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Montag, 3. August 2015

Systemverständnis oder Auswendiglernen? Eine Stellungnahme anhand des Rücktrittsfolgenrechts

Systemverständnis oder Auswendiglernen?  Eine Stellungnahme anhand des Rücktrittsfolgenrechts

Allzu oft liest oder hört man in der juristischen Ausbildung, dass im Studium einzig das Systemverständnis gefordert sei, nicht aber ein Auswendiglernen.  Das unterscheide uns von den anderen Studiengängen, in denen ein stures Einprägen von Fakten zu guten Prüfungsnoten ausreiche.

Ist das wirklich so?
Nun, das mag bis zu einem gewissen Grad zutreffend sein, in dieser Allgemeinheit halte ich die Aussage aber für realitätsfremd.

Gerade zu Beginn des Studiums muss man sich scheinbar endlos viele Schemata einprägen, um überhaupt den richtigen Aufbau der Lösung als den heiligen Gral zu beherrschen.  Wer hier sein (unter Umständen großes) Detailwissen diffus ohne jeglichen Aufbau „ausspuckt“, hat keine Chance, eine Prüfung zu bestehen.

Dem Einwand, dass sich die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm aus dem Gesetz ergeben, lässt sich entgegenhalten, dass es auch ungeschriebene Tatbestandsmerkmale gibt und auch eine bestimmte Reihenfolge bei der Prüfung dieser einzuhalten ist.  Und das kann man nur durch Auswendiglernen meistern.

Des Weiteren ist zwingend eine bestimmte Reihenfolge bei der Prüfung der jeweiligen Anspruchsgrundlagen einzuhalten, sodass jedenfalls vom Grundsatz her vertragliche Ansprüche vor gesetzlichen zu erörtern sind etc.

Letztlich gibt es auch zahlreiche Meinungsstreitigkeiten, die sich der Normalsterbliche im Zweifelsfall in einer Klausur sicherlich nicht aus dem Gesetz ableiten kann.

 

Die Prämisse, dass auch das Jurastudium sehr viel Auswendiglernen erfordert, soll anhand eines kleinen Beispiels aus dem Rücktrittsfolgenrecht dargestellt werden.  Gerade dieses Gebiet enthält eine Vielzahl an Problemen und Meinungsstreitigkeiten, die man sich nicht erschließen kann, wenn man sich nicht intensiv damit beschäftigt und die Einzelheiten durch Auswendiglernen verinnerlicht hat.

 

Man nehme an, dass ein Käufer eine Sache kauft und sodann feststellt, dass er wegen eines unbehebbaren Mangels vom Kaufvertrag zurücktreten kann.  Dennoch benutzt er die Sache weiter, da er den Rücktritt erst am nächsten Tag erklären will.  Wie es in Klausuren so oft geschieht, wird die Sache sodann beim Käufer zerstört und geht unter.  Erst danach erklärt er den Rücktritt vom Vertrag und verlangt seinen Kaufpreis zurück.  Der Verkäufer will aber nichts zurückzahlen, wenn er keinen Ersatz erhält.

 

Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ergibt sich aus §§ 434, 437 Nr. 2, 323 I, 326 V, 346 I BGB.  Das ist insoweit unproblematisch und kann aus dem Gesetz abgeleitet werden.


An dieser Stelle muss man nun den Einwand des Verkäufers berücksichtigen, dass er nichts zahlen wolle.  Man muss also wissen, dass er möglicherweise Gegenansprüche aus dem Rücktrittsfolgenrecht haben könnte, die er gegen den Rückzahlungsanspruch einwenden könnte.


Wie aber sind diese Ansprüche zu berücksichtigen?

Die Antwort lautet: Der Verkäufer muss eine Aufrechnung erklären.  Wer sich diesen Ablauf nicht eingeprägt hat, wird nun hilflos nach (Ab)Wegen suchen, um den Anspruch des Käufers zu Fall zu bringen.

 

Ein aufrechenbarer Anspruch des Verkäufers könnte dann in einem Wertersatz gem. § 346 II 1 Nr. 3 BGB bestehen.  Hier ist die Sache zerstört worden und damit untergegangen.


Wie aber sieht es bei einem Diebstahl aus?

Auch dieser sei nach herrschender Ansicht von der Vorschrift in analoger Anwendung umfasst, denn das ergebe sich aus dem Charakter der Vorschrift als Gefahrtragungsregel, weshalb auch andere Formen der Unmöglichkeit der Rückgewähr zu einem Anspruch führten.  Es liegt also wiederum eine Konstellation vor, die man einmal gelesen haben und sich sodann einprägen muss.

 

Der Anspruch auf Wertersatz entfällt allerdings nach § 346 III 1 Nr. 3 BGB beim gesetzlichen Rücktrittsrecht, wenn der Käufer die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten beachtet hat, § 277 BGB (diligentia quam in suis; auch die lateinischen Floskeln muss der Student lernen, da mancher Prüfer diese hören möchte).

 

Jetzt beginnt die eigentliche Problematik des Falles erst.  Denn nun muss man unterscheiden, ob der Käufer zur Zeit des Untergangs der Sache den Rücktritt schon erklärt hatte.

Falls nicht, stellt sich die Frage, ob ihm die Haftungserleichterung des § 277 BGB überhaupt zukommen soll.

Ist das auch der Fall, wenn er Kenntnis von den Umständen hatte, die zum Rücktritt führten?

Eine Ansicht nimmt in der Tat eine teleologische Reduktion des § 346 III 1 Nr. 3 BGB an, weshalb ein Wertersatz geschuldet sei, wenn schon eine einfache Fahrlässigkeit vorliege, sodass es auf die eigenübliche Sorgfalt nicht ankomme.

Nach herrschender Meinung stamme die Ursache des Rücktritts in dem Sachmangel jedoch aus dem Verantwortungsbereich des Verkäufers, weshalb bei Beachtung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten auch keine Wertersatzpflicht gegeben sei.  Somit kann man hier eine Haftung des Käufers verneinen, wenn er diese Sorgfalt beachtet hatte.

 

Als nächstes könnte dem Verkäufer dann ein Schadensersatzanspruch zustehen.  Dieser solle sich nach herrschender Meinung nicht aus §§ 346 IV, 280 I, III, 283 BGB ergeben, da kein Rückgewährschuldverhältnis bestehe und somit keine Rückgabeplicht bestanden habe (was selbstverständlich in der Literatur umstritten ist).

Allerdings sei ein Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB denkbar, denn falls ein Rücktritt noch möglich sei, müsse der Schuldner sorgsam mit der Sache umgehen.

Auch hier ist wieder sehr strittig, wann eine solche Pflicht entsteht.  Nach einer Ansicht sogleich mit Austausch der Leistungen, nach anderer Meinung erst ab Kenntnis des Rücktrittsrechts und nach wiederum anderer Auffassung bereits bei fahrlässiger Unkenntnis vom Rücktrittsgrund.  Will man hier ernsthaft behaupten, dass diese Einzelheiten mit einem bloßen Systemverständnis reproduziert werden können?

 

Weiterhin stellt sich die Frage des Haftungsmaßstabs.

Nach einer Ansicht soll derjenige des §§ 346 III 1 Nr. 3, 277 BGB analog auch hier gelten.  Nach überwiegender Meinung aber sei keine solche Haftungsmilderung gegeben, denn § 346 IV BGB verweise allein auf die Vorschriften der §§ 280 ff. BGB ohne eine Privilegierung.  Auch insoweit kann man die Lösung des Falls nur entsprechend gestalten, wenn man die verschiedenen Ansichten und einige Argumente auswendig gelernt hat.  Das Ergebnis ist dann allerdings wie regelmäßig unerheblich, solange man nur die Probleme diskutiert hat.

 

Als Fazit dürfte dieser vom Tatsächlichen her völlig einfach gelagerte Fall deutlich gemacht haben, dass es in der Juristerei mit einem einfachen Systemverständnis nicht getan ist.  Vielmehr müssen auch Juristen in der Ausbildung einen enormen Aufwand an Auswendiglernen betreiben, um erfolgreich zu sein.


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