Dienstag, 3. Mai 2016

Jacob, Mira: Die Aufforderung des Schlafwandlers zum Tanz


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Da stürzt sich ein Mann von einer Brücke in Seattle - und Amina schießt das Foto, das berühmt werden wird. Doch wie abgebrüht muss man sein, in einem solchen Moment auf den Auslöser zu drücken? Amina verzeiht sich das nicht, verdingt sich fortan als Hochzeitsfotografin. Als ihr Vater sterbenskrank wird, muss sie sich ihrer bewegten Vergangenheit stellen, einer Geschichte, die in den 70er Jahren in Indien begann und nun in New Mexiko ihren Lauf nimmt. Amina beginnt, die Unwägbarkeiten des Lebens anzunehmen, und sich endlich mit den Geistern ihrer Familie auseinanderzusetzen.













  • Gebundene Ausgabe: 576 Seiten
  • Verlag: Eichborn Verlag; Auflage: 1. Aufl. 2015 (12. März 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Edith Beleites
  • ISBN-10: 3847905619
  • ISBN-13: 978-3847905615
  • Originaltitel: The Sleepwalker's Guide to Dancing



















BERÜHREND, LEBENDIG, HOFFNUNGSVOLL...





Amina arbeitet als Hochzeitsfotografin in Seattle, auch wenn ihre Fotokunst eigentlich viel weiter reicht. Doch nach einem spektakulären, von der Presse zahlreich abgedruckten Bild von einem Indianer, der sich im Federschmuck von einer Brücke stürzt, ist sie erschüttert von ihrer eigenen vermeintlichen Kaltblütigkeit und verschanzt sich hinter dem profanen Job der Eventfotos. Ihre Cousine Dimple ist es, die sie mit iher Quirligkeit und Lebensfreude zuweilen aus ihrer Mutlosigkeit holt, aber Amina hält fest an dem Vorsatz, keine besonderen Bilder mehr zu machen - höchstens heimlich und nur für sich...
Zu ihrer Familie hat Amina ebenso wie Dimple allenfalls noch rudimentären Kontakt, gelegentlich einmal ein Telefonat - durch ihren Weggang nach Seattle haben die beiden vesucht, ihre indischen Wurzeln weitgehend zu kappen und ein emanzipiertes, amerikanisches Leben zu führen. Doch dieser eine Anruf ihrer Mutter lässt die Situation kippen. Amina begreift, dass es nicht die übliche Lamentiererei ist, als ihre Mutter ihr berichtet, dass ihr Vater nunmehr bereits seit drei Nächten in Folge im Garten sitzt und redet. Nicht mit sich selbst, sondern mit Ammachy - seiner verstorbenen Mutter. Er kann sie sogar sehen. Amina sagt die Fototermine der nächsten Tage ab und macht sich auf den Weg nach Albuquerque in New Mexico.


Die Hochzeitsbeleuchtung war noch eingeschaltet und tauchte den Garten in dezentes goldenes Licht. Die Rückenlehne des Sofas und Thomas' Kopf hoben sich deutlich vor dem schimmernden Horizont ab. Das hohe Gras wogte im Wind, und Amina musste an einen Flößer in einem schwarz-grünen Strom denken. Seine Worte wehten in Böen zum Haus herüber. (S. 563)


Kaum wieder zu Hause, stürmt alles auf Amina ein. Die Mutter, die nicht glücklich ist, wenn sie ihre Familie nicht bekochen kann, die ihre Probleme in fulminanten Gerichten verkocht, die nur hört, was sie hören will, blind ist für Offensichtliches, sich in ihrem Glauben verschanzt und nie wirklich heimisch geworden ist in Amerika, nur ihrem Mann und ihrer Familie zuliebe nie zurückging nach Indien. Der Vater, der erfolgreich und anerkannt als Gehirnchirurg in einer ortsansässigen Klinik arbeitet, sich über seinen Beruf definiert, meist erst spätabends zu Hause ist und dann ganz für sich auf der Veranda seinen Scotch trinkt, der sich stets geweigert hat, nach Indien zurückzukehren, doch an den Konsequenzen bis heute zu leiden hat. Tanten, Onkel, die ganze redselige, farbenfrohe, bunte, neugierige, tratschende Verwandtschaft, die ständig ans Essen denkt und daran, wie Amina verkuppelt werden könnte - die ganzen Wurzeln sind wieder da und haben Amina im Griff.
Doch nicht nur die Sorgen um ihren Vater beschäftigen sie, auch ihre Vergangenheit holt sie ein. Frühere Besuche der Verwandten in Indien, ihre Schulzeit, der frühe Tod ihres Bruders - alles Themen, die sich unaufhaltsam ins Hier und Jetzt schleichen und ihre Spuren hinterlassen.


Endlich war ihr Vater glücklich. Das war unschwer zu erkennen. Sein Gesicht leuchtete vor Freude, und sein Blick hatte eine Intensität wie zu der Zeit, als er ein gefragter Chirurg war. Seine Hände flogen druch die Luft, als finge er vorbeiziehende Sätze ein. Mandchmal lachte er. Einmal drehte er sich sogar zu Amina um und zwinkerte ihr zu. Es kam ihr vor, als sei sie Teil einer großen, völlig verrückten Verschwörung. (S. 565)



Zehn Jahre hat Mira Jacob an diesem Roman gearbeitet - eine lange Zeitspanne, in der die Figuren liebevoll und bildhaft ausgestaltet werden konnten, die Szenen lebendig und anschaulich ausgefeilt wurden, die Gefühle ausreichend Platz bekamen, sich zu entfalten und die Handlungsstränge aus der Vergangenheit und der Gegenwart zu einer gelungenen Komposition verwoben werden konnten.
Von Beginn an hat mir dieser Roman gut gefallen; zunehmend konnte ich eintauchen in dieses Familienepos, mit all den schrulligen und skurrilen Personen, die dabei so lebensnah und glaubwürdig wirkten. Während anfangs der Humor überwog, mischte sich bald eine gewisse Traurigkeit und Wehmut in die Zeilen, denn die Autorin spart hier nicht mit berührenden und tragischen Themen: der Spagat zwischen den Kulturen, Angst, Liebe, Hoffnung, Verlust und Tod - eben die ganze Spannbreite des Lebens.

Ein tragikomisches, lebenspralles, hochemotionales Debüt, unterhaltsam und packend, anspruchsvoll und doch mit einer gewissen Leichtigkeit.

Von mir eine unbedingte Empfehlung!


© Parden































Mira Jacob - AutorMira Jacob erhielt ihren Master of Fine Arts in Kreativem Schreiben an The New School. Sie gründete und leitet diverse Lesereihen in New York, arbeitete als Redakteurin für verschiedene Onlinemagazine, schreibt Beiträge für Fernsehen, Radio und verschiedene Magazine. "Die Aufforderung des Schlafwandlers zum Tanz" ist ihr erster Roman.


Quelle Text und Bild





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