Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christian Kucznierz zu Zuwanderungsgesetz

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Nehmen wir an, wir hätten ein
Einwanderungsgesetz. So, wie es unter Rot-Grün beinahe gekommen wäre,
mit Quoten und Punktesystem nach kanadischem Vorbild, mit dem eine
gesteuerte Zuwanderung nach Deutschland möglich wäre. Hätten die
Städte und Landkreise dann heute keine überfüllten
Flüchtlingsunterkünfte? Wer das glaubt, ist naiv. Wir sind mitten im
Jahrzehnt der Flucht angekommen. Vielleicht in einer Epoche, die
eines Tages als “neue Völkerwanderung” in die Geschichtsbücher
eingehen wird. Doch ein Zuwanderungsgesetz hätte zumindest eines
geleistet: Es hatte Druck abgebaut. Bei den Behörden, die mit der
Zahl der Asylanträge überfordert sind. Bei den Gemeinden, die Angst
haben, dass die Stimmung vor Ort angesichts von immer mehr
Asylsuchenden kippt. Und es hätte damit die Zahl derer reduziert, die
ihre Sätze mit der unsäglichen Floskel “ich habe ja nichts gegen
Ausländer, aber …” beginnen. Daher ist es gut und wichtig, dass
Union und SPD nun einen neuen Anlauf für ein Zuwanderungsgesetz
unternehmen. Dazu werden beide Seiten ein paar Kröten schlucken
müssen. Am Ende aber verhelfen sie damit einigen Wahrheiten zu einer
breiteren gesellschaftlichen Akzeptanz. Eine dieser Wahrheiten ist,
dass Deutschland immer schon demografischen Wanderbewegungen
ausgesetzt war. Wie sollte es bei einem Land mitten in Europa auch
anders sein? Bislang hat Deutschland davon profitiert. Wer anderes
behauptet, hängt einer nationalen Romantik nach, die einer
Überprüfung unter historischen Gesichtspunkten nicht standhält.
Nationalstaaten sind Gebilde des 18. und 19. Jahrhunderts. Wohin
Nationalismus führt, haben zwei Weltkriege eindeutig bewiesen. Dass
Deutschland immer schon auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen
war, zeigt nicht zuletzt die Geschichte der Gastarbeiter. Eine
weitere Wahrheit ist, dass Deutschland überaltert. Es fehlt
Nachwuchs, in jeder Hinsicht. Kein Baby-Boom könnte das noch ändern.
War ist auch, dass die Welt sich durch die Globalisierung verändert
hat – und dass wir alle daran mitarbeiten, dass sie sich weiter
verändert. Wir leben gut auf Kosten anderer. Unsere
Wirtschaftspolitik trägt dazu bei, dass Arm und Reich in der Welt
ungleich verteilt sind und bleiben. Die Folgen sehen wir in Form von
Booten voller Menschen auf dem Mittelmeer. Zuwanderung ist eine
Chance, keine Bedrohung. Wir leben nicht im Libanon, wo auf tausend
Einwohner 257 Flüchtlinge kommen. Bei uns sind es zwei. Gefordert ist
eine Politik, die Menschen, die in unserem Land gebraucht werden,
verschiedene Wege nach Deutschland öffnet. Dazu gehört auch eine
schnellere Bearbeitung von Asylanträgen, damit Asylsuchende schnell
Klarheit über ihre Zukunft bekommen. Das geht auch ohne “guter
Flüchtling, böser Flüchtling”-Polemik. Die spielt nur den
Salon-Rechten in die Hände, die in dieser Einteilung einen Freibrief
sehen für das Verbalisieren ihrer Fremdenfeindlichkeit unter dem
Deckmantel des “das wird man ja noch mal sagen dürfen”. Große
Koalitionen sind immer Ausnahmen im politischen Betrieb. Im besten
Fall können sie aber Gegensätze vereinen und eine Art Konsens
herstellen. Ein Zuwanderungsgesetz wäre ein solcher Konsens. Weil er
die Basis für ein geordnetes Miteinander in der Zukunft legen kann.
Die Sorgen der Gegenwart, die auch, aber eben nicht nur eine Folge
der Versäumnisse der Vergangenheit sind, werden uns freilich noch
länger begleiten.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
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