelingt es Gomes sogar vor allem, das Gefühlsleben der Zuschauer in die Mangel zu nehmen, mal das Feuer der Wut zu entfachen, mal große Traurigkeit hervorzurufen. Von Arbeitslosen wird hier erzählt, die sich bei der verzweifelten Suche nach Beschäftigung so sehr verbiegen, bis sie selbst nicht mehr wissen, wer sie sind. Von sterbenden Walen. Von einem Kampf gegen Hornissen.

Einfach? Nein, das ist Der Ruhelose sicher nicht, der ausufernde Rahmen allein verhindert schon, dass hier jeder am Ende noch dabei sein wird – geistig wie körperlich. Der Versuch lohnt jedoch, führt durch die unterschiedlichsten Bereiche des Alltäglichen und Grotesken, lässt einen ungläubig staunen und überzeugt wüten gegen ein Land, das sich und seine Menschen verliert. Am Ende dieser Reise waren es so viele durchdringende Momente gewesen, dass man allein schon aus Neugierde bei der nächsten Nacht wieder dabei ist bzw. am 11. August, wenn der zweite Teil namens Der Verzweifelte mehr Geschichten aus dem traurigen Land verspricht.



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Der Rahmen entstammt den Märchen, das Setting dem heutigen Portugal, die Geschichten dem Leben – oder auch nicht. „1001 Nacht, Teil 1: Der Ruhelose“ wandert auf der Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation und erzählt dabei von Schicksalen, die einen mal wütend, dann wieder traurig machen, oder am Ende einfach nur absurd sind.